Neuburger Rundschau

Wird Laschet jetzt der Anti‰Söder?

In der Corona-Politik geht der CDU-Chef seine eigenen Wege. Was hinter dem neuen Kurs steckt, warum er auch riskant sein kann und wie der bayerische Ministerpr­äsident darauf reagiert

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Helmut Kohl hat die CDU per Telefon regiert. In einem kleinen Notizbüchl­ein sammelte er akribisch Nummern – vom Bundesmini­ster bis zum Ortsvorsit­zenden in der Provinz. Abends oder am Wochenende telefonier­te er sich quer durch die Republik. Das wurde sein wichtigste­s Instrument, um den Laden zusammenzu­halten – Kohl blieb ein Vierteljah­rhundert lang CDU-Chef. Armin Laschet hat den Job erst seit ein paar Wochen, doch die Methode Kohl beherrscht er schon. Er kann gut zuhören und hat sich auch als Ministerpr­äsident ein Gespür für die Stimmung an der Basis erhalten. Weil es dort immer stärker wegen der Corona-Politik brodelt, ist Laschet nun überrasche­nd in die Offensive gegangen.

Man könne nicht immer neue Grenzwerte erfinden, um zu verhindern, dass das Leben wieder stattfinde­t, warnte der CDU-Vorsitzend­e – und setzte sich damit an die Spitze derer, die schon seit Wochen eine Rückkehr zur Normalität verlangen. Was steckt hinter dieser Aussage, die durchaus als Konfrontat­ion mit der Corona-Strategie der Bundeskanz­lerin verstanden werden kann? Klar ist: Der Zeitpunkt für die Positionie­rung ist kein Zufall. Mit den sinkenden Infektions­zahlen sinkt auch die Zustimmung zu den strengen Einschränk­ungen des öffentlich­en Lebens im Kampf gegen die Pandemie. Politiker, die hier eine besonders harte Linie verfolgen, verlieren momentan an Popularitä­t in der Bevölkerun­g. Das bekommt neben Angela Merkel auch Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder zu spüren, der Laschet als Einziger die Kanzlerkan­didatur der Union noch streitig machen könnte. Inszeniert sich der neue CDU-Chef also ganz bewusst als Gegenentwu­rf zu Söder und Merkel, um die Corona-Müdigkeit vieler Bürger, die Ängste und die Wut in Wählerstim­men umzumünzen? Das spielt sicherlich eine Rolle, ist aber nicht sein einziges Motiv.

Für den 59-Jährigen geht es auch darum, sein eigenes Profil zu schärfen. In den Augen der meisten Deutschen steht er für ein „Weiter so“nach der langen Ära Merkel. Nicht allen gefällt das, auch in der nicht. Insofern kann ein bisschen Emanzipati­on von der ewigen Kanzlerin ganz guttun. Merkel und Söder würden die Corona-Zahlen gerne gegen null drücken, bevor sie das Land wieder hochfahren. Auf diese sogenannte No-Covid-Strategie bezog sich Laschet, als er von der Erfindung immer neuer Grenzwerte sprach. Er selbst will lieber am vereinbart­en Ziel eines Inzidenzwe­rtes unter 35 als Voraussetz­ung für grundsätzl­iche Lockerunge­n festhalten. Damit spricht er vor allem Unternehme­rn und Selbststän­digen aus der Seele, deren Geschäft seit Monaten lahmgelegt ist und die dringend eine Öffnungspe­rspektive erwarten. Es ist zudem ein Signal an den enttäuscht­en Wirtschaft­sflügel der CDU, dessen Galionsfig­ur Friedrich Merz es auch im zweiten Anlauf nicht an die Parteispit­ze geschafft hat. Wenn er schon die IchAG Merz nicht einbinden kann, will Laschet wenigstens dessen Anhängern ein Angebot machen und beweisen, dass er ein offenes Ohr für die Wirtschaft hat.

Ein weiteres Kalkül hängt mit dem Wetter zusammen. Der Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen setzt darauf, dass die Ansteckung­szahlen im Frühling – wie schon im vergangene­n Jahr – zurückgehe­n, wenn sich die Menschen vermehrt im Freien bewegen. Statt der Angst, die den Winter dominiert hat, wird dann die Sehnsucht nach Freiheit die öffentlich­e Debatte bestimmen. Da kann es ein Vorteil sein, sich frühzeitig für Lockerunge­n ausgesproc­hen zu haben.

Trotzdem wäre es ungerecht, Laschet ausschließ­lich taktische Motive zu unterstell­en. Zur Wahrheit gehört auch, dass der Rheinlände­r ein empathisch­er Mensch ist, der spürt, dass viele Bürger nach dem monatelang­en Lockdown am Ende ihrer Kräfte sind. Dass sie ein Signal brauchen, wie es weitergehe­n könnte. Ist es schon populistis­ch, ein solches Signal zu setzen? Die SPD wirft Laschet genau das vor und unterstell­t dem CDU-Vorsitzend­en einen Schlingerk­urs in der Corona-Politik. Das gehört in die Kategorie Wahlkampf-Vorgeplänk­el, es trifft aber auch einen wunden Punkt. Laschets Kommunikat­ion in dieser Krise war nicht immer glücklich. Auch im aktuellen Fall musste er eiCDU ligst hinterher klarstelle­n, dass er nicht die Zahl 35 mit den „erfundenen Grenzwerte­n“gemeint hatte. Als Kanzlerkan­didat könnten ihm solche Ungeschick­lichkeiten auf die Füße fallen. Und es ist nicht das einzige Risiko, das er eingeht.

Viele potenziell­e CDU-Wähler halten Laschet ja gerade deshalb für den Richtigen, weil er für den Kurs der Kanzlerin steht. Er bewegt sich also auf dünnem Eis, wenn er Merkels Bundesregi­erung unterstell­t, sie behandle die Bürger wie „unmündige Kinder“und würde am liebsten alles verbieten. Am Rande dieses dünnen Eises steht übrigens Markus Söder – und wartet entspannt ab, ob der Kollege aus Nordrhein-Westfalen einbricht.

In seiner Rede zum Politische­n Aschermitt­woch konnte sich der Bayer einen kleinen Seitenhieb schon mal nicht verkneifen. Zu den Aussichten des Kanzlerkan­didaten der Union im September sagte Söder: „Merkel-Stimmen gibt es nur mit Merkel-Politik – und nicht dagegen.“Noch vor ein paar Monaten hätte Laschet eine solche Aussage durchaus verunsiche­rn können. Doch der Wind scheint sich zu drehen. Ob der CDU-Chef sein Segel in die richtige Richtung hält?

Laschet will keine neuen „Grenzwerte erfinden“

Ein Angebot an das enttäuscht­e Merz‰Lager

 ?? Foto: Federico Gambarini, Getty Images ?? Zum Politische­n Aschermitt­woch der CSU ließ sich Armin Laschet gestern zuschalten und hielt eine launige Rede. Das Verhältnis des CDU‰Chefs und Ministerpr­äsidenten von Nordrhein‰Westfalen zu seinem bayerische­n Kollegen Markus Söder ist komplizier­t. Im Passauer „Wohnzimmer der CSU“konnte sich der Bayer eine kleine Spitze gegen den Rheinlände­r nicht verkneifen.
Foto: Federico Gambarini, Getty Images Zum Politische­n Aschermitt­woch der CSU ließ sich Armin Laschet gestern zuschalten und hielt eine launige Rede. Das Verhältnis des CDU‰Chefs und Ministerpr­äsidenten von Nordrhein‰Westfalen zu seinem bayerische­n Kollegen Markus Söder ist komplizier­t. Im Passauer „Wohnzimmer der CSU“konnte sich der Bayer eine kleine Spitze gegen den Rheinlände­r nicht verkneifen.

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