Wie sich der Streit um AstraZeneca leicht lösen lässt
Ärzte verschmähen Impfangebote und wollen lieber Biontech-Spritze. Immunmediziner machen überraschenden Vorschlag gegen Impfskepsis
Berlin Egal ob in Berlin, Saarbrücken, Düsseldorf oder Augsburg: Derzeit hört man merkwürdige Berichte aus den deutschen Impfzentren. Reihenweise sagen Mediziner, darunter sogar besonders gefährdete Zahnärzte, Impfungen ab oder erscheinen nicht zum Termin, weil ihnen nur Spritzen mit dem Stoff von AstraZeneca angeboten werden und nicht die modernen Hightech-Mittel mit Biontech und Moderna.
Die saarländische Gesundheitsministerin Monika Bachmann klagt, bei einer Sonderimpfung im medizinischen Bereich seien 54 Prozent von 200 zur Impfung angemeldeten Personen nicht erschienen, ohne den Termin abzusagen. Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery äußert Verständnis für seine Kollegen und sprach sich sogar gegen eine Impfung des medizinischen Personals mit AstraZeneca aus: „Die geringere Wirksamkeit lässt sich nicht wegdiskutieren“, sagte er der Rheinischen Post. „Daher halte ich es für geboten, Menschen mit hohem Infektionsrisiko, zu denen medizinisches Personal oder Pflegekräfte gehören, mit besser wirksamen Vakzinen zu impfen.“
CDU-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach und Virologe Christian Drosten kritisierten diese Aussagen und betonten, sie würden sich selbst mit AstraZeneca impfen lassen. Nur wenige Tage nachdem sich viele Menschen noch über Impfvordrängler empört haben, droht die Debatte ins Gegenteil zu kippen: Plötzlich macht sich Impfskepsis breit. Dass Politiker nun eine Wahlmöglichkeit für die Bürger beim Impfstoff ablehnen, dürfte das wichtige Vertrauen nicht unbedingt fördern. Dabei könnte AstraZeneca mit 56 Millionen bestellten Dosen bald der mit am besten verfügbare Impfstoff sein.
Den Impfexperten und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, ärgert die Debatte: „Zu sagen, der AstraZeneca-Impfstoff wäre zweitklassig, ist sowohl wissenschaftlich als auch von der öffentlichen Wirkung völlig daneben“, sagt der Dortmunder Medizinprofessor.
Zum einen lasse sich die Wirksamkeit des Mittels laut neuesten Erkenntnissen auf 80 Prozent steigern, wenn man die zweite Impfdosis etwas hinauszögere. „Deshalb verimpfen wir jetzt in Deutschland erst nach neun bis zwölf Wochen Abstand die zweite Dosis.“Doch dies sei gar nicht so erheblich: „Ob die Wahrscheinlichkeit, an Corona schwer zu erkranken, je nach Impfstoff um 80 oder um 95 Prozent sinkt, ist in der Praxis ein viel kleinerer Unterschied, als es für den Laien erscheint. Denn die unter 65-Jährigen haben ohnehin schon ein deutlich geringeres Risiko, schwer an Corona zu erkranken als die Älteren“, sagt der Immunexperte. Aber auch selbst dieser Unterschied lasse sich später leicht korrigieren.
„Wenn man die Impffolge mit zwei Dosen beispielsweise von AstraZenca abgeschlossen hat, kann man natürlich später mit einem anderen Corona-Impfstoff geimpft werden“, sagt der Immunexperte. „Das heißt, man kann die Immunität, die man mit dem AstraZeneca Impfstoff ausgelöst hat, ohne Probleme mit einem mRNA-Impfstoff später noch einmal verstärken“, betont Watzl. „Man legt sich also nicht fest, wenn man sich einmal mit AstraZeneca impfen lässt.“
Dies sei medizinisch kein Problem. „Die neuerliche Impfung mit einem mRNA-Impfstoff würde die Wirksamkeit des Impfstoffschutzes auf jeden Fall verstärken.“Solche Mehrfachimpfungen seien beispielsweise bei Hepatitis B gängige Praxis. „Die Erfahrung bei Mehrfachimpfungen ist, dass mehrere Dosen generell helfen, eine stärkere und länger anhaltende Immunität herzustellen“, sagt Watzl.
Aus Sicht des Immunologen wäre ein solches Angebot an die Bürger durch den Bund ein einfaches Mittel, die aufkommende Debatte um Impfskepsis im Keim zu ersticken. „Es wäre ein Leichtes für die Bundesregierung, eine neuerliche Impfung mit einem mRNA-Impfstoff zu garantieren, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, dass die
Menschen dadurch besser geschützt wären“, sagt Watzl. „Deutschland hat spätestens ab dem vierten Quartal mehr Impfdosen zur Verfügung, als für eine zweifache Impfung der Gesamtbevölkerung nötig wäre. Es wäre deshalb kein Problem, eine dritte Impfung mit einem mRNAImpfstoff nachzuholen.“
Watzl rät deshalb jedem Mediziner oder Polizisten, jetzt auch bei einem Impfangebot mit AstraZeneca zuzugreifen: „Solange die Impfdosen knapp sind, ist jeder Impfschutz von einem zugelassenen Präparat besser als kein Impfschutz. Deswegen sollte man den Impfstoff nehmen, den man kriegen kann.“Auch Nebenwirkungen seien bei AstraZeneca und den mRNA-Impfstoffen laut Studien vergleichbar. Ein Unterschied sei nur, dass sie bei AstraZeneca eher nach der ersten Impfdosis und bei Biontech eher nach der zweiten aufträten, sagt Watzl. „Die oft typischen Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Müdigkeit oder Muskelschmerzen sind in der Regel Ausdruck davon, dass der Impfstoff das tut, was er tun soll, nämlich eine Immunreaktion auszulösen.“