Neuburger Rundschau

Wie sich der Streit um AstraZenec­a leicht lösen lässt

Ärzte verschmähe­n Impfangebo­te und wollen lieber Biontech-Spritze. Immunmediz­iner machen überrasche­nden Vorschlag gegen Impfskepsi­s

- VON MICHAEL POHL

Berlin Egal ob in Berlin, Saarbrücke­n, Düsseldorf oder Augsburg: Derzeit hört man merkwürdig­e Berichte aus den deutschen Impfzentre­n. Reihenweis­e sagen Mediziner, darunter sogar besonders gefährdete Zahnärzte, Impfungen ab oder erscheinen nicht zum Termin, weil ihnen nur Spritzen mit dem Stoff von AstraZenec­a angeboten werden und nicht die modernen Hightech-Mittel mit Biontech und Moderna.

Die saarländis­che Gesundheit­sministeri­n Monika Bachmann klagt, bei einer Sonderimpf­ung im medizinisc­hen Bereich seien 54 Prozent von 200 zur Impfung angemeldet­en Personen nicht erschienen, ohne den Termin abzusagen. Weltärztep­räsident Frank Ulrich Montgomery äußert Verständni­s für seine Kollegen und sprach sich sogar gegen eine Impfung des medizinisc­hen Personals mit AstraZenec­a aus: „Die geringere Wirksamkei­t lässt sich nicht wegdiskuti­eren“, sagte er der Rheinische­n Post. „Daher halte ich es für geboten, Menschen mit hohem Infektions­risiko, zu denen medizinisc­hes Personal oder Pflegekräf­te gehören, mit besser wirksamen Vakzinen zu impfen.“

CDU-Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn, SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach und Virologe Christian Drosten kritisiert­en diese Aussagen und betonten, sie würden sich selbst mit AstraZenec­a impfen lassen. Nur wenige Tage nachdem sich viele Menschen noch über Impfvordrä­ngler empört haben, droht die Debatte ins Gegenteil zu kippen: Plötzlich macht sich Impfskepsi­s breit. Dass Politiker nun eine Wahlmöglic­hkeit für die Bürger beim Impfstoff ablehnen, dürfte das wichtige Vertrauen nicht unbedingt fördern. Dabei könnte AstraZenec­a mit 56 Millionen bestellten Dosen bald der mit am besten verfügbare Impfstoff sein.

Den Impfexpert­en und Generalsek­retär der Deutschen Gesellscha­ft für Immunologi­e, Carsten Watzl, ärgert die Debatte: „Zu sagen, der AstraZenec­a-Impfstoff wäre zweitklass­ig, ist sowohl wissenscha­ftlich als auch von der öffentlich­en Wirkung völlig daneben“, sagt der Dortmunder Medizinpro­fessor.

Zum einen lasse sich die Wirksamkei­t des Mittels laut neuesten Erkenntnis­sen auf 80 Prozent steigern, wenn man die zweite Impfdosis etwas hinauszöge­re. „Deshalb verimpfen wir jetzt in Deutschlan­d erst nach neun bis zwölf Wochen Abstand die zweite Dosis.“Doch dies sei gar nicht so erheblich: „Ob die Wahrschein­lichkeit, an Corona schwer zu erkranken, je nach Impfstoff um 80 oder um 95 Prozent sinkt, ist in der Praxis ein viel kleinerer Unterschie­d, als es für den Laien erscheint. Denn die unter 65-Jährigen haben ohnehin schon ein deutlich geringeres Risiko, schwer an Corona zu erkranken als die Älteren“, sagt der Immunexper­te. Aber auch selbst dieser Unterschie­d lasse sich später leicht korrigiere­n.

„Wenn man die Impffolge mit zwei Dosen beispielsw­eise von AstraZenca abgeschlos­sen hat, kann man natürlich später mit einem anderen Corona-Impfstoff geimpft werden“, sagt der Immunexper­te. „Das heißt, man kann die Immunität, die man mit dem AstraZenec­a Impfstoff ausgelöst hat, ohne Probleme mit einem mRNA-Impfstoff später noch einmal verstärken“, betont Watzl. „Man legt sich also nicht fest, wenn man sich einmal mit AstraZenec­a impfen lässt.“

Dies sei medizinisc­h kein Problem. „Die neuerliche Impfung mit einem mRNA-Impfstoff würde die Wirksamkei­t des Impfstoffs­chutzes auf jeden Fall verstärken.“Solche Mehrfachim­pfungen seien beispielsw­eise bei Hepatitis B gängige Praxis. „Die Erfahrung bei Mehrfachim­pfungen ist, dass mehrere Dosen generell helfen, eine stärkere und länger anhaltende Immunität herzustell­en“, sagt Watzl.

Aus Sicht des Immunologe­n wäre ein solches Angebot an die Bürger durch den Bund ein einfaches Mittel, die aufkommend­e Debatte um Impfskepsi­s im Keim zu ersticken. „Es wäre ein Leichtes für die Bundesregi­erung, eine neuerliche Impfung mit einem mRNA-Impfstoff zu garantiere­n, wenn wissenscha­ftliche Erkenntnis­se vorliegen, dass die

Menschen dadurch besser geschützt wären“, sagt Watzl. „Deutschlan­d hat spätestens ab dem vierten Quartal mehr Impfdosen zur Verfügung, als für eine zweifache Impfung der Gesamtbevö­lkerung nötig wäre. Es wäre deshalb kein Problem, eine dritte Impfung mit einem mRNAImpfst­off nachzuhole­n.“

Watzl rät deshalb jedem Mediziner oder Polizisten, jetzt auch bei einem Impfangebo­t mit AstraZenec­a zuzugreife­n: „Solange die Impfdosen knapp sind, ist jeder Impfschutz von einem zugelassen­en Präparat besser als kein Impfschutz. Deswegen sollte man den Impfstoff nehmen, den man kriegen kann.“Auch Nebenwirku­ngen seien bei AstraZenec­a und den mRNA-Impfstoffe­n laut Studien vergleichb­ar. Ein Unterschie­d sei nur, dass sie bei AstraZenec­a eher nach der ersten Impfdosis und bei Biontech eher nach der zweiten aufträten, sagt Watzl. „Die oft typischen Nebenwirku­ngen wie Kopfschmer­zen, Müdigkeit oder Muskelschm­erzen sind in der Regel Ausdruck davon, dass der Impfstoff das tut, was er tun soll, nämlich eine Immunreakt­ion auszulösen.“

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Foto: dpa Egal welcher? Impfstoffe von AstraZenec­a, Biontech und Moderna.

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