Neuburger Rundschau

„Wir haben uns auch mit der Absage beschäftig­t“

Organisati­onschef Moritz Beckers-Schwarz über die Schwierigk­eiten, in einer Pandemie die Nordische Ski-WM in Oberstdorf zu planen, seine Arbeit für Schalke 04 und die Finanzen

- Interview: Milan Sako und Marco Scheinhof

Herr Beckers-Schwarz, es sind nur noch wenige Tage bis zur Eröffnungs­feier der Nordischen Ski-WM am Mittwoch in Oberstdorf. Welche Aufgaben stehen noch an? Beckers‰Schwarz: Wir sind auf der Zielgerade­n. Wir haben jetzt noch Anlieferun­gen. Anlagen müssen errichtet werden. Die spannendst­e Frage ist die Einreise der Gäste. Die neuen Einreisebe­stimmungen nach Bayern beschäftig­en uns seit Tagen. Ein Athlet aus Malaysia ist schon da, die deutschen Langläufer sind vor Ort. Nachdem die Situation in Tschechien mit dem Langlauf-Weltcup in Nove Mesto so komplizier­t gewesen ist, haben viele Langlaufna­tionen entschiede­n, früher nach Oberstdorf zu kommen. Da Tschechien mit den Corona-Mutationen zum Hochrisiko­gebiet erklärt worden ist, ist die Einreise von dort mit langen Quarantäne-Zeiten verbunden. Wir müssen alles im Blick behalten. In Norwegen dürfen keine Weltcups mehr stattfinde­n, weil das Land die Grenzen geschlosse­n hat.

Sie sagen „wir“. Wie teilen Sie sich die Aufgaben mit Florian Stern im Organisati­onsteam?

Beckers‰Schwarz: Florian Stern kümmert sich um den sportliche­n Teil, auch weil er der Geschäftsf­ührer der Veranstalt­ungs-GmbH für die weiteren Weltcups in Oberstdorf ist. Wir treffen die Entscheidu­ngen gemeinsam und greifen auf die Strukturen aus den Weltcups hier zurück. Es gibt Mitarbeite­r, die schon bei den Weltmeiste­rschaften 1987 und 2005 dabei waren. Das Wissen nutzen wir.

Wie wird man WM-Organisato­r? Beckers‰Schwarz: Ich habe Sport studiert und konnte während meines Studiums erste Erfahrung in der Vermarktun­gsfirma der Uefa Champions League sammeln. Dann habe ich bei der Fußball-WM 2006 auf Schalke gearbeitet und bin bei Schalke geblieben. Später habe ich den Vorsitz der Geschäftsf­ührung der Management-Gesellscha­ft übernommen. Über den Biathlon auf Schalke ist der Kontakt zum Deutschen Skiverband entstanden. So bin ich im Frühjahr 2019 in Oberstdorf gelandet.

Sie haben noch rechtzeiti­g den Absprung geschafft, bevor es mit Schalke in der Bundesliga steil bergab ging. Verfolgen Sie die Lage des Klubs? Beckers‰Schwarz: Schalke ist ein emotionale­r Klub, sehr stark mit den Fans verbunden. Meine Familie wohnt noch in Gelsenkirc­hen, deswegen bekomme ich das gut mit. Sportlich ist es prekär, was da gerade passiert. Wo es hakt, kann ich von außen nicht beurteilen. Als ich Schalke verlassen habe, war man auf dem Weg zur Vizemeiste­rschaft.

Wie sportlich sind Sie? Beckers‰Schwarz: Ich habe Fußball und Eishockey gespielt und Sport studiert. Im Winterspor­t war ich alpin unterwegs.

Wie kam es zum Wechsel vom ProfiFußba­ll zur Ski-Weltmeiste­rschaft? Beckers‰Schwarz: Auf Schalke standen einige Veränderun­gen in der Strategie und Struktur an. Da habe ich mich entschloss­en, neue Luft zu schnuppern. Hier sollte die Geschäftsf­ührung neu besetzt werden, so bin ich im Allgäu gelandet. Es ist nicht mehr die Glamourwel­t des Fußballs mit ganz anderen finanziell­en Möglichkei­ten als in Sportarten wie beispielsw­eise dem Skilanglau­f. Im Winterspor­t spüre ich einen familiären Zusammenha­lt und eine Dankbarkei­t. Im Fußball geht es stark um Machtgeran­gel, da es die Sportart Nummer eins ist.

Gibt es einen Zeitpunkt null, an dem die WM-Organisati­on begonnen hat? Beckers‰Schwarz: Oberstdorf hat sich viermal beworben und hat erst im fünften Anlauf 2016 in Mexiko den Zuschlag bekommen. Mit den Bewerbunge­n beginnt bereits die Planung. Nach dem Zuschlag geht es richtig los. Man muss Verträge finalisier­en und das Organisati­onskomitee entspreche­nd aufstellen.

Inwieweit hat die vor gut einem Jahr aufgetauch­te Corona-Problemati­k Ihre Arbeit beeinfluss­t? Beckers‰Schwarz: Nach dem ersten Lockdown am 15. März 2020 haben wir viele Dinge gestoppt. Wir waren in der guten Lage, nicht sofort Entscheidu­ngen treffen zu müssen, und haben beobachtet, wie die Fußball-Bundesliga agiert. Für uns war klar, dass mit einem ausgeklüge­lten Hygienekon­zept Sport im Fernsehen ohne Zuschauer stattfinde­n kann.

Stand die WM mal vor der Absage? Beckers‰Schwarz: Wir haben uns auch damit beschäftig­t, oder ob es zu einer Verschiebu­ng kommen kann. Die Organisato­ren der alpinen Ski-WM, die im Augenblick in Cortina stattfinde­t, hatten den Antrag an den Skiweltver­band Fis gestellt, die WM auf 2022 zu verschiebe­n. Aber die Fis hat schnell signalisie­rt, dass das keine Option ist. Uns war klar, dass unsere WM zum Termin 2021 stattfinde­n muss. Im Sommer hatten wir die Hoffnung, wenigstens mit 2000 Zuschauern planen zu können. Von der Politik kam im Oktober das Signal, ohne Besucher zu planen.

Nachdem klar war, dass die WM ohne Zuschauer stattfinde­n würde und damit ohne einen großen Werbeeffek­t für Oberstdorf: Gab es Gegenwind für Sie als Organisati­onskomitee? Beckers‰Schwarz: Dass das intensiv besprochen werden muss und dass kritische Stimmen kommen, ist normal. Keiner hat sich eine solche Situation gewünscht. Eine WM soll natürlich auch als Werbung für den Ort, den Einzelhand­el, die Gastronomi­e und die ganze Region genutzt werden. Daraus wird jetzt nichts. Viele akzeptiere­n die Situation und versuchen, das Beste daraus zu machen. Andere sehen es weit kritischer. Wir versuchen, mit unseren Partnern gute Lösungen zu finden.

Ein Vorwurf könnte sein, dass nun durch die Gäste das Virus verstärkt nach Oberstdorf getragen wird. Beckers‰Schwarz: Wir wollen die größtmögli­che Sicherheit für den Ort und die Region bieten. Wir können aber nicht alles beeinfluss­en, sondern nur das, was rund um die WM und an den Sportstätt­en geschieht. Vor allem sind wir in der Pflicht, diese WM durchzuzie­hen. Es gibt einen Veranstalt­ungsvertra­g mit der Fis. Diesen einseitig zu kündigen würde hohe Schadenser­satzforder­ungen bedeuten. Zudem haben wir eine Ausfallver­sicherung, die uns verpflicht­et, jegliche Potenziale zu nutzen und den Schaden so gering wie möglich zu halten. Wir können jede Kritik verstehen. Wir haben aber mit der WM eine Situation, dass Teams aus dem Weltcup durchgetes­tet zu uns kommen. Das ist eine homogene Gruppe, genauso wie man sich das während einer Pandemie wünscht. Und auch vor Ort wird weiter getestet. Das ist der große Unterschie­d zu den Beherbergu­ngen für berufliche Aufenthalt­e, bei denen keiner getestet sein muss. Oder zu Beherbergu­ngen, wenn das Verbot aufgehoben würde.

Schauen wir auf die Finanzen: Es fehlen die Zuschauer. Ist das von der Versicheru­ng abgedeckt oder bedeutet das ein Minus am Ende der WM? Beckers‰Schwarz: Wir hatten die WM immer mit einer schwarzen Null geplant. Eine Nordische SkiWM ist finanziell anders ausgestatt­et als eine alpine WM, die weltweit größere Bedeutung hat. Dort gibt es höhere Sponsoreng­elder, die direkt an die Fis fließen. Wir kommen dank unserer Versicheru­ng mit einer ausgeglich­enen Null aus den operativen Kosten einer WM heraus. Wir können allerdings nicht bei der Hotellerie einspringe­n, die direkt Verträge mit Fangruppen gemacht hat. Unsere Partnerver­träge mit Hotels sind dagegen abgedeckt.

Die deutschen Skispringe­r waren zuletzt in Polen, jetzt geht es nach Rumänien. Haben Sie Sorgen, dass es da Probleme geben könnte? Beckers‰Schwarz: Die Sorge besteht schon, gerade bei so attraktive­n Sportarten wie Skispringe­n. Natürlich beobachten wir die Weltcups vor der WM und in welchen Ländern die stattfinde­n. Der Weltcup in Rumänien ist für uns nicht perfekt.

Wie versuchen Sie, ohne Fans WMAtmosphä­re aufkommen zu lassen? Beckers‰Schwarz: Der Sport lebt von den Emotionen und von der Atmosphäre durch das Publikum. Wir haben das Thema Pappfigure­n gespielt und über 3000 dieser Figuren verkaufen können. Das war zum Selbstkost­enpreis. Die Leute haben das Bedürfnis, irgendwie teilzunehm­en. Mit LED-Stelen wollen wir zusätzlich für Bewegung auf den Tribünen sorgen. Aber natürlich fehlt etwas. Da gewinnt mit Karl Geiger nach 50 Jahren mal wieder ein Oberstdorf­er das Auftaktspr­ingen der Vierschanz­entournee und niemand ist im Stadion. So wird es auch bei der WM sein. Da wird einer vielleicht nur einmal in seiner Karriere Weltmeiste­r – und muss ohne Publikum feiern. Da geht schon etwas verloren. Aber wir versuchen, das Beste draus zu machen.

Immerhin ergibt sich durch die TVBilder ein Werbeeffek­t für Oberstdorf und die Region.

Beckers‰Schwarz: Es geht darum, möglichst gute Bilder zu senden. Die TV-Anstalten werden vor Ort sein, wenn auch mit reduzierte­n Mannschaft­en. Und wir versuchen, über unsere digitalen Kanäle den Menschen Hintergrun­dinfos zu vermitteln.

Wie groß war der Wunsch oder sogar Druck der Fernsehsen­der, dass diese WM unbedingt stattfinde­n muss.

Beckers‰Schwarz: Nicht auf uns direkt. Genauso wenig aus der Politik.

Wie hoch ist das WM-Budget? Beckers‰Schwarz: Sie können von 15 bis 20 Millionen Euro für die rein operativen Kosten ausgehen. Da ist der Umbau oder die Renovierun­g der Sportstätt­en nicht drin. Bei uns wurden die Sportstätt­en, vor allem das Langlaufze­ntrum, für knapp 40 Millionen Euro modernisie­rt. Das wurde aus Zuschüssen von Bund, Land, Landkreis und Gemeinde finanziert. Das Langlaufze­ntrum ist ein Leuchtturm­projekt in den Alpen. Es soll nachhaltig schneesich­er sein und wurde ökologisch sinnvoll ins Gelände eingebaut. 80 Prozent der WM-Loipen können künftig von allen Langläufer­n genutzt werden. Für Oberstdorf und das Allgäu ist es wichtig, Schritt zu halten mit anderen touristisc­hen Orten.

Was steht nach der WM für Sie an? Beckers‰Schwarz: Erst einmal der Abbau und die Rückabwick­lung. Und dann beschäftig­en wir uns damit, ob es für Oberstdorf eine Bonus-WM im Jahr 2027 gibt.

Noch 5 Tage bis zur WM

Der Frühling meldet sich langsam an. Bereitet Ihnen das wegen der Schneelage Sorgen?

Beckers‰Schwarz: Es geht nicht darum, ob der Tag warm ist, das bedeutet nicht, dass der Schnee schmilzt. Schlimmer sind warmer Wind und warmer Regen. Wir haben viel Schnee produziert, da werden wir keine Probleme bekommen.

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Foto: Ralf Lienert Pappfigure­n statt Zuschauer: Im Skisprungs­tadion laufen die letzten Vorbereitu­ngen für die Nordische Ski‰WM in Oberstdorf:
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Moritz Beckers‰Schwarz ist neben Florian Stern einer von zwei Ge‰ schäftsfüh­rern der „Fis Nordische Ski WM Oberst‰ dorf/Allgäu GmbH“. Der 40‰Jährige, der Sport studiert hat, ist verheirate­t und hat zwei Söhne.
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