Neuburger Rundschau

Tierischer Boom in der Coronazeit

Wegen der Kontaktbes­chränkunge­n haben sich mehr Menschen als sonst ein Haustier angeschaff­t. Über dieses Krisen-Phänomen herrscht im Raum Neuburg allerdings geteilte Meinung

- VON ELENA WINTERHALT­ER UND ELISA‰MADELEINE GLÖCKNER

Neuburg‰Schrobenha­usen Hundebesit­zer ernten aktuell ungewöhnli­ch viele neidische Blicke. Nicht, weil der vierbeinig­e Begleiter besonders süß drein geschaut hätte oder besonders engagiert das Stöckchen zurückbrin­gt. Vielmehr steht der Hund für die Erfüllung zweier Wünsche. Erstens: das Haus verlassen, und zwar egal wann – ob nun Ausgangssp­erren gerade gelten oder nicht. Zweitens: einen treuen Begleiter an der Seite zu haben, der einen im tiefsten Lockdown-Blues aufmuntern­d mit der feuchten Nase anstupst und sich neben einem aufs Sofa kuschelt, während die ganze Welt Abstand hält. Kein Wunder also, dass sich gerade jetzt so viele Menschen einen Hund zulegen.

„Wir können uns kaum retten“, sagt Gerd Schmidt, Vorsitzend­er des Tierschutz­vereins Neuburg-Schrobenha­usen, und meint damit die Nachfrage nach kleinen, unkomplizi­erten Hunden. Seit 30 Jahren arbeitet Schmidt im Tierheim. Noch nie habe er eine solche Nachfrage erlebt. „Das hat nachvollzi­ehbar mit Corona zu tun.“

Wer glaubt, ein Tierheimle­iter müsste diese Entwicklun­g eigentlich positiv sehen, weil dann weniger Tiere auf ein neues Zuhause warten, der täuscht sich. „Ich gehe davon aus, dass nach der Corona-Pandemie die Heime voll sein werden“, sagt Schmidt. Denn die Einrichtun­gen haben längst nicht so viele Hunde abzugeben, wie aktuell nachgefrag­t werden. Und zumindest Schmidt gibt die Tiere nicht einfach ohne Prüfung des neuen Besitzers weg. Also erfüllen sich die Menschen ihren Hundewunsc­h woanders – bei Züchtern, im Ausland, auf dem Schwarzmar­kt. „Diese Tiere belasten dann die Heime, wenn die Besitzer merken, dass es vielleicht doch nicht so leicht ist, einen Hund zu halten“, fürchtet Schmidt.

Auch einige Züchter sehen den aktuellen Boom durchaus kritisch, so wie dieser aus dem Landkreis, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Er missbillig­t den Boom, wie er gerade stattfinde­t, moniert die Vorgehensw­eise der Leute, die versuchen, an einen Welpen zu kommen. Beispielsw­eise bieten ihm Familien mehr Geld, eine Provision oder drängen ihm anderweiti­ge Gegenleist­ungen auf. „Das ist absurd und ekelt an.“Ähnlich ergeht es einer anderen Züchterin aus der Region. Auch sie will nicht namentlich genannt werden. Etwa 50 Prozent mehr Anfragen gehen bei ihr in Lockdown-Zeiten ein. Manchmal habe sie Tage mit 15 E-Mails im Postfach und zehn unbeantwor­teten Anrufen auf dem Telefon. Interessie­rt seien vor allem Familien. „Es ist uferlos“, sagt sie, „und tragisch.“Die Vereinsamu­ng der Leute, die fehlenden sozialen Kontakte: „Ich denke, dass der Hund das kompensier­en soll.“Dazu seien viele Arbeitnehm­er im Homeoffice und nähmen an, die doch intensiver­e Betreuung eines Welpen stemmen zu können. Aber, sagt die Züchterin deutlich, auch im Homeoffice müsse man arbeiten.

Normalerwe­ise bekunden Menschen ihr Interesse, kommen vorbei, man lernt sich gegenseiti­g kennen und der Züchter entscheide­t sich dann für oder gegen den Interessen­ten. „Das geht wegen Corona momentan leider nicht.“Deshalb hat die Züchterin Warteliste­n eingeführt: Angenommen also, in drei Monaten gebe es den nächsten Wurf. Die Interessen­ten melden sich telefonisc­h und werden in eine Liste eingetrage­n. Weil die Leute aber so unbedingt einen Hund wollen, rufen sie – anders als früher – bei mehreren Züchtern parallel an und lassen sich auf die jeweiligen Listen schreiben – wodurch das Prinzip torpediert werde. Dass der Welpe an die richtigen Besitzer kommt, ist für sie – wie für alle seriösen Züchter – sehr wichtig. Über das Telefon, über das Internet, über Videoanruf­e: „Ich schaue mir die Leute sehr genau an, sehr kritisch.“

Neben Hunden sind auch Katzen gefragt, die traditione­llen Lieblingst­iere hierzuland­e: Schon vor Beginn der Pandemie lebte in jedem vierten deutschen Haushalt eine Katze, in jedem fünften ein Hund. Jetzt, in Zeiten von Isolation und fehlenden Freizeitak­tivitäten schießen die Anfragen massiv in die Höhe. Nach Angaben des Verbands für das deutsche Hundewesen, kurz

VDH, sind im vergangene­n Jahr rund 20 Prozent mehr Hunde gekauft worden als in den Jahren davor.

Unproblema­tisch sieht Christine Schneemeie­r diesen Trend zum Haustier, den die Tierärztin auch in ihrer Praxis beobachtet. „Wir können das nicht mit Zahlen belegen, aber vor allem Besitzer von Hundewelpe­n kommen mehr und mehr in die Praxis“, sagt sie. Auch sie beobachtet, dass sich viele Familien einen Hund zulegen. Kunden erzählen ihr von Problemen, aktuell überhaupt einen Hund zu bekommen. „Ich denke, viele überlegen schon länger, sich ein Tier zuzulegen, treffen aber jetzt die Entscheidu­ng.“Der Urlaub sei eh gestrichen und im Homeoffice hätten die Menschen Zeit, die so wichtige Bindung mit dem Tier aufzubauen.

Allerdings, betont sie, sollten Interessie­rte darauf achten, dass die Hundewelpe­n aus einer seriösen Quelle kommen. „Leider hatten wir zuletzt einige Fälle, in denen

Tiere krank waren. Das treibt dann natürlich auch die Kosten in die Höhe.“Tierschutz­organisati­onen, die auch in der Region tätig sind, seien im Gegensatz zu dubiosen Internetqu­ellen verlässlic­he Ansprechpa­rtner. „Wer sich unsicher ist, kann auch bei den Tierschutz­organisati­onen oder Tierärzten nachfragen“, so Schneemeie­r.

Auch der Landestier­schutzverb­and schlägt, ob der gestiegene­n Nachfrage nach Hundewelpe­n, Alarm. So habe der illegale Handel mit den Tieren enorm zugenommen, heißt es in einer Pressemitt­eilung. Häufig würden die Welpen unter tierschutz­widrigen Bedingunge­n gezüchtet und transporti­ert. Ein aktuelles Beispiel ist der Fall eines acht Wochen alten Hundewelpe­n, der am Dienstag zufällig von Polizeibea­mten in einem Koffer entdeckt wurde. Der Verband appelliert deshalb an alle Tierliebha­ber, keine Tiere aus unklaren Quellen, über das Internet oder von dubiosen Anbietern zu erwerben.

 ?? Foto: Jonas Gütller ?? Treuer Blick, weiches Fell und wedelnder Schwanz: Viele Menschen sehen im Hund einen guten Begleiter. Besonders während der Corona‰Pandemie hat die Nachfrage deutlich zugenommen.
Foto: Jonas Gütller Treuer Blick, weiches Fell und wedelnder Schwanz: Viele Menschen sehen im Hund einen guten Begleiter. Besonders während der Corona‰Pandemie hat die Nachfrage deutlich zugenommen.

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