Missbrauchsprozess: Angeklagter schuldig
Staatsanwaltschaft und Verteidigung halten überzeugende Plädoyers in einem schwierigen Fall. Am Ende verurteilt der Richter den 46-Jährigen, der seine Stieftochter sexuell missbraucht haben soll, zu einer langen Haftstrafe
Ingolstadt/NeuburgSchrobenhausen Im Missbrauchsprozess um einen 46-Jährigen, der ein heute 15-jähriges Mädchen aus dem Landkreis Neuburg-Schrobenhausen mehrmals schwer sexuell missbraucht haben soll, blieb es spannend und dramatisch bis zum Schluss (wir berichteten). Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung hielten am Mittwoch vor der Jugendkammer des Ingolstädter Landgerichts überzeugende Plädoyers, bevor der Vorsitzende Richter schließlich sein Urteil sprach.
Die Beweisführung gestaltete sich während des ganzen Verfahrens schwierig. Es gibt keine DNA- oder sonstigen Spuren und auch keine unmittelbaren Zeugen. So drehte sich das Verfahren vor allem um die Glaubhaftigkeit der Aussagen des mutmaßlichen Opfers. Und darauf konzentrierte sich auch Staatsanwalt Jochen Metz in seinen Ausführungen. Strukturiert fasste er noch einmal alles zusammen, was die Glaubwürdigkeitsgutachterin zweimal vor Gericht dargelegt hatte, und kam somit ebenfalls zu dem Schluss, dass es keine Hinweise darauf gebe, dass das, was das Mädchen geschildert habe, nicht passiert sei. Die 15-Jährige hatte im Zeugenstand erzählt, dass ihr damaliger Stiefvater sich 2016/2017 sowohl im Campingurlaub als auch in ihrem Kinderzimmer mehrmals über sie hergemacht habe. Die Vorwürfe reichten von Berührungen bis hin zur Vergewaltigung. Der Staatsanwalt forderte eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und zehn Monaten.
Nebenklagevertreter Klaus Wittmann sah die Angelegenheit wie der Staatsanwalt. Er sprach davon, dass sich selten in einem Verfahren so intensiv mit der Glaubwürdigkeit eines Opfers auseinandergesetzt worden sei. „Ich bin vollständig überzeugt, dass die Aussagen wahr sind“, sagte Wittmann.
Verteidigerin Marion Reisenhofer war da natürlich ganz anderer Ansicht. Sie verglich das Verfahren mit einer Dampfwalze, die sich durch das Leben des Angeklagten und der Nebenklägerin sowie ihrer Familien wälze. Anschließend legte die Anwältin dar, was ihr an dem gesamten Verfahren aufstoße: zum Beispiel, dass der Haftbefehl vor zwei Jahren außer Vollzug gesetzt wurde, ihr Mandant dann aber völlig überraschend nach dem ersten Verhandlungstag in Haft genommen wurde. Er konnte sich nicht einmal von seinem Sohn verabschieden. „Das war einschneidend“, sagte Reisenhofer. Zum wiederholten Mal kritisierte sie, dass manche Schilderungen des
Mädchens anatomisch gar nicht möglich seien. Dass die 15-Jährige unerwartet „cool und gefasst“wirke. „Sonst haben wir hier viel mehr Tränen.“Reisenhofer blieb dabei, dass das Glaubwürdigkeitsgutachten trotz Nachbesserungen Mängel aufweise. Nach wie vor sei zum Beispiel nicht ausreichend geklärt, inwieweit die psychischen Störungsbilder des Mädchens Einfluss auf ihre Aussagen haben könnten. Außerdem betonte die Verteidigerin den Rechtsgrundsatz „In dubio pro reo“– im Zweifel für den Angeklagten. Sollte das Gericht also nur die geringsten Bedenken haben, müsse ihr Mandant freigesprochen werden. Und dies forderte sie dann auch.
Die Jugendkammer um den Vorsitzenden Richter Gerhard Reicherl kam letztendlich zu dem Urteil, dass der Angeklagte schuldig sei. Schuldig des mehrmaligen (schweren) sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen und auch schuldig der Vergewaltigung. Insgesamt ging es um neun Vorfälle. Reicherl sprach von einem Verfahren mit „Sprengkraft“. Trotzdem habe er „überhaupt keine Zweifel an den Aussagen des Mädchens“. Das Gericht verhängte eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren. Besonders schwer wiege, so der Richter in seiner Urteilsbegründung, dass sich der Mann an einer Schlafenden vergangen habe, für die er eine Vaterfigur gewesen sei. Und dass das Mädchen nun mit erheblichen Folgen zu kämpfen habe. Dementsprechend entschied er auch den Adhäsionsantrag der Nebenklagevertretung im Sinne der Nebenklägerin: Sie soll 21.000 Euro Schmerzensgeld bekommen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Verteidigerin will in Revision gehen.