„Nachholbedarf, gerade in der Technik“
Wie andere Lebensbereiche so hat die Pandemie auch den Alltag am Neuburger Amtsgericht beeinflusst. Aber nicht so stark, wie man vielleicht meinen könnte. Über einen ordentlichen Rückblick – und einen digitalen Ausblick
Neuburg Außergewöhnlich waren im vergangenen Jahr weniger die Fälle, die am Amtsgericht in Neuburg verhandelt wurden, als die Umstände, die es verlangten: Die Corona-Pandemie hat wie in vielen Bereichen, Branchen und Behörden den Arbeitsalltag stark beeinflusst. Und verändert, wie sich zeigt.
Grundsätzlich liegt der Schwerpunkt des Amtsgerichts auf Strafsachen. Ein Blick in die Statistik verdeutlicht, dass Fälle dieser Art im Vergleich zu 2019 (1906) gestiegen sind. Zu den 2044 Fällen im Jahr 2020 gehören insgesamt 323 Anklagen, 614 Strafbefehlsanträge und 308 Bußgeldverfahren. Außerdem 344 Ermittlungsverfahren, die ebenfalls einen Anstieg zu 2019 (202) verzeichnen.
Wie der Amtsgerichtsdirektor Christian Veh erklärt, sei es vor allem auf die Prämisse des Coronavirus zurückzuführen, dass bestimmte Delikte seltener bei Gericht aufgeschlagen sind – unter anderem Wohnungseinbrüche. Hier sei die Tendenz eindeutig nachlassend. Was daran liege, dass Einbrecher in seltener unterwegs waren. Auch Schlägereien und tätliche Angriffe gegen Uniformierte wie Polizisten oder Feuerwehrkräfte seien zurückgegangen, ebenfalls aus Gründen des Lockdowns und Lokalschließungen.
Was das Zivilgericht betrifft, entwickeln sich die Zahlen rückläufig. Demnach sind die Klagen von 671 im Vorjahr auf 560 gesunken. Die Zahl der Zwangsvollstreckungen ist mit 1802 nahezu gleich geblieben. Demgegenüber stiegen allerdings die Nachlassverfahren von 986 im Jahr 2019 auf 1051. Mit Blick auf das Familiengericht fällt auf, dass eine größere Welle etwa an Umgangssachen und Kindeswohlgefährdungen im Sommer 2020 aufgeschlagen ist. Isabell Streif spricht von einer „unglaublichen Flut“im Juni und Juli 2020. Das hänge wohl auch damit zusammen, dass sich der Konflikt zwischen Eltern während des Lockdowns verschlimmert hat, die betreffenden Personen aber erst nach dem Lockdown einen Anwalt kontaktiert haben. Insgesamt hat sich das Familiengericht im CoronaJahr mit 1107 Fällen beschäftigt – ein leichter Anstieg zu 2019 (1026).
Was wenig verwundern dürfte, ist die Tendenz innerhalb der Ordnungswidrigkeiten: Immer häufiger hat das Amtsgericht mit Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz zu tun. „Das hatten wir vorher gar nicht“, bemerkt Verena Käbisch, die als Richterin für diesen Bereich zuständig ist. Dafür, sagt sie weiter, seien die Verstöße im Verkehrsbereich 2020 zurückgegangen.
Als die Pandemie nach Deutschland kam, haben ihre Bedingungen das Arbeitspensum am Amtsgericht eingeschränkt – wenn auch nur vorübergehend, wie Christian Veh erklärt. Es sei kein „ganz großer Berg“liegen geblieben. Dennoch müsse einiges aufgearbeitet werden. Auch auf das Arbeiten selbst, die Art und Weise, hat sich das Virus ausgewirkt – der Alltag ist digitaler geworden. Udo Kotzur hat diesen Umschwung als Geschäftsleiter mitorganisiert. Er sagt: „Es war nicht so einfach.“Zumal man anfangs versucht habe, den Lockdown mit wechselnden Homeoffice-Schichten und Überstunden aufzufangen. „Das war keine Lösung.“Der Staat habe sich dann gekümmert, das Personal zuhause mit Laptops und nötiPandemie-Zeiten ger Technik versorgt. Problematisch aber blieben die Papierakten, die von einem Ort zum anderen transportiert werden mussten. Mit viel Kreativität hätten die Betroffenen dieses Dilemma gestemmt. „Es geht“, resümiert Udo Kotzur, der nun – nach 48 Jahren Amtsgericht – im Oktober 2021 in Pension gehen will. Aber: „Nachholbedarf, gerade in der Technik, besteht.“
Unvermittelt, bekräftigt Christian Veh in diesem Zusammenhang, sei das Amtsgericht wie auch andere Behörden von der Pandemie getroffen worden. „Dass wir so gut durch die Krise gekommen sind, hängt auch von den Geschäftsstellen ab, die bis an die Grenzen gegangen sind. Größter Respekt.“
Tatsächlich wurden umgehend Plexiglasscheiben in den Sälen des Neuburger Amtsgerichts installiert, die Räume mit Desinfektionsmittel, die Mitarbeiter mit FFP2-Masken versorgt. „Wir konnten schnell guten Gewissens weiterarbeiten“, bestätigt Verena Käbisch. Später führte das Amtsgericht den QR-Code ein, der Besuchern – bei Bedarf – eine kontaktlose Kontaktdatenerfassung am Einlass ermöglicht.
Hier, an der Schleuse des Amtsgerichts, soll sich baulich ohnehin etwas tun. Nachdem das Vorhaben schon lange angesetzt war, konkretisiert es sich nach und nach. Immer wieder mussten Denkmal- und Brandschutz bedacht werden. „Wir sind in diesem Bereich auch räumlich begrenzt“, erzählt Udo Kotzur. Zudem soll sich eine Lösung optisch in das Ensemble fügen. „Jetzt sind wir im Planungsstand sehr weit.“Am Ende war es also gut, dass es ein wenig länger gedauert hat – auch weil der Kostenpunkt des Projekts bei etwa 500.000 Euro liegt.
Bleibt noch eine Frage zu klären: Wie fällt der Blick in die Zukunft aus? Vor allem digital. Denn auch wenn Verhandlungen nicht in allen Bereichen über Videocalls und das Telefon erfolgen werden, können und sollen, sind elektronische Akten ein großer Schritt des Amtsgerichts in Richtung digitale Justiz. Und in Richtung Homeoffice. Zumal der Krisenmodus wahrscheinlich noch andauern wird. „Wir sind noch nicht durch“, sagt Christian Veh. Allerdings sei man bisher gut durchgekommen, „weil alle Abteilungen zusammengehalten haben“.