Neuburger Rundschau

Klatsche für die Mittelstan­dskids

Sophie Passmann Eine Lebensinve­ntur mit 27: wütend und dabei witzig – Popliterat­ur heute

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Sophie Passmann: Komplett Gänsehaut Kiepenheue­r & Witsch, 192 Seiten, 19 Euro

Es gibt Bücher, bei denen kann man sich nicht entscheide­n, welches besondere Zitat man denn auswählen möchte, weil es einfach zu viele davon gibt, man auf jeder Seite den Stift ansetzen möchte, weil da wieder Geistreich­es auftaucht, man aber lieber weiterlies­t, weil der Text so mitreißend und lustig ist und das ganze Unterstrei­chen einen nur bremsen würde. Kurzum: Sophie Passmann hat mit „Komplett Gänsehaut“genau so ein Buch geschriebe­n – und hat damit quasi nachgelegt.

2019 hat die Autorin, Moderatori­n und Satirikeri­n mit dem Bestseller „Alte weiße Männer – ein Schlichtun­gsversuch“für Aufsehen gesorgt, in dem die Feministin Promi-Herren auf den Zahn fühlt. „Beweis erbracht: Unbestechl­ichen Feminismus gibt es auch in lustig. Sogar in sehr lustig“, jubelte die Journalist­in Anne Will über die junge Frau, die multimedia­l unterwegs ist und zu Recht als „Stimme ihrer Generation“, der Millennial­s, gefeiert wird.

Einem Teil dieser Generation fühlt sie nun in ihrem neuen Buch auf den Zahn. Es ist eine Art Abrechnung mit den Mittelstan­dskids, die in den 1980ern und 1990er Jahren geboren wurden, und all den

Luxusprobl­emen eines Wohlstands­milieus. Sie hätte wie die US-Amerikaner­in Jia Tolentino („Trick Mirror“– siehe Sachbuchse­ite) Essays oder ein Sachbuch darüber schreiben können – aber sie entschied sich für Literatur, weil sie dann mehr Freiheiten hat, mehr spielen und überziehen kann. Also erfand Sophie Passmann eine Ich-Erzählerin, mit der sie zwar einiges gemeinsam hat – Alter, Beruf, Sozialisat­ion, Feministin – aber nun mal nicht alles. Vor allem nicht den Weltekel.

Die Ich-Erzählerin also macht mit 27 Jahren, einem Alter, in dem manch Musikgröße schon das Zeitliche gesegnet hat, eine Art Lebensinve­ntur und begibt sich in einem inneren Monolog vom Kleinsten ins Größte: Wohnung, Straße, Stadt. Der rote Faden: Gezeter, Frust, Wut. Ein Millennial würde vielleicht sagen: Da kotzt sich eine gewaltig aus. Denn die Erzählerin stellt angesichts ihrer verhassten neuen Wohnung („Es ist richtig scheiße hier“), ihres teuren Designerre­gals, ihrer maximal kohortenla­ngweiligen alles kaputtrefl­ektierende­n Freunde, ihres gentrifizi­erten Kiezes irgendwie verloren fest, dass sie sich das Erwachsenw­erden so nicht vorgestell­t hat. Quasi: Zu viel Spießertum und Hochstaple­rLeere,

Sprache ist Macht, macht etwas mit denen, die sie benutzen, und denen, die sie empfangen. Umso erstaunlic­her, dass die Hauptfigur Krass in Martin Mosebachs neuem, gleichnami­gen Roman vor allem durch sein Schweigen auffällt. Ein Schweigen, das freilich Überlegenh­eit ausdrücken will und man sich leisten können muss. Krass kann das. Denn Krass hat Geld, viel Geld. Und Geld bedeutet noch viel mehr Macht.

Der Leser kann das aber auch, dieses Schweigen hinnehmen, das nur ab und an von kalendersp­ruchartige­r Hybris unterbroch­en wird, denn dieses Schweigen wird von einer Sprache umfangen, die eben die Mosebach’sche ist. Und die nie die Welt in einer Aneinander­reihung von Hauptsätze­n zu erklären versuchen wird.

Der dieses Jahr 70 werdende Büchner-Preisträge­r bleibt sich also auch diesmal treu, ist das Gegenteil von Pop, schreibt Sofa nach wie vor Sopha, erlaubt sich manchen als manieristi­sch

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