Neuburger Rundschau

Ein launiger Roman über Identitäts­diskurse – wie geht denn das?

Mithu Sanyal

- Von wegen Inderin!

auch die Verteidigu­ngshaltung von Saraswati. Mal bezeichnet sie sich in den hitzigen Diskussion­en mit der Lieblingss­tudentin als postracial, dann erklärt sie sich zur Race-Terroristi­n, fragt: Wenn man sich sein Geschlecht aussuchen darf, warum dann nicht seine Rasse? Und überhaupt: Race ist nur ein Konstrukt – und habe sie nicht durch ihre Arbeit die Welt für People of Colour verbessert?

Was soll da die Studentin Nivedita nur dagegenhal­ten, die sie sich betrogen fühlt, verletzt und vor allem verwirrt, nachdem ihr die Professori­n als Rollenmode­ll abhandenge­kommen ist: „In einer Welt, in der Saraswati weiß ist, verstehe ich mich selbst nicht mehr.“Da kann auch die indische Göttin Kali nicht helfen, mit der Nivedita Gespräche führt, darüber in ihrem Blog schreibt. In dem spielen neben Identitäts­fragen übrigens auch Brüste eine Rolle, daher auch das Pseudonym: Identitti.

Mit Nivedita, der Heldin dieses Romans, teilt sich die Autorin die Herkunftsg­eschichte: Der Vater ist aus Indien, die Familie der Mutter stammt aus Polen. Das Kind: mixed raced, wie man sagt. Im Roman heißt es: „Ihr Problem war, dass sie das Gefühl hatte, Identitäte­n seien

vor, dass so etwas nicht passiert! Merkwürdig ruhig bleibt allerdings der oberste Labor-Boss, der blinde Dr. Fröhlich. Er scheint sogar ein Interesse daran zu haben, die Schnittste­lle von Mensch und Maschine weiterhin sauber zu unterschei­den. Spürt Fröhlich womöglich mehr als sein ganzer Stab?

Raphaela Edelbauer durchmisst in Art der Göttlichen Komödie von Dante das gesamte Sein vom lichtesten Gipfel bis hinab in die finsterste Unterwelt. Sage einer noch, die alte Metaphysik wäre tot! Diese abenteuerl­iche Erzählung beweist das Gegenteil. Die Frage nach Geist und Materie stellt sich hier und heute in einer Schärfe, die sich durch ein Drittes aufgibt, nämlich eine sich verselbsts­tändigende Virtualitä­t. Was ist wirklich, was nur Schein? Was ist wahr und was nur vorgegauke­lt? Bin ich und wenn ja, in wie vielen Identitäte­n existiere ich? Das ist Albtraum ebenso wie Offenbarun­g. Alois Knoller etwas für andere Leute. Und sie hätte kein Anrecht darauf, weil sie zwischen alle Kategorien und durch alle Ritzen fiel.“Zum ersten Mal repräsenti­ert fühlt sich Nivedita im Proseminar von Saraswati.

Dass Sanyal in die Diskussion diesen leichten Ton bringt, Campus-, Gesellscha­fts- und Debattenro­man in eine Form gießt, ist die eine Kunst. Die andere: Wie dieser Roman dennoch auch von großer Ernsthafti­gkeit getragen ist. Während Sanyal schrieb, geschahen die rassistisc­hen Morde von Hanau. Das Entsetzen, die Trauer sind ins Buch mit eingefloss­en. Für den Shitstorm, der über Saraswati, aber auch Nivedita fegt, hat die Schriftste­llerin, selbst oft schon im Zentrum eines solchen Sturms, Mitstreite­r um Beiträge gebeten: Und so finden sich nun eigens fürs Buch geschriebe­ne Tweets von Fatma Aydemir, Antje Schrupp oder Ijoma Mangold.

Was an „Identitti“neben all dieser kunstferti­gen Konstrukti­on aber vor allem beeindruck­t: dass Mithu Sanyal den Leser nicht nur einmal rasant quer durch den Theorie-Parcour treibt, sondern am Beispiel von Nivedita und Saraswati auch zeigt, wie sich in der hitzig geführten Debatte darüber sprechen und streiten lässt. Stefanie Wirsching

Mithu M. Sanyal: Identitti

Hanser,

432 Seiten, 22 Euro

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