Szenen einer Spaltung
Anne Applebaum Mehr als nur kluge Analyse: Hier wird das politische Problem persönlich
Anne Applebaum: Die Verlockung des Autoritären A.d. Engl. von Jürgen Neubauer Siedler, 208 Seiten, 22 Euro
Gibt es nicht schon genug Bücher, die das Erstarken der neuen Rechten in seiner internationalen Breite und nationalen Tiefe ergründen? Mag sein.
Doch dieses hier ist anders. Und nicht einfach nur, weil es von Anne Applebaum stammt, einer stets klugen und unter anderem auch schon mit Pulitzer Prize geehrten Journalistin und Historikerin. Dass auch Barack Obama dieses Buch in seine Liste der Lieblingsbücher aufnahm, hat mit der besonderen Perspektive zu tun. Denn die gebürtige USAmerikanerin ist ja nicht etwa Parteigenossin. Applebaum lebt in Polen, ist inzwischen Polin, ist mit dem ehemaligen Minister Radoslaw Sikorski verheiratet, einem Konservativen, ist selbst konservativ. Und sie ist mit vielen Konservativen weltweit vernetzt. Wobei da in Teilen heute gilt: Sie war es. Und genau das ist das Problem, das ein großes politisches ist, hier aber im unmittelbar Persönlichen offenkundig wird.
Und so beginnt dieses Buch, dessen Titel mit „Die Verlockung des Autoritären“so analytisch abstrakt daherkommt, wie es endet: mit einer Party. Die eine findet 1999 eher improvisiert im Landhaus statt, freudig vereint feiern jüngere und ältere „Konservative und Antikommunisten“
aus Polen, Europa, den USA. Die andere findet 20 Jahre später statt, der Rahmen zeugt vom gestiegenen Wohlstand im Land, die Gäste aber von einer veränderten Lage. Denn einige von damals sind nicht nur einfach nicht wieder da – sie würden mit den nun Versammelten auch kein Wort mehr reden. Sie sind Gegner, zu Feinden geworden.
Es ist die Spaltung der Konservativen, die Abspaltung jener neuen Rechten, die hier offenkundig wird und die Applebaum dann von Polen ausgehend untersucht: in Ungarn, Spanien, England, Griechenland, Frankreich, den USA… Nicht in Deutschland, es fällt aber voll ins Beschriebene. Denn es geht der Autorin ja eben um keine Systemanalyse, sondern um das Verstehen im Konkreten, sichtbar gemacht an eigenen Begegnungen. Darunter auch Boris Johnson, der vom Rad steigt, als er sie auf der Straße sieht und in den nächsten Pub einlädt – war ja doch mal Schulfreund ihres in der Abgrenzung nach rechts auch nicht immer ganz sattelfesten Ehemanns.
Aber Autoritarismus? Das ist für Applebaum nach der Verhaltensökonomin Karen Stenner schlicht das Verlangen des Drittels „der Bevölkerung jedes beliebigen Landes“, das keine Komplexität aushält, lieber
Das Buch über einer Badewanne, eine Leserin damit in einem Café, hübsch drapiert zwischen dem Mittagessen oder auf dem Sofa – eigentlich ganz normal, so etwas, dieser Tage, auf Instagram etwa. Aber. Genau um diesen Irrsinn des Postens und des Meinungsvermarktens geht es doch in „Trick Mirror“, dem Buch, das da alle zeigen. Sie mögen die klugen Sätze gelesen, die Botschaft verstanden haben – und dennoch können sie sich dem Ganzen nicht entziehen. Da geht es ihnen wie der Autorin höchstselbst.
Jia Tolentino ist in den USA bereits ein Star. Als 2019 ihr erster Essayband „Trick Mirror“herauskam, landete er sofort auf der Bestsellerliste der New York Times, die Autorin wurde als die „Didion unserer Zeit“, als die „Susan Sontag der Millennials“gefeiert, weil sie den Zeitgeist erfasst, Unbequemes ausspricht, Finger in Wunden legt. Barack Obama zählt zu ihren Fans und hat „Trick Mirror“auf seine Liste