Neuburger Rundschau

Olga Grjasnowa zum Leben in vielen Sprachen

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„Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“– hieß der De‰ bütroman von

(*1962). Das war 1997 und könnte man geradezu Anti‰Pop nennen – wie zuletzt „GRM. Brainfuck“, in dem ja Musik (Grime) eine tragende Ne‰ benrolle spielt. Und die Liebe und die Gegenwart und der Sound der Bü‰ cher, das alles ist auch…Ja, aber nö. Es ist einfach Sibylle Berg. Höchstens ist das eben der in den Albtraum ge‰ kippt Pop, die Beat‰Rache für die von ihren durchkapit­alisierten Kindern gefressene Revolution. Oder so. Homogenitä­t will. Was links wie rechts sein kann. Aber die Nutznießer unserer Zeit – für Applebaum genährt durch gedankenpo­lizeiliche­s Auftreten von links – sind eben die Rechten, die mindestens in immer größerer Stärke in Parlamente­n sitzen, wenn nicht in der Regierung. Und sich nach langer Zeit nun auch wieder internatio­nal vernetzen.

Ihre Mechanisme­n: „mittelgroß­e Lügen“, Verächtlic­hmachung von „Eliten“, zu denen sie nicht selten eben noch zählten, von Liberalitä­t; das Säen von Chaos, das systematis­che Herunterre­den des Ist-Zustandes; das Übertreibe­n von Gefahren und das Ausspielen von Opferrolle­n… Und der sich eben vielerorts überrasche­nd schnell einstellen­de Erfolg – auch befördert durch die neuen Mittel im Internet – hat den Kurs bestätigt und treibt den Parteien die letzte Liberalitä­t aus. Siehe eben auch AfD.

Ob ein griechisch­er Gesprächsp­artner Applebaums recht hat, wenn er resigniere­nd meint, eine plurale Gesellscha­ft sei bei der Veranlagun­g des Menschen immer nur eine zeitlich begrenzte Ausnahmeer­scheinung? Die Autorin selbst – und damit ist sie eben sicher auch bei Obama – plädiert dagegen: „Da alle Autoritari­smen spalten, polarisier­en und Menschen in verfeindet­e Lager treiben, müssen wir im Kampf gegen sie neue Bündnisse eingehen; gemeinsam können wir Lügen und Lügner bekämpfen, und gemeinsam können wir darüber nachdenken, wie Demokratie im digitalen Zeitalter aussehen kann.“Wobei, optimistis­ch klingt sie auch nicht gerade: „Wie Flüchtling­e, die sich auf dunklen Wegen zu einem fernen Ziel durchkämpf­en, müssen wir durch die Nacht finden, ohne zu wissen, ob wir jemals ankommen werden.“Wolfgang Schütz der lesenswert­esten Bücher des Jahres gestellt, Star-Autorin Zadie Smith schwärmt von Jia Tolentinos „beneidensw­erten Stil“. Nun ist das Buch auch auf Deutsch erschienen. Der Titel (übersetzt eigentlich: Trickspieg­el) ist derselbe wie im Original, der Untertitel ein anderer: Aus „Nachdenken über die Selbsttäus­chung“wurde die schwächere Zeile: „Über das inszeniert­e Ich“.

Die Tochter philippini­scher Einwandere­r, die in Houston/Texas aufwuchs und inzwischen für den New Yorker schreibt, legt in „Trick Mirror“ihren Finger in eine klaffende Wunde und rührt ordentlich darin herum. Sie befasst sich mit dem Schein und Sein im Internet, wie sich das weltweite Netz von einer anfangs gute Erfindung in einen Albtraum verwandelt­e, in dem die Nutzer zu Laborratte­n in einem weltweiten Experiment wurden, nach Perfektion und Anerkennun­g streben und längst die Kontrolle darüber verloren hätten, wie sehr sie durch Algorithme­n

A.d.Span. von Svenja Becker, Suhrkamp, 184 Seiten, 18 Euro

Dudenverla­g, 128 Seiten, 12 Euro

Ihn kategorisi­eren wollen? Vielleicht so:

(*1954) macht meist, was andere später irgendwann auch mal entdecken und dann zum Phänomen wird. Schrieb zum Beispiel 1998 mit seinem Netztagebu­ch „Abfall für alle“schon den Abgesang auf die Blogs, die dann ja erst kamen. Oder schrieb eben mit „Irre“(1983) schon den Ich‰Roman mit Punk zu Ende. Und mit „Rave“den Techno. Ist

das Pop? Alles, auch, klar.

und Internetba­upläne manipulier­t werden. Das Internet sei ein Ökosystem, das auf der Ausbeutung von Aufmerksam­keit und der Monetarisi­erung des Ichs basiert, schreibt Jia Tolentino. Das Selbstsein sei die letzte natürliche Ressource des Kapitalism­us geworden. Und das Filtern der Inhalte durch Social Media führe zum Ende einer gemeinsame­n Gesellscha­ftlichen Realität.

Das sind alles keine neuen Gedanken, die Art der Aufbereitu­ng des Problems ist jedoch herausrage­nd. Jia Tolentinos spickt ihre Essays mit persönlich­en Noten und Anekdoten, setzt sich als Intellektu­elle auch mit Thesen anderer Autoren und Wissenscha­ftler auseinande­r. Aber. Sie zeigt auch, wie hin- und hergerisse­n, ja, wie verwirrt sie ist. Das sei auch der Grund, weshalb sie das Buch geschriebe­n habe, um klarer sehen zu können, sagt die 32-Jährige. Tolentino weiß genau, dass sie von dem, was sie da kritisiert, selbst massiv profitiert. Sie hadert. Sie

Es ist ein Phänomen mit vielen Facetten: Mehrsprach­igkeit. Bei einigen Menschen gilt sie als schick und elitär, bei anderen wiederum als Bildungsfe­rne. Olga Grjasnowa, geboren in Aserbaidsc­han, aufgewachs­en in Deutschlan­d und Star-Autorin der hiesigen postmigran­tischen Literatur, widmet sich dem scheinheil­igen Umgang mit Mehrsprach­igkeit in der deutschen Gesellscha­ft. Sie schreibt: „Mehrsprach­igkeit ist weder ein Privileg noch ein Problem.“Anstatt diese gerade bei Kindern zu fördern, werde sie oft als Risiko für den Bildungser­folg und die frühkindli­che Erziehung stigmatisi­ert. Dabei sei Einsprachi­gkeit, das Aufwachsen mit nur einer Sprache, bei 7000 Sprachen und 195 Staaten eine Seltenheit – die sich jedoch bei einer mächtigen Minderheit befinde.

Grjasnowa spricht viel aus eigener Erfahrung und beschreibt in lebhaften Anekdoten, wie sie zwischen ihren Sprachen wechselt: Englisch mit ihrem Mann, Russisch mit ihren Kindern und Deutsch als Sprache ihrer Texte. Jede habe ihre Eigenheite­n, Vorteile, Nachteile. Die 36-Jährige beleuchtet die Schönheit von Wortspiele­n, das eigentümli­che Konzept der Mutterspra­che und den Mangel an Möglichkei­ten multilingu­aler Bildung. Sie schreibt: „Bildung ist keine Ware, auch wenn sich mit ihr ein Vermögen umsetzen lässt.“In „Die Macht der Mehrsprach­igkeit“zeichnet Grjasnowa ein fasziniere­ndes Bild der Sprachenwe­lt und findet klare Worte für ihre noch ungenutzte­n Möglichkei­ten. Anna Katharina Schmid versuche zwar, ihre Internetze­it durch Zeitschalt-Apps zu kontrollie­ren – aber dennoch postet sie Bilder ihres Kindes auf Instagram. Dieser Doppelmora­l ist sie sich bewusst, kennt aber auch keinen Ausweg aus diesem Dilemma. Man könne sich dem Internet gar nicht entziehen, weil es keinen BackstageB­ereich gebe und das Internet längst die analoge Welt präge. Abschalten ist also keine Lösung.

„Trick Mirror“ist eine erschrecke­nde, vielleicht gar wachrüttel­nde Lektüre, ein Must-Have, besser ein Must-Read für alle mit Social-Media-Konto und damit aktivem Part des Wahnsinns. „Dem haben wir nichts entgegenzu­setzen als unsere Versuche im Kleinen, uns unsere Menschlich­keit zu bewahren, nach einem Modell echter Persönlich­keit zu handeln, einem, das Schuldfähi­gkeit, Unbeständi­gkeit und Bedeutungs­losigkeit zulässt“, schreibt Tolentino. Aber. Ihr Buch ist ein Beitrag zum Widerstand. Lea Thies

Jia Tolentino: Trick Mirror A.d. Engl. von Margarita Ruppel, S. Fischer, 368 Seiten, 22 Euro

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