Zwischen den Zeiten, zwischen den Räumen
Zum deutsch-jüdisches Festjahr 2021 hat sich unser Autor mit jüdischem Leben in Neuburg beschäftigt. Wurden zum Beispiel jüdische Zwangsarbeiter bei Globol vor der Deportation gerettet? Ein Blick ins Stadtarchiv
Neuburg Seit mindestens 1700 Jahren leben Jüdinnen und Juden auf dem Gebiet des heutigen Deutschland – nachweislich seit dem 11. Dezember 321, als ein Edikt Kaiser Konstantins die Berufung von Juden in Ämter der Stadtverwaltung von Köln gestattete. Dieser erste urkundliche Beleg für die Existenz einer jüdischen Gemeinde auf deutschem Boden steht am Anfang einer wechselvollen Geschichte. Einer Geschichte mit tiefen Zäsuren und Brüchen. Aber auch einer Geschichte der Vielfalt und der Bereicherung in allen Lebensbereichen, in Politik und Gesellschaft, Wissenschaft, Kultur und Sport.
Das Jubiläum der Ersterwähnung jüdischen Lebens hierzulande ist Anlass für ein bundesweites deutsch-jüdisches Festjahr, das 2021 gefeiert wird.
Neuburg ist keine vom Judentum mit geprägte Stadt. Dennoch gibt es immer wieder Verweise auf jüdisches Gemeindeleben hier vor Ort. Dieses entfaltete sich zum Beispiel in der 1505 geschaffenen sogenannten „Jungen Pfalz“nur mit Schwierigkeiten und Unterbrechungen. Dabei rücken im Spannungsfeld zwischen den Pfalzgrafen von PfalzNeuburg und späteren Kurfürsten von der Pfalz als Landesherren einerseits und den jüdischen Schutzverwandten andererseits insbesondere Städte wie Gundelfingen, Hilpoltstein, Höchstädt, Lauingen, Monheim und die damalige Residenz Neuburg an der Donau in den Blick. „Im dörflichen und kleinstädtischen Raum spielten sich Prozesse von Integration und Abgrenzung ab, die hier auf breiter Quellenbasis nachgezeichnet werden“, so beschreibt es Monika Müller in ihrer Dissertation „Judenschutz vor Ort. Jüdische Gemeinden in Pfalz-Neuburg“.
Im Jahre 1552/53 erfolgte wohl die erste Ausweisung von Juden durch Pfalzgraf Ottheinrich. Ab 1614, unter Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm, wurden wieder Juden im Land aufgenommen. Aber schon 1671 mussten sie das Land erneut verlassen, einige blieben allerdings bis 1684. Die dritte Epoche ging von 1695/96 (Pfalzgraf Johann Wilhelm musste seine Finanzen aufbessern) bis zur Ausweisung 1741.
Zwischen den Zeiten, zwischen den Räumen – so ließe sich jüdisches Leben im frühneuzeitlichen Alten Reich darstellen. Juden trieben Handel weit über die damaligen territorialen Grenzen hinaus. Ihre religiösen Bezugspunkte fanden sie keineswegs immer in dem Herrschaftsbereich, in dem sie lebten, die Geschichtswissenschaft ging sogar so weit, „jüdische Geschichte fernab der tradierten Epochenmarken anzusiedeln, und setzte etwa ein ,jüdisches Mittelalter’ bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts an“.
Im Gespräch mit Stadtarchivar Patrick Wiesenbacher und dessen Amtsvorgängerin Barbara Zeitelhack wurde deutlich, dass heute nur sehr wenig Belege für jüdisches Leben in Neuburg vorhanden sind.
Ein erstes Merkmal, erzählt Patrick Wiesenbacher, sei ein Grabstein, datiert mit Jahreszahl – 1241 – der 1955 bei Ausgrabungen am Harmoniegebäude (das heute zur Neuburger Stadtverwaltung gehört) gefunden worden. Im Stadtarchiv findet sich zudem ein Beleg über jüdische Mitbürger aus dem Jahr 1713, hier sind 14 jüdische Familien aufgelistet, die wohl sehr wohlhabend waren. Allerdings war ein jüdischer Hausbesitz damals verboten.
Weitere Quellen tauchen dann erst im 19. Jahrhundert auf. Hier wird eine Familie Model genannt, deren Vorfahren sogenannte „Hofjuden“, also Kaufmänner waren, die für den Adel, in diesem Fall für die Marktgrafschaft BrandenburgAnsbach, angestellt waren, um Luxusgüter zu beschaffen.
Salomon Model, auch dies wird in den Quellen des Archivs deutlich, hatte immer wieder Probleme mit der Stadt und ab dem Jahr 1821 keinen Schutz mehr bekommen. Zudem waren die Geschäfte damals für ihn wohl sehr schwierig. Interessant, sagt der Stadtarchivar, sei auch ein Eintrag über Sabina Model und deren „Truhenbestattung“. Denn es gab weder eine jüdische Grablege noch eine Synagoge in Neuburg.
„Anfangs des 20. Jahrhunderts gab es zwei jüdische Familien, die nach ihrem Wegzug aus Neuburg, deportiert wurden“, berichtet die ehemalige Stadtarchivarin Barbara Zeitelhack. Später fänden sich Belege über jüdische Zwangsarbeiter in Neuburg, die bei Globol (Kreidewerke) teilweise aus dem Konzentrationslager in Dachau eingesetzt wurden. Der damalige Firmendirektor Max Scheider habe diese wohl angefordert, um sie vor der Deportation zu schützen.
Im Gespräch verdeutlicht Barbara Zeitelhack besonders auch die Rolle des damaligen nationalsozialistischen Neuburger Bürgermeisters und stellvertretenden Gauleiters Anton Mündler, der sich wohl vehement für die Ausweisung jüdischer Mitbürger eingesetzt hatte, ihnen übel mitspielte und auch Stadtbewohner – wie die aus jüdischen Wurzeln stammende Ärztin Else Heidegger (evangelisch) – erheblich schikaniert hatte.
Viele Quellen wurden durch den Rathausbrand im Jahr 1945 – es lässt sich nach heutiger Dokumentenlage nicht belegen, ob es Brandstiftung war – vernichtet, aber bei Anton Mündler finden sich nach Angaben von Barbara Zeitelhack auch Unterlagen, die sogenannte Spruchkammerakte, im Hauptstaatsarchiv in München.