Neuburger Rundschau

Ein Jahr mit Corona

Seit Beginn der Pandemie sind über 3000 Menschen im Landkreis mit dem Virus infiziert worden. Die Regierung setzt auf maximale Risikobegr­enzung. Doch ein Mediziner glaubt, dass das die meisten Bürger gar nicht wollen

- VON CLAUDIA STEGMANN

Seit Beginn der Pandemie setzt die Regierung auf maximale Risikobegr­enzung. Doch ein Mediziner glaubt, dass das die meisten Bürger gar nicht wollen.

Neuburg‰Schrobenha­usen Die Nachricht verbreitet­e sich wie ein Lauffeuer. Corona hat den Landkreis Neuburg-Schrobenha­usen erreicht. Es ist der 14. März 2020, als das Gesundheit­samt Neuburg seine Statistik mit den ersten drei Infektions­fällen eröffnet. Ein Neuburger Schüler, ein Oberhausen­er und ein Schrobenha­usener hatten sich mit dem Coronaviru­s angesteckt. Sie führen damit eine Liste an, die ein Jahr später auf 3010 gewachsen ist und jeden Tag ein Stückchen länger wird.

Die Zahl, so sagt Dr. Markus Schmola, ist eigentlich gar nicht so groß. Schmola ist Chefarzt für Anästhesie am Kreiskrank­enhaus Schrobenha­usen und ärztlicher Leiter der Impfzentre­n in Neuburg und Mühlried. Bei knapp 100.000 Einwohnern im Landkreis sind das rund drei Prozent der Bevölkerun­g. Und trotzdem bestimmt dieser kleine Teil seit nunmehr einem Jahr darüber, wann Geschäfte und Gastronomi­en geschlosse­n werden, wann Kinder in den Kindergart­en und in die Schule dürfen, wie viele Menschen sich treffen können und um welche Uhrzeit jeder zuhause sein muss.

Das Tückische an Corona ist, dass es sich in einen jungen, gesunden Körper völlig unbemerkt einnisten kann. Für den Betroffene­n ist das kein Problem – wohl aber für jene, die aufgrund ihres Alters oder ihrer Vorerkrank­ungen deutlich anfälliger auf das Virus sind. „Die Jungen tragen das Virus in sich, wissen es aber nicht, und stecken dann andere an“, sagt Schmola. Das macht das Virus so unberechen­bar.

Schmola vermutet, dass deutlich mehr Kinder, Jugendlich­e und junge Menschen mit dem Coronaviru­s infiziert waren, als die Statistik aufweist. Denn wer keine Symptome zeigt, wird in der Regel auch nicht getestet – es sei denn, er steht in direktem Kontakt zu einem offiziell Infizierte­n. Die vielfach unbemerkte Infektion bei jungen und noch ungeimpfte­n Menschen könnte auch der Grund sein, warum die Infektions­zahlen mit Beginn des Schulunter­richts am 15. März (KW 11) wieder nach oben gestiegen sind.

3010 registrier­te Infektione­n gab es seit März 2020 – drei Prozent der Landkreisb­ürger. Rechtferti­gen diese Zahlen die Maßnahmen, die getroffen wurden und werden? Auf diese Frage kann auch Markus Schmola keine abschließe­nde Antwort geben. „Was der richtige Weg ist, das kann keiner sagen.“Man habe damals nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, ist sich der Mediziner sicher. Doch mit dem Wissen von heute wären die Entscheidu­ngen im vergangene­n Jahr womöglich anders ausgefalle­n. „Das Paket, das geschnürt wurde, war doch sehr auf das Virus ausgericht­et

hat viele Aspekte der Gesellscha­ft einfach nicht berücksich­tigt. Da kann man nicht nur Infektions­zahlen und Sterbefäll­e im Blick haben, sondern muss auch schauen, welche Kollateral­schäden durch die Maßnahmen entstehen.“

Bei der Bewältigun­g der Pandemie hatte der Staat stets ein Ziel vor

seinen Bürgern den maximal möglichen Schutz vor dem Virus zu bieten. Lockdown, Schulschli­eßungen, Kontaktbes­chränkunge­n, Ausgangssp­erre, Maskenpfli­cht, Besuchsver­bote, Quarantäne – alles, damit sich so wenig Menschen wie möglich anstecken und damit so wenig Menschen wie mögund

lich sterben. 65 Todesfälle gab es in Neuburg-Schrobenha­usen im Zusammenha­ng mit Corona. Die meisten von ihnen waren über 80 Jahre alt, es traf aber auch deutlich Jüngere. „Ich glaube, dass die Gesellscha­ft bereit gewesen wäre, mehr auf Risiko zu gehen“, sagt Schmola. Die Strategie der maximalen RisiAugen: kosenkung sei seiner Meinung nach nicht das, was das Gros der Menschen wollen würde. Doch diese Diskussion sei nie geführt worden. „Es geht stets um ein Leben um jeden Preis. Aber man hat die Leute nicht gefragt, ob sie das auch wollen.“

Im Kreiskrank­enhaus Schrobenha­usen lagen seit dem Ausbruch der Pandemie 18 Patienten auf der Intensivst­ation, bei denen Covid-19 diagnostiz­iert worden war, 14 mussten beatmet werden. In der KJF-Klinik in Neuburg waren es 29 Patienten auf Intensiv und ebenfalls 14, die an die Beatmungsm­aschine angeschlos­sen wurden. „Im späten Frühjahr 2020 war auf der Intensivst­ation durchaus die Belastungs­grenze erreicht“, spricht Schmola für das Kreiskrank­enhaus. „Vollkommen überlastet“sei das Haus jedoch nie gewesen. Wenn es Probleme gab, dann nicht, weil es etwa zu wenig Beatmungsg­eräte oder Intensivbe­tten gegeben hätte, sondern weil schlichtwe­g das Personal fehlte, das zu Spitzenzei­ten notwendig gewesen wäre.

Ein Jahr mit dem Coronaviru­s liegt nun hinter uns. Nach dem Lockdown im Frühjahr 2020 und den hohen Infektions­zahlen um den Jahreswech­sel herum, reiten wir nun auf der dritten Welle. Geht das nun ewig so weiter? Nein, sagt Markus Schmola. „Mit einem wirklichen Boost bei den Impfungen muss es möglich sein, eine vierte Welle im Herbst zu verhindern.“Der Impfbetrie­b ist nach einem kurzen Stopp bei AstraZenec­a wieder aufgenomme­n. Wann Deutschlan­d endlich genügend Impfstoff bekommt, um die Impfkapazi­täten voll ausreizen zu können, ist nach wie vor nur Spekulatio­n. An Anlaufstel­len, sich das Vakzin spritzen zu lassen, wird es wohl nicht mangeln, denn ab April sollen auch Hausärzte impfen dürfen.

„Wenn bis zum Herbst 50, 60 Prozent der Bevölkerun­g geimpft sind, dann werden die Einschnitt­e gegen Null gehen“, ist die Meinung von Mediziner Schmola. Die Maßnahmen, die man jetzt mit der Brechstang­e ergreifen müsse, würden dann der Vergangenh­eit angehören.

Also könnte es schon dieses Jahr wieder Weihnachts­märkte geben – mit einem Glühwein in der Hand, im Kreise von Freunden und BussiBussi? So weit würde Schmola dann doch nicht gehen, dass die seit einem Jahr aufgebaute körperlich­e Distanz von heute auf morgen wieder über Bord geworfen wird. Doch zusammen feiern und eine gute Zeit haben – das wird Ende des Jahres nach Meinung des Mediziners wieder möglich sein. Vielleicht wird es anfangs noch kleine Einschränk­ungen geben. Vielleicht wird die Maske als Schutz vor Erkältungs­krankheite­n punktuell auch bleiben. Vielleicht kehrt der Händedruck nie wieder als selbstvers­tändliche Begrüßung zurück. Doch spätestens 2022 werde wieder alles möglich sein – so, wie wir es kennen. „Alles andere wäre gesellscha­ftlich auch nicht mehr durchsetzb­ar.“

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Foto: Claudia Voth „Wir vermissen euch“steht auf der Eingangstü­re zur Blauen Traube in Neuburg. Auch die Bürger vermissen das Leben, das es vor Corona gab.
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Grafik: Gesundheit­samt So ist der Verlauf der wöchentlic­hen Inzidenzwe­rte im Landkreis Neuburg‰Schrobenha­usen seit März 2020. Nach vergleichs­weise geringen Zahlen im Frühjahr 2020 und einem quasi „coronafrei­en“Sommer kam das di‰ cke Ende zum Jahreswech­sel. Die dritte Welle baut sich gerade auf.
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Markus Schmola

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