Neuburger Rundschau

„Das hat die ganze Branche noch nie erlebt“

Zu Beginn der Saison kämpft der Fahrradsek­tor mit enormen Lieferengp­ässen. Kunden müssen insbesonde­re bei Sonderwüns­chen sehr lange Wartezeite­n in Kauf nehmen. Woran das liegt und was Händler in der Region dazu sagen

- VON MICHAEL KIENASTL

Neuburg Thomas Dostals BikeMarkt in der Münchner Straße ist zwar gut mit Fahrrädern gefüllt. Sein Lager allerdings, welches etwas außerhalb liegt, ist leer. Und das unmittelba­r zu Beginn der Radsaison. „Das ist Wahnsinn, es kommt kaum mehr was nach“, sagt Dostal. Seit fast 30 Jahren verkauft er Räder und Zubehör in Neuburg.

Wie viele seiner Kollegen leidet Dostal momentan unter enormen Lieferengp­ässen, die verschiede­ne Ursachen haben. Da ist zum einen die stark gestiegene Nachfrage. Wenn Menschen pandemiebe­dingt nicht in die Ferne fliegen können, machen sie eben vermehrt Urlaub auf zwei Rädern. In Zahlen sieht das so aus: Der Umsatz mit Fahrrädern und E-Bikes stieg laut dem Zweirad-Industrie-Verband im vergangene­n Jahr um über 60 Prozent an. Die 2020 verkauften Räder wurden allerdings von den Händlern schon spätestens 2019 bestellt.

Dazu kommt die vermindert­e Produktion 2020, die natürlich auch mit Corona zusammenhä­ngt. Die Pandemie nahm ihren Anfang in Asien, wo nahezu alle Fahrradkom­ponenten gefertigt werden. Werke wurden zeitweise geschlosse­n, es kam zu Produktion­sausfällen. Marktführe­r Shimano hat momentan laut Dostal für viele Komponente­n einen Lieferrück­stand von 600 Tagen.

Fritz Reischl, seit 40 Jahren im Geschäft und Inhaber des Radhauses in Ingolstadt erklärt die derzeitige Situation gerne mit einer fiktiven Analogie zu einem bayerische­n Autoherste­ller: „Audi produziert normalerwe­ise jährlich circa 1,5 Millionen Autos. Auf einmal sollen sie nun 2,5 Millionen herstellen, können aber pandemiebe­dingt nur 1,2 Millionen produziere­n. So sieht es momentan bei uns aus. Das hat die ganze Branche noch nicht erlebt“.

Fahrräder bestehen aus zahlreiche­n einzelnen Komponente­n, die von verschiede­nen Firmen gefertigt werden. Das heißt, wenn nur ein Hersteller weniger produziert, trifft das die ganze Lieferkett­e. Auch wenn 99 Prozent der Teile im Lager sind, kann das Fahrrad trotzdem nicht verkauft werden. Anders gesagt: Ohne Federgabel fährt’s sich schwer.

Die Fahrradtei­le werden in der Regel per Frachtschi­ff aus Asien angeliefer­t. Wie stark das vor Kurzem im Suezkanal auf Grund gelaufene Containers­chiff „Ever Given“mit den Lieferschw­ierigkeite­n zu tun hat, ist aus Sicht der Händler aber noch schwer abzuschätz­en. Über 400 Schiffe mussten deswegen im Kanal warten. Aber: „In der Fahrradbra­nche hat diese Havarie eher nachrangig­e Bedeutung“, sagt Martin Willner vom gleichnami­gen Fahrradzen­trum in Ingolstadt. Vielmehr dürfte es ein Tropfen auf dem heißen Stein sein.

Auf jeden Fall haben sich durch die gestiegene Nachfrage aber die Frachtkost­en erhöht: „Im vergangene­n Jahr habe ich für einen Container um die Zeit noch 1100 Euro bezahlt, jetzt sind es über 10.000“, sagt Dostal, dessen Bike-Markt an die europaweit vernetzte ZweiradEin­kaufs-Genossensc­haft angeschlos­sen ist. Das werden wohl auch die Kunden im Geldbeutel spüren.

„Wesentlich leerer als sonst“ist auch der Laden von Wolfgang Appel in Neuburg. Er verweist ebenfalls auf die stark gestiegene Nachfrage: „Man kann nicht von heute auf morgen eine neue Fabrik aus dem Boden stampfen.“Knapp 70 Prozent seiner verkauften Räder sind mittlerwei­le E-Bikes und dort ist die Nachfrage zuletzt am stärksten gestiegen. Die Wartezeite­n sind lang und vor allem bei Sonderwüns­chen müsse er seine Kunden häufig vertrösten: „Wir können keinen genauen Lieferterm­in garantiere­n.“Dass man bei einzelnen Modellen schon mal bis zu einem Jahr Wartezeit in Kauf nehmen muss, sagt Fritz Reischl. Und: „Das ist wie in der DDR.“Mit seinen Bestellung­en für die nächsten Jahre gehe er komplett ins Risiko, weil nicht garantiert ist, dass auch alles ankommt. „Das kann kein normal denkender Mensch mehr nachvollzi­ehen.“Als Großhändle­r mit 70 festen Beschäftig­ten gehe es ihm aber noch deutlich besser als Inhabern kleinerer Geschäfte.

Auch bei Verschleiß­teilen wie Bremsschei­ben, Ketten oder Schläuchen beträgt die Lieferzeit teilweise mehrere Monate. „Der Andrang ist wie im letzten Jahr bei Nudeln, Klopapier und Masken“, sagt Willner in Anspielung auf die leeren Regale der Supermärkt­e zu

Beginn der Pandemie. Er habe aber vorgesorgt: „Früher ist man als Händler Ende des Jahres auf Messen gefahren und hat dort für die nächste Saison bestellt“, sagt Willner. „Wer immer noch nach diesem Prinzip handelt, fällt auf die Nase.“Weil er schon deutlich früher bestellt habe, sei er momentan weniger stark betroffen.

Und auch insgesamt schaut die Branche wohl mit einem weinenden und einem lachenden Auge auf die derzeitige­n Entwicklun­gen. Denn auch wenn er derzeit nicht gedeckt werden kann, ist der Boom für die Händler eine gute Sache – vorausgese­tzt er hält auch nach Corona an. Viele Menschen haben laut Dostal den Geschmack für Nahurlaubs­ziele und die „fantastisc­hen Radwege“entdeckt. Und das komme über kurz oder lang der Branche zugute. „Wir sind eben auch Weltmeiste­r im Jammern“, sagt Dostal nachdenkli­ch. Branchen wie der Gastronomi­e gehe es noch weitaus schlechter, pflichtet ihm Reischl bei.

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Fotos: picture alliance, Michael Kienastl Vor allem bei E‰Bikes ist die Nachfrage zuletzt so stark gestiegen, dass sie kaum mehr gedeckt werden kann. Kunden müssen deswegen bei den meisten Händlern mit langen Wartezeite­n rechnen.
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Seit 1993 verkauft Thomas Dostal in Neuburg Räder und Zubehör.

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