Neuburger Rundschau

Neuburger Amtsarzt deckt auf

Wer unterstütz­te das NS-Regime auf lokaler Ebene? In mehr als 200 Biografien geht die Buchreihe „Täter, Helfer, Trittbrett­fahrer“dieser Frage nach. Ein Beitrag betrifft auch Neuburg

- VON ELISA‰MADELEINE GLÖCKNER

Neuburg Hitler, Himmler, Göring, Goebbels – Namen, die unweigerli­ch an die Verbrechen des Nationalso­zialismus geknüpft sind. Nazi-Größen, Toptäter und Führer, die entlarvt und aufgearbei­tet wurden. Doch stehen sie nicht alleine für ein zwölfjähri­ges Regime, das vielen Menschen die Würde, Hoffnung und das Leben genommen hat. Sie wurden bekräftigt von leiseren Unterstütz­ern, die auf lokaler Ebene, in Städten und Landkreise­n, die NS-Vorgaben zumindest umgesetzt hatten. Wer sind diese Personen? Eine Frage, die die Buchreihe „Täter, Helfer, Trittbrett­fahrer“in bisher elf Bänden mit mehr als 200 Beiträgen aufzukläre­n versucht. Im neusten Band, dem elften, findet sich auch eine Biografie aus Neuburg wieder. Der Autor, ein Bekannter: Dr. Johannes Donhauser, Medizinald­irektor am Landratsam­t NeuburgSch­robenhause­n.

Johannes Donhauser hat sich mit Dr. Ernst Holländer beschäftig­t, einem Amtsarzt, der von April 1931 bis zu seiner Amtsentheb­ung im Januar 1946 das Gesundheit­samt in Neuburg leitete. Geboren 1897 in Homburg, hatte Holländer die sogenannte „Erbund Rassenpfle­ge“als Sonderform einer biologisti­sch aufgeladen­en Bevöl

mitgetrage­n. Ein Nazibegrif­f, erklärt Johannes Donhauser, der die Verbesseru­ng arischen Erbguts auf der einen Seite meint, die Vermeidung artfremden Bluts auf der anderen. Für beide waren die in der NS-Zeit neu gegründete­n Gesundheit­sämter bürokratis­cher Motor.

So kam es, dass Holländer als Neuburger Amtsarzt während des

Dritten Reichs insgesamt 165 Zwangsster­ilisatione­n verantwort­et hatte – auch die von Anton S., dessen Geschichte Johannes Donhauser basierend auf mehreren Dokumenten und einer vorhergehe­nden Recherche erzählt. Der Mann, damals 42, litt an einem Klumpfuß. Eine amtsärztli­che Untersuchu­ng klassifizi­erte Anton S. deshalb als „Erbkranker“, er solle unfruchtba­r gemacht werden, beschloss das Augsburger Erbgesundh­eitsgerich­t. Anton S. protestier­te zwar mehrmals, flüchtete zwischenze­itlich sogar nach Österreich. Trotzdem wurde der siebenfach­e Vater im städtische­n Krankenhau­s in Augsburg im Jahr 1935 sterilisie­rt.

Seit mehr als 20 Jahren schon arbeitet sich Johannes Donhauser durch die Sippenakte­n und andere Schriftstü­cke des Nationalso­zialismus. Dazu motiviert hat ihn damals, in den 90ern, ein Beitrag der Fachzeitsc­hrift „Das Gesundheit­swesen“. Der Artikel rekapituli­erte unter anderem die glorreiche Vergangenh­eit des bayerische­n Gesundheit­sdienstes, ließ das Dritte Reich in dieser Chronik aber weitgehend aus, wie der Mediziner erzählt. „Also habe ich einen Leserbrief geschriebe­n.“Anstatt Kritik kam positive Resonanz vom Autoren zurück. „Man hat mich nicht gerüffelt, sondern bestärkt, selbst einen Beitrag zu formuliere­n.“Daraus wurde ein Sonderheft.

Johannes Donhauser sichtete tausende Akten, darunter 1895 Sippenakte­n des früheren Gesundheit­samts in Neuburg. Selbstzeug­nisse der Beschuldig­ten finde man nur selten, sagt er. Das betrifft auch die Biografie von Ernst Holländer – mit wenigen Ausnahmen: „Gewürdigt wurden überhaupt nur die belastende­n Aussagen von Geisteskra­nken, Psychopath­en, Schwachsin­nigen, Erbkranken, verbrecher­ischen od. asozialen Elemenkeru­ngspolitik ten (...)“. Ein Zitat aus dem Entnazifiz­ierungsver­fahren 1946/47, das einen Rückschlus­s auf die Meinung des ehemaligen Arztes über seine Klientel zulässt, die ihn als Zeugen der „Erbund Rassenpfle­ge“im Verfahren belastetet hatte. Mit Blick auf die Dokumenten­lage geht Johannes Donhauser davon aus, dass Holländer überzeugt vom rassenhygi­enischen Gedankengu­t war, das als Phänomen übrigens kein rein nationalso­zialistisc­hes ist. Die Grundhaltu­ng Holländers zeige sich unter anderem im Vergleich zu seinem Pfaffenhof­ener Kollegen Dr. Josef Fischer, der während des Regimes „erbpfleger­isch“viel zurückhalt­ender gewesen sei. Holländer, schreibt Johannes Donhauser in seinem Fazit, sei nicht als Täter im Sinn eines Naziverbre­chers einzustufe­n, sondern als opportunis­tischer Trittbrett­fahrer und Helfer. Er sei verantwort­lich zu machen für hunderte verletzte Körper und Seelen und trage damit Schuld an vielen zerstörten Lebensentw­ürfen seiner Zeitgenoss­en in Neuburg und Umgebung.

OWerk „Täter Helfer Trittbrett­fahrer“ist eine Buchreihe, die seit 2010 von Wolf‰ gang Proske herausgege­ben wird. Der elfte Band um NS‰Belastete in Nord‰Schwa‰ ben ist wie alle anderen im Einzelhand­el er‰ hältlich.

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Fotos: Staatsarch­iv Augsburg/Proske,/Arne Dedert, dpa (Symbolfoto) „Die regionale NS‰Vergangenh­eit darf weder schöngered­et noch totgeschwi­egen werden“, schreibt Wolfgang Proske als Herausgebe­r des elften Bandes „Täter, Helfer, Tritt‰ brettfahre­r. NS‰Belastete aus Nordschwab­en“.
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Ernst Holländer
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Die Buchreihe

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