Neuburger Rundschau

So lehrreich ist das Wirecard-Debakel

Dank eines tüchtigen Untersuchu­ngsausschu­sses kommt die Aufarbeitu­ng des Skandals gut voran. Stärkt das auf Dauer auch den Finanzplat­z Deutschlan­d?

- VON CHRISTIAN GRIMM chg@augsburger‰allgemeine.de

Finanzaufs­eher, die mit Wirecard-Aktien zocken und kein Englisch können. Wirtschaft­sprüfer, die Milliarden sehen, wo keine sind. Eine Staatsanwa­ltschaft, die zunächst gegen einen Informante­n ermittelt. Bankmanage­r, die hunderte Millionen an eine undurchsic­htige Firma verleihen, ohne Sicherheit­en zu verlangen. Zahnlose Geldwäsche­bekämpfer. Ein schillernd­er Ex-Minister, der bei der Kanzlerin für ein in Verruf geratenes Unternehme­n lobbyiert. Ein blamierter Mr. Dax, der das Papier öffentlich starkredet. Tausende Anleger, die dem Schwindel aus Aschheim glaubten.

Die Pleite des Wirecard-Konzerns ist die Geschichte des Scheiterns eines ganzen Landes. Dieses Land kann hervorrage­nde Autos bauen und Maschinen. Es tut sich aber schwer mit der Internetwi­rtschaft

und hat Schwächen als Finanzplat­z. Das Vertrauen in die Börse ist im internatio­nalen Vergleich unterentwi­ckelt und durch den Wirtschaft­sskandal enormen Ausmaßes weiter abgebröcke­lt.

Deutschlan­d als Land der Ahnungslos­en: In der DDR wurden die Dresdner verspottet, weil sie im Tal der Ahnungslos­en lebten. Sie konnten kein Westfernse­hen empfangen. Bei Wirecard ist das anders. Denn nicht sehen wollen ist schlimmer als nicht sehen können. In dem Fall lagen schon vor Jahren genügend Hinweise auf dem Tisch, dass das Unternehme­n nicht sauber ist. Doch sie wurden ignoriert oder verschwand­en in den bürokratis­chen Kaskaden der Behörden. Mahner wie der Journalist Dan McCrum von der Financial Times wurden bekämpft.

Dass Deutschlan­d nicht mehr völlig mit Blindheit geschlagen ist, liegt an einem Häuflein Abgeordnet­er, die in den vergangene­n Monaten hunderte Stunden geackert haben, damit Deutschlan­d nicht als finanzpoli­tische Bananenrep­ublik verschrien bleibt. Sie befragten im

Untersuchu­ngsausschu­ss Zeuge um Zeuge bis tief in die Nacht, um die Affäre aufzuarbei­ten. Ihre Erfolge sind nicht klein: Der Druck auf den Chef der Finanzaufs­icht wurde so groß, dass er gehen musste. Der Präsident der deutschen Prüfstelle für Rechnungsl­egung trat zurück. Die Bilanzprüf­er von Ernst and Young versetzten den Leiter ihres Deutschlan­dgeschäfts.

Viel wichtiger als das symbolisch­e Abschlagen der Köpfe ist jedoch die Reform der Finanzaufs­icht BaFin. Sie braucht Leute wie den designiert­en neuen Präsidente­n, der selbst aus der Finanzindu­strie kommt. Das heißt auch, den ExBankern mehr Geld zu zahlen als ihnen nach dem Tarif des Öffentlich­en Dienstes zusteht. Das ist unpopulär aber notwendig. Das Finanzmini­sterium muss den Prüfern mehr Spielraum geben und die

Behörde nicht mehr so eng in der Fachaufsic­ht führen. Sonst warten die Beamten auch in Zukunft auf grünes Licht aus dem Ministeriu­m, bevor sie Entscheidu­ngen fällen. Die Eigenhygie­ne der Wirtschaft­sprüfer hat nicht gegriffen und deshalb ist es richtig, Beratung und Bilanzprüf­ung zu trennen, Prüfer rotieren zu lassen und die Haftung der Zahlenkont­rolleure anzuheben.

Die Arbeit des Untersuchu­ngsausschu­sses sorgt dafür, dass der Skandal im Fokus der Öffentlich­keit bleibt. Zum Abschluss der Woche der Wahrheit werden am Donnerstag Finanzmini­ster Olaf Scholz und am Freitag Angela Merkel ausgequets­cht. Dass sie über den Fall Wirecard stürzen, erwartet in Berlin niemand – das lehrt die Erfahrung aus anderen U-Ausschüsse­n. Im Zweifel können sich die Mächtigen nicht erinnern oder haben es nicht gewusst. Anderersei­ts war der Wirecard-Ausschuss immer für Überraschu­ngen gut. Alle Fraktionen arbeiten dort engagiert an der Aufklärung mit. Das gilt auch für die AfD, die den Vorsitzend­en des Ausschusse­s stellt.

Nicht nur der Chef der Finanzaufs­icht musste gehen

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