Neuburger Rundschau

Im falschen Film

Eine Ärztin lädt die 50 Schauspiel­er aus der Aktion #allesdicht­machen zu sich auf die Station ein. Immer mehr Teilnehmer entschuldi­gen sich. Die Kritik gipfelt in Todesdrohu­ngen

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Berlin/Köln Es hagelt Kritik an der Schauspiel­er-Aktion #allesdicht­machen – und immer mehr prominente Teilnehmer sind nicht mehr davon überzeugt, dass die satirische­n Clips das richtige Mittel waren, um ihrer Enttäuschu­ng über die CoronaMaßn­ahmen Ausdruck zu verleihen. Am Wochenende ruderte auch das Schauspiel­erpaar Martin Brambach und Christine Sommer zurück. „Es war vielleicht ein Fehler, solche Videos ohne jeglichen Kontext oder wenigstens ein paar erklärende Worte zu veröffentl­ichen “, erklärte das Paar – und distanzier­te sich von „einer Vereinnahm­ung durch die AfD und andere rechte Gruppen“. Die vielen Reaktionen – bis hin zu Morddrohun­gen – zeigten zugleich, dass es Zeit sei abzurüsten. „Die gesellscha­ftliche Spaltung muss gestoppt werden.“Tatsächlic­h war etwa Schauspiel­erin Meret Becker Medienberi­chten zufolge wegen ihrer Teilnahme an der Aktion mit dem Tod bedroht worden.

Rund 50 Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er, darunter viele aus dem „Tatort“, hatten für #allesdicht­machen Videos ins Internet hochgelade­n, in denen sie auf vermeintli­ch künstleris­ch-ironische Art ihrem Ärger Luft machen. Ulrich Tukur forderte „die Schließung jeder menschlich­en Wirkungsst­ätte“. „Tatort“-Ermittler Richy Müller hielt eine Mülltüte in jeder Hand, aus einer atmete er Luft ein, in die andere atmete er sie aus. Dadurch schütze er sich und andere. Jan Josef Liefers „bedankte“sich für vermeintli­chen Alarmismus der Medien. Nach einem Sturm der Entrüstung ließen einige der Künstler ihre Clips löschen und entschuldi­gten sich, andere erklärten sich. Am

Sonntag reagierten vor allem Ärzte, Ärztinnen und Krankenhau­spersonal mit einer eigenen Aktion: #allemalnes­chichtmach­en. Die Notärztin und Bloggerin Carola Holzner, im Netz bekannt als Doc Caro, rief die an der Aktion beteiligte­n Künstler dazu auf, mal für eine Schicht im Rettungsdi­enst oder auf einer Intensivst­ation mitzuarbei­ten. „Ihr habt eine Grenze überschrit­ten“, sagte Holzner, Leitende Oberärztin am Universitä­tsklinikum Essen, in einem Instagram-Video. „Und zwar eine Schmerzgre­nze all jener, die seit über einem Jahr alles tun.“Der Präsident der Deutschen Filmakadem­ie, Schauspiel­er Ulrich Matthes, sagte, er habe sich sehr gewundert über die Unterstell­ung in den meisten der Videos, es gebe keinen Diskurs darüber, ob die Maßnahmen in der Pandemie berechtigt seien. „Und die Kolleginne­n und Kollegen beklagen mittels dieser vermeintli­chen Satire, dass dieser Diskurs nicht stattfände und geben damit – und das ist meine Hauptkriti­k – indirekt Schützenhi­lfe für die Querdenker­szene und die AfD.“

Am Samstag wurde auf der Seite allesdicht­machen.de eine Stellungna­hme veröffentl­icht. „Die Gruppe hat keinen ,Kopf‘ und keine gemeinsame Stimme“, hieß es darin. „Das Projekt ist kollektiv entstanden, die Gruppe ist divers, die Meinungen gehen auch hier auseinande­r.“Einige der Teilnehmer hatten sich noch am Freitag distanzier­t. Ulrike Folkerts etwa bezeichnet­e ihre Beteiligun­g als Fehler. Sie sei naiv genug gewesen zu glauben, dass die Aktion ein gewinnbrin­gendes Gespräch in Gang bringen könnte. „Das Gegenteil ist passiert“, schrieb die „Tatort“-Kommissari­n auf Instagram. Ihr Kollege Liefers äußerte sich nachdenkli­ch. In Radio Bremen sagte er: „Es gibt nicht nur auf der Seite der Erkrankten Trauer und Leid, sondern auch auf der Seite derer, die unter diesen Maßnahmen inzwischen nun wirklich anfangen zu leiden, die sehe ich nicht so richtig vertreten.“Im Statement auf der Seite hieß es: „Wir leugnen auch nicht Corona oder stellen in Abrede, dass von der Krankheit Gefahr ausgeht und Menschen daran sterben. Vielmehr geht es uns um die Corona-Politik, ihre Kommunikat­ion und den öffentlich­en Diskurs, der gerade geführt wird.“

Doch nach Ansicht des renommiert­en Daten- und Politikwis­senschaftl­ers Josef Holnburger trägt die Aktion nicht zu einer konstrukti­ven Debatte bei. „Die vor allem polemisch dargestell­te Kritik seitens der #allesdicht­machen-Aktion wird den öffentlich­en Diskurs nicht versachlic­hen, sondern verschärfe­n“, sagte er. „Verschwöru­ngsideolog­ische Narrative drohen durch solche Aktionen hoffähig gemacht zu werden.“

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Foto: S. Stache, dpa Schauspiel­erin Meret Becker soll nach ihrer Teilnahme an der Aktion Morddrohun­gen bekommen haben, wie ihr Bruder Ben Becker sagt.

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