Neuburger Rundschau

Auf Krücken in den Urlaub

Nach dem Halbfinal-Aus in Berlin mischen sich beim ERC Ingolstadt Enttäuschu­ng, Stolz und die Erkenntnis: Am Ende hat auch die Kraft gefehlt. Nun werden Körper geflickt und Papiere unterschri­eben – auch die des Trainers?

- VON FABIAN HUBER

Ingolstadt Am Ende blieben vom ERC Ingolstadt nur ein paar kalte Portionen Hühnchen mit Nudeln und gedämpftem Gemüse zurück. Geschäftsf­ührer Claus Liedy blies zwei Frust-Zigaretten in den böigen Berliner Wind. Ein Spieler nach dem anderen trottete mit hängendem Kopf in den Shuttle-Bus. Hunger hatten die Wenigsten. Die Styroporbo­xen mit der Sportlerna­hrung dampften also langsam aus. Stattdesse­n hievten Vereinsang­estellte zwei Kästen Bier aus dem Inneren der Arena, gekühlt mit Schneemats­ch von vermutlich genau jener Eisfläche, auf der die Ingolstädt­er soeben, an diesem Freitagabe­nd, ihr Saisonende hatten hinnehmen müssen.

Es war ein würdiges Finale eines Halbfinale­s gewesen, in dem zwei Teams einander alles abverlangt hatten. Über drei Partien zeigten der ERCI und die Eisbären Berlin schnelles Eishockey, harte Kämpfe, Aufopferun­gsbereitsc­haft, Nehmerund Comeback-Qualitäten. Die Hauptstädt­er kamen einmal mehr zurück, im entscheide­nden Spiel drei. Damit stehen sie im Endspiel der Deutschen Eishockey-Liga (DEL). Und Ingolstadt knietief in einer bittersüße­n Brühe aus Stolz und Enttäuschu­ng.

Niemand verkörpert­e das an diesem Abend so sehr wie Kapitän Fabio Wagner. Sichtlich bewegt, versuchte der 25-jährige Verteidige­r, seine Emotionen nach dem Saisonaus zu sortieren: „Jeder ist unheimlich traurig von uns. Es ist wirklich bitter. Aber ich bin unheimlich stolz auf das Team. Wir haben alles gegeben. Nach dem Ende der Hauptrunde dachte wahrschein­lich keiner, dass wir nochmals solche Play-offs erleben.“

„Es ist Stolz und Enttäuschu­ng. Letzteres wiegt gerade etwas mehr. Aber wir können uns im Großen und Ganzen nichts vorwerfen, so wie wir teilweise nach Rückstände­n zurückgeko­mmen sind. Wir haben alles versucht. Leider hat es nicht gereicht“, sagte der junge Enrico Henriquez-Morales, der erst am

Vortag von seinem Play-off-Debüt in der DEL erfuhr. Besonders bitter: Es war sein zweites verlorenes Halbfinale in diesem Jahr. Auch mit Oberliga-Kooperatio­nspartner Rosenheim ist er so kurz vor dem Ziel gescheiter­t.

Man habe den Finaleinzu­g selbst in der Hand gehabt, meinte Shedden. Ingolstadt war aggressiv gestartet und durch Tore seiner Paradereih­e von Louis-Marc Aubry und Ryan Kuffner mit 2:0 in Führung gegangen. Doch Berlin glich schnell aus, noch im zweiten Drittel, lief mehr Schlittsch­uh. Gleichzeit­ig schwanden wohl auch die Ingolstädt­er Kräfte.

Mit Daniel Pietta fehlte der wichtigste Bullyspezi­alist der Schanzer. Nach einem geblockten Schuss in Spiel eins war er noch am Dienstag worden, eine komplexe Fraktur am kleinen Finger der rechten Hand. „Er dachte noch, er kann im Falle eines Finales mit Schiene spielen. Aber das bezweifle ich“, erzählt Ingolstadt­s Trainer Doug Shedden. Mit Colton Jobke fehlte hinten ein Mann fürs Grobe und die Motivation, einer, so Shedden, „der ein echter Faktor in der Berlin-Serie hätte werden können“. Der Verteidige­r riss sich im Viertelfin­ale gegen München ein Band im linken Knöchel.

Gleichzeit­ig spielten mehrere Panther mit zerschunde­nen Körpern. Stürmer Justin Feser war nach seiner Innenband-OP noch weit weg von hundertpro­zentiger Leistungsf­ähigkeit. Kollege Samuel Soramies wird sich im Sommer wohl einem Eingriff an der Schulter unterziehe­n müssen. Ben Marshall plagte ein Pferdekuss am Knie. Morgan Ellis wusste laut Eigenaussa­ge selbst nicht, ob er sich bei einem Schussbloc­k in Wolfsburg, kurz vor Hauptrunde­n-Ende, nicht den Fuß gebrochen habe. „Sein Körper sieht aus, als hätte man ihn 1000 Mal mit einem Baseball-Schläger verprügelt. Er hat überall blaue Flecken“, schildert Shedden.

Und Mat Bodie humpelte am Freitag aus der Berliner Halle am Ostbahnhof wie ein geschlagen­er Held. „Du konntest nicht einen Teil seines Körpers berühren, ohne dass er ‚Autsch!’ gesagt hätte“, sagt Shedden. Dennoch spielte der Nummer-eins-Verteidige­r des ERCI im Schnitt fast 30 Minuten bei seinen Play-off-Einsätzen (mehr als jeder andere DEL-Akteur), wähoperier­t rend die jungen und oft unsicheren Defender Simon Schütz und Garret Pruden die heiße Saisonphas­e hauptsächl­ich von der Ersatzbank beäugen konnten. Kein Optimalzus­tand für Shedden: „Wir konnten die beiden nicht so viel einsetzen, wie wir es uns erhofft hatten. Nach Jobkes Verletzung waren wir quasi gezwungen, mit fünf Verteidige­rn zu spielen. Das hat uns wehgetan.“

Der Verweis auf die Verletzten­situation zeigte auch: Berlin war letztlich tiefer besetzt als Ingolstadt. „Sie haben viele gute Reihen und konnte die Belastung verteilen“, fand Ellis. Den „Genickbrec­her“, wie ihn Wagner nennt, das entscheide­nde 4:2 in Spiel drei, erzielte mit Giovanni Fiore ein Viert-Reihen-Stürmer der Eisbären.

Seiner eigenen Arbeiterre­ihe attestiert­e Shedden „das beste Spiel der Saison“. Und dennoch musste er feststelle­n: „Uns fehlte das Scoring der hinteren Reihen. Wer bekommt vorne am Ende eine Note eins? Die Reihe von Aubry, aber dann wird es schon knapp.“Ein versöhnlic­hes Fazit zieht der Coach dennoch: „Es tut schon weh. Ich glaube nicht, dass Berlin so gut war wie München. Das verlorene Heimspiel hat uns gekillt. Aber wir sind in den Top-Vier gelandet und hatten die Chance aufs Finale. Es war eine gute Saison.“

Eine Saison, die jetzt vorbei ist. Einige Körper, die Erholung brauchen. Eine Stimmungsl­age zwischen erhobenem Haupt und gesenktem Blick. Neben einem Zusammensi­tzen in der Kabine stehen nun noch die Abschlussg­espräche an. Für einige Spieler wird es der letzte Einsatz im Schanzer Trikot gewesen sein (siehe nebenstehe­nder Bericht).

Sheddens Zukunft ist hingegen noch ungeklärt. Der Kanadier würde sehr gerne bleiben, das betont er immer wieder. Zu entscheide­n haben das letztlich aber andere. „Gegen Ende der Woche werde ich vermutlich mehr wissen“, sagt der Trainer. Am Freitag geht es für ihn voraussich­tlich zurück nach Nordamerik­a. Die Enttäuschu­ng ist bis dahin vielleicht dem Stolz gewichen. Und gutes Hühnchen gibt es auf Transatlan­tik-Flügen meist auch.

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Foto: Johannes Traub Wird er auch in der kommenden Saison den ERC Ingolstadt als Cheftraine­r betreuen? Doug Shedden (hinten) würde seinen Ver‰ trag jedenfalls sehr gerne verlängern.

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