Neuburger Rundschau

Wann erreicht Deutschlan­d Herdenimmu­nität?

Noch liegt die Impfquote bei nicht mal zehn Prozent. Warum dennoch Grund für Hoffnung besteht

- VON MARGIT HUFNAGEL

Augsburg Es kommt nicht häufig vor in diesen Wochen, dass sowohl von den Ärzten als auch der Politik so etwas wie vorsichtig­er Optimismus verbreitet wurde. Nicht zu viel, eher wohldosier­t. Seit die Inzidenzwe­rte langsam zurückgehe­n und gleichzeit­ig das Impftempo deutlich an Fahrt aufnimmt, wächst die Hoffnung, dass die Corona-Krise ihren Höhepunkt überschrit­ten haben könnte. Und doch wird uns das Virus wohl auch nach dem Sommer noch begleiten und stark in den Alltag der Menschen eingreifen.

„Herdenimmu­nität im Sinne vom kompletten lokalen Ausrotten des Virus ist bei Covid-19 in Europa derzeit schwer erreichbar“, sagt Viola Priesemann, Forscherin am Max-Planck-Institut in Göttingen. Zu hoch ist der Anteil derer, die sich entweder nicht impfen lassen wollen oder es nicht können. Für Kinder etwa ist bislang kein Impfstoff zugelassen, auch wenn es entspreche­nde Pläne gibt. Allein diese Gruppe macht 16 Prozent der Bevölkerun­g in Deutschlan­d aus. Experten gehen davon aus, dass für eine Herdenimmu­nität

mindestens eine Impfquote von 75 bis 80 Prozent erreicht werden müsste. Hinzu kommt, dass aktuell selbst die beste Impfung keinen hundertpro­zentigen Schutz vor dem Virus bietet und die Wirkung des Vakzins mit der Zeit nachlässt. Auch weitere Mutationen des Coronaviru­s sind wahrschein­lich. Und doch kann Viola Priesemann Zuversicht verbreiten. „Herdenimmu­nität im Sinne einer niedrigen Inzidenz und einer gezielten, lokalen Eindämmung wird mit dem Impffortsc­hritt immer einfacher erreichbar“, sagt sie. Das heißt: Das Virus verschwind­et nicht, es lässt sich aber beherrsche­n. Deutliche Erleichter­ungen für alle scheinen damit zum Greifen nah – selbst dann, wenn die immer noch recht hohe Zahl der Impfskepti­ker in den kommenden Wochen nicht signifikan­t sinken sollte.

Einer Umfrage der Universitä­t Erfurt zufolge wollen sich rund 70 Prozent der Deutschen „auf jeden Fall“impfen lassen – der Rest zögert zumindest. Auch deshalb reagiert die Politik mit dem Verspreche­n, dass Geimpfte künftig mehr Rechte haben sollen. Allerdings zeigt die Studie auch, dass Impfskepti­ker das kaum als Anreiz empfinden. Den größten Ausschlag macht das Vertrauen in die Impfstoffe: Mit dem Impfstoff von AstraZenec­a wollen sich weniger Menschen bereitwill­ig impfen lassen als mit mRNA-Impfstoffe­n, wie sie etwa Biontech herstellt. Doch selbst mit einer niedrigere­n Impfquote ließe sich die Pandemie zumindest stark eindämmen. „Wir erwarten, dass bei rund 50 Prozent geimpften Erwachsene­n das Testen, Kontaktnac­hverfolgen und Isolieren, zusammen mit den AHA-Regeln und dem Verzicht auf Großverans­taltungen, ausreichen wird, um die Inzidenz niedrig zu halten“, sagt Viola Priesemann. „Das bedeutet, dass im Sommer die Schulen, Restaurant­s und Geschäfte wieder offen sein werden, und wir auch kleinere Feiern und Veranstalt­ungen mit Hygienekon­zept genießen können.“Diese Prognose gelte freilich nur, solange sich keine sogenannte Flucht-Variante entwickle, also eine Mutation, die nicht auf den Impfstoff reagiert.

Und solange die Impfbereit­schaft nicht weiter sinkt. „Wir stehen vor einem Dilemma: Nehmen die Fallzahlen über den Sommer ab, dann wird die Impfbereit­schaft relativ niedrig sein“, befürchtet Priesemann. Entspreche­nde Erfahrunge­n machen gerade Israel und die USA. In beiden Ländern ist die Impfbereit­schaft deutlich eingebroch­en. Israels Impfkampag­ne stockt bei einem Anteil von 60 Prozent Geimpften

in der Bevölkerun­g und auch in den USA sind die täglich verabreich­ten Impfdosen rückläufig -– viele Menschen erscheinen zudem nicht zur Zweitimpfu­ng. Auf Deutschlan­d übertragen könnte dies heißen: Im Herbst, sobald das Wetter wieder schlechter wird und sich die Menschen vermehrt in den Wohnungen aufhalten, könnten damit selbst vergleichs­weise geringe Steigerung­en der Fallzahlen eine neue Corona-Welle auslösen. „Gibt es hingegen schon im Sommer eine weitere Welle, weil zu schnell gelockert wird oder weil eine Virusvaria­nte kommt, die der Immunantwo­rt entkommt, dann könnte das die Impfbereit­schaft weiter erhöhen“, sagt Priesemann.

Aktuell haben in Deutschlan­d 28,2 Prozent der Menschen mindestens eine Corona-Impfung erhalten. Den vollen Impfschutz erhielten bislang hingegen nur acht Prozent der Bevölkerun­g. Von etwa 35,7 Millionen gelieferte­n Impfdosen wurden bislang 84,4 Prozent verbraucht. Bei Menschen über 80 sind in Deutschlan­d zwei Drittel geimpft, bei Menschen über 70 rund 30 Prozent.

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Foto: Stefan Puchner, dpa Noch ist die Zahl der Impfwillig­en größer als die Zahl der Impfdosen. Das könnte sich ändern.

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