Neuburger Rundschau

Vom Flüchtling­skind zur Instanz für Gegenwarts­kunst

Ingvild Goetz, die große Münchner Sammlerin und Mäzenin, wird 80 Jahre alt

- VON RÜDIGER HEINZE

München Wenn die bayerische Landeshaup­tstadt zeitgenöss­isch leuchten kann, dann auch dank ihres Einsatzes und ihrer Schenkunge­n: Neben der einst privaten Sammlung Brandhorst, heute in herausrage­nden Teilen als Stiftung im Museum Brandhorst des Kunst-Areals zu sehen, ist Ingvild Goetz die andere herausrage­nde Mäzenatin für München, insbesonde­re, was einen jüngsten Zweig der fortlaufen­den Kunstgesch­ichte ausmacht: die Medienkuns­t. Dass diese nun auch im wahren Sinn des Wortes unterirdis­ch „gebunkert“und zugänglich gemacht ist im Haus der Kunst, bleibt eines ihrer großen Verdienste. Am Mittwoch wird Ingvild Goetz, gebürtige Westpreußi­n, 80 Jahre alt.

Wenn die Sammlung Brandhorst auch mit dem erwirtscha­fteten Geld aus der Versicheru­ngsbranche und der Konsumgüte­rbranche (Henkel) aufgebaut werden konnte, dann die große Sammlung von Ingvild Goetz auch mit dem erwirtscha­fteten Geld des Versandhan­dels. Als Kriegsflüc­htling hatte ihr Vater Werner Otto – nahezu mittellos – in Hamburg eine Schuhfabri­kation gegründet, die dann im deutschen Wirtschaft­swunder als flächendec­kender Otto-Versand Hamburg prosperier­te. Aber dass der Hamburger Anfang in äußerst bescheiden­en Verhältnis­sen stattfand, das hat Ingvild Goetz – auch außerhalb der Kunstszene – nie vergessen.

Zunächst jedoch suchte sie Fuß zu fassen im Kunsthande­l. In Konstanz gründete sie 1969 den Grafikverl­ag „Art in progress“, drei Jahre später unter nämlichen Titel eine Galerie in Zürich, mit der sie in der Folge schon früh auf Bruce Nauman, Christo sowie Mel Bochner aufmerksam machte. In Zürich allerdings endete das Unternehme­n jäh, nachdem der einstige FluxusKüns­tler

Wolf Vostell mit einer Aktion seinen Finger in eine Schweizer Wunde hielt: eidgenössi­sche Waffenlief­erungen nach Angola. Ingvild Goetz ging ihrer Arbeitsgen­ehmigung als Galeristin verlustig – und zog mit ihrem jungen Unternehme­n in die Münchner Maximilian­straße, wo sie sich dann unter anderem für Cy Twombly einsetzte – heute überragend auch in der Fülle im Brandhorst Museum zu betrachten, noch so eine Parallele.

Die Auszahlung eines Teils des Familienve­rmögens gestattete Ingvild Goetz 1984, sich ganz und gar dem Sammeln, der Kunst-Vermittlun­g und der ehrenamtli­chen Gremienarb­eit hinzugeben. Knapp 20 Jahre später sollte sie die größte private Kollektion zeitgenöss­ischer Kunst in Deutschlan­d besitzen, darunter die Schwerpunk­te Arte Povera, Young British Artists, Foto, Medienkuns­t sowie Arbeiten auf Papier – auch als skizzenhaf­ter, entwerfend­er, schöpferis­cher KunstUrspr­ungsort, darunter zudem, stark gewichtet, Kunst von Frauen und Kunst politische­r Stoßrichtu­ng. Im Grunde nicht verwunderl­ich für alle, die das Profil zeitgenöss­ischer Kunst verfolgen.

Ab 1993 zeigte Goetz ihre wachsende Sammlung nahe des Englischen Garten in Oberföhrin­g. Dort hatten ihr die Architekte­n Herzog & Meuron neben das Privathaus ein kubisches Museum errichtet, in dem sie sich kostenlos vielfach dem widmete, was sie einerseits für beachtensw­ert hielt, anderersei­ts in den freistaatl­ichen Sammlungen noch nicht angekommen war. Entspreche­nde Lücken dort schloss sie 2014 durch großzügige Dauerleihg­aben und Schenkunge­n, einschließ­lich ihres Museums – was wieder einmal bewies: Gute Kunst landet über kurz oder lang im öffentlich­en Museum.

Mit den einst kaum erhebenden Erfahrunge­n eines Flüchtling­skinds begründet Ingvild Goetz auch ihr soziales Engagement für Randgruppe­n. Gut acht Millionen Euro brachte 2013 eine Londoner Auktion von Kunst aus ihrem Besitz ein; der Ertrag kam Asylbewerb­ern und Menschen mit Essstörung­en zugute.

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Foto: Sandra Steh, Slg Goetz Sammlerin und Kunstvermi­ttlerin Ingvild Goetz.

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