Verändert Corona unsere Mobilität dauerhaft?
Weniger Fahrten und Umstellung auf E-Autos könnten helfen, Klimaziele zu erreichen
Augsburg Seit mehr als einem Jahr schränkt Corona den Bewegungsradius von Millionen Bürgern ein. Weil viele Deutsche von zu Hause aus arbeiten und Dienstreisen ausfallen, ist auf den Straßen weniger los. Insgesamt ging die Mobilität im April im Vergleich zum April 2019, also vor der Pandemie, um durchschnittlich neun Prozent zurück. Wird Corona hier dauerhaft etwas verändern? Den verschärften Klimaschutzzielen der Bundesregierung wäre das dienlich. Genau wie ein Boom der Elektromobilität. Doch die Befürchtungen sind groß, dass sich mit dem Abschied vom Verbrennungsmotor auch zehntausende Arbeitsplätze am Standort Deutschland verabschieden. Eine am Donnerstag vorgestellte Studie des Münchner Ifo-Instituts im Auftrag
des Automobilverbandes VDA ergab nun, dass durch den deutlichen Rückgang der Produktion von Diesel- und Benzinmotoren tatsächlich mehr Stellen in der Branche wegfallen, als Beschäftigte in den kommenden Jahren in dieser Industrie in den Ruhestand gehen. Die Wirtschaftsforscher haben hochgerechnet, welche möglichen Auswirkungen das 2025 haben könnte: Demnach gehen bis dahin rund 75 000 Beschäftige aus der Autoproduktion in Rente. Doch mindestens 178000 Beschäftigte wären von der Umstellung auf die Produktion von Elektromotoren betroffen. Damit wären gut 100000 Jobs in Gefahr.
Zur Rechnung gehört aber auch, dass viele Arbeitnehmer, deren Stellen noch am Bau von Verbrennungsmotoren hängen, umgeschult wurden oder werden. Wenn man diesen Effekt berücksichtigt, stehen bei deutschen Autobauern dann wahrscheinlich nicht hunderttausende Jobs auf der Kippe, wie schon orakelt wurde, aber zehntausende Beschäftigte müssten sich eine neue Tätigkeit suchen. VDA-Präsidentin Hildegard Müller wagt hier keine exakte Prognose. Dafür geht sie umso mehr ins Detail, was die Reaktion der Bundesregierung auf das Klimaschutz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts betrifft. Müller kritisiert massiv „einen nationalen Alleingang“Deutschlands und spricht von einer „übereilten Reaktion“. Die VDA-Chefin wirft der Großen Koalition vor, immer nur der Wirtschaft höhere Ziele zu setzen und eigene Versprechen, etwa was den Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos betrifft, nicht einzuhalten. Die Bundesregierung hatte in dieser Woche angekündigt, Deutschland werde den CO2-Ausstoß bis 2030 um 65 Prozent senken und bis 2045 klimaneutral werden. „Wie soll das funktionieren?“, fragt sich Ifo-Präsident Clemens Fuest. Er könne sich das Verhalten der Politik nur mit Wahlkampf erklären.
Der Grünen-Verkehrsexperte Anton Hofreiter sieht die Elektromobilität als Schlüssel, um die Ziele zu erreichen. „In den nächsten zehn Jahren muss der Umstieg auf die E-Mobilität vollzogen werden, ab 2030 sollen nur noch emissionsfreie Autos neu zugelassen werden. Aber wir werden auch anders mobil sein. Als Rückgrat für die Verkehrswende braucht es eine starke Bahn, die vernetzt ist mit anderen Verkehrsmitteln“, sagte er unserer Redaktion. Hofreiter fordert auch, Lehren aus der Pandemie für den Arbeitsalltag zu ziehen: „Viele Wege lassen sich einsparen. Wir alle freuen uns natürlich wieder auf mehr Begegnung, aber Homeoffice, digitale Sitzungen oder sogar Konferenzen sollten wir uns auch nach der Pandemie viel stärker erhalten.“
Im Leitartikel geht es um den Klimaschutz als Wahlkampfthema. Auf der Wirtschaft finden Sie weitere Details zur Elektromobilität.
In der Autobranche sind zehntausende Jobs bedroht