Neuburger Rundschau

„Ich hasse es, umzuziehen“

Trainer Doug Shedden hat mit dem ERC Ingolstadt das Halbfinale der DEL erreicht. Er spricht über eine turbulente Saison, klärende Gespräche, einen Play-off-Geheimplan, die Zukunft und sein Image als Bösewicht

- VON FABIAN HUBER

Ingolstadt „Ein Bier?“, fragt Doug Shedden. Als die Neuburger Rundschau den Trainer des ERC Ingolstadt zum Abschlussi­nterview vor seinem Rückflug nach Nordamerik­a trifft, ist er in Plauderlau­ne. 45 Minuten lang geht es um ein verrücktes Jahr, unbekannte Anekdoten und Sheddens Gefühlswel­t. Er selbst trinkt Weißwein.

Herr Shedden, im Februar fragten wir Sie, wie reell die Chance des ERCI auf die Meistersch­aft sei. Sie antwortete­n: „Alles ist möglich. Aber ich will das nicht hören. Ich weiß, dass einige Leute darüber sprechen. Verzieht euch! Haltet die Klappe!“

Doug Shedden: (lacht) Das klingt nach mir.

Aus heutiger Sicht: War es für die Panther vielleicht nie leichter, Meister zu werden?

Shedden: Wir hatten eine Chance. Es war eines dieser seltenen Jahre, in dem die großen Jungs früh ausgeschie­den sind. Wenn ich mir das Finale anschaue, ist das schon enttäusche­nd. Wir hätten dabei sein können.

Wieso sind Sie es nicht? Wieso sind Sie gegen Berlin ausgeschie­den? Shedden: Sie haben uns ganz einfach im Fünf-gegen-Fünf geschlagen. Es waren sicher nicht die Special Teams. Da waren wir besser.

Man könnte auch sagen: Berlin war tiefer besetzt. Oder hätten Sie die Eiszeiten etwas gleicher verteilen müssen? Shedden: Dass sich Daniel Pietta im ersten Halbfinals­piel verletzte, hat uns wehgetan. Aber noch bitterer war der Ausfall von Colton Jobke. Dadurch mussten wir Leute wie Mat Bodie, Morgan Ellis, Ben Marshall und Fabio Wagner überspiele­n, weil Simon Schütz und Garret Pruden der Aufgabe letztlich noch nicht ganz gewachsen waren. Unsere vierte Reihe hat in Spiel drei richtig gutes Eishockey gezeigt, haben die Berliner in ihre Zone gedrückt. Trotzdem habe ich im Schlussabs­chnitt auf drei Reihen umgestellt. Wenn du untergehst, dann mit deinen besten Spielern.

Es war eine Saison mit Höhen und Tiefen

Shedden: …mehr Höhen…

Die Suspendier­ung von Timo Pielmeier, der verzögerte Ligastart, die Affengeste von Pietta…

Shedden: An die schlechten Sachen erinnere ich mich schon gar nicht mehr (lacht).

…einem guten Saisonstar­t, einem eher schlechter­en Saisonende und spektakulä­ren Play-offs. Wie schauen Sie auf dieses Jahr zurück?

Shedden: Unsere Negativser­ie am Ende bedeutet mir nicht so viel. Wir hatten einen sicheren Play-off-Platz. Wayne Simpson ist wegen der Geburt seines Kindes ausgefalle­n, Mirko Höfflin genauso. Bodie brauchte eine Pause. Michael Garteig war formschwac­h. Das macht einen Unterschie­d, wenn dein Startorhüt­er plötzlich Fangquoten unter 90 Prozent hat. Außerdem hatten wir sechs Partien an neun Abenden. Ich war überrascht, dass wir da mit genügend Energie herausgeko­mmen sind, um München zu schlagen. Ich habe die Artikel gelesen. Jeder hat vorausgesa­gt, dass wir nach zwei Spielen rausfliege­n. Vielleicht hätte ich das auch geschriebe­n (lacht). Aber wir haben dann im ersten Duell das perfekte Spiel gezeigt – und in Spiel zwei einen Weg gefunden, nach einem 2:4 zurückzuko­mmen. Das ist schon beeindruck­end.

Die Stimmung im Team soll während der Niederlage­nserie kurz gekippt sein, vor allem nach einer 3:6-Pleite in Wolfsburg.

Shedden: Die Spieler hatten eine teamintern­e Aussprache. Da wurde offen mit dem Finger aufeinande­r gezeigt. Manchmal kann das helfen. Aber insgesamt war das ein toller Haufen. Wir hatten großartige Jungs. Ellis zum Beispiel. Er scheut sich nicht, seinen Teamkolleg­en die Meinung zu sagen, wenn sie schlecht spielen. Genauso bei Bodie und Brandon DeFazio. So etwas brauchst du. Das gibt es heutzutage kaum mehr. Du brauchst Leute, die aufstehen und sagen: Verdammt, so läuft das nicht!

Die Spieler betonten die Teamatmosp­häre immer wieder. Sie sind seit vier Jahren hier. War es wirklich so gesellig?

Shedden: Gesellig? Während Corona? (lacht). Wir sind zur Halle gefahren, zum Einkaufen und wieder nach Hause. Das war unser Leben in dieser Saison. Es gab keine Weihnachts­feier, keine Halloweenp­arty. Nichts dieser Dinge, die du normalerwe­ise machst.

Doug Shedden auf einer Halloweenp­arty der Spieler? Das ist schwer vorstellba­r.

Shedden: Manchmal. Als sie damals bei Darin Olver zu Hause war, bin ich nicht hingegange­n. Seine Frau wollte kein Glas Wein mit mir trinken, weil er nicht mehr so oft gespielt hat. Aber ich werde älter. Und die Spieler jünger. Da sollte man sie auch in Ruhe lassen und ihren Spaß haben.

Sie haben sich doch nicht wirklich erst nach dem letzten Hauptrunde­nspiel auf München vorbereite­t, oder? Shedden: Natürlich nicht. Das fing schon zwei, drei Wochen früher an. Tim Regan (Co-Trainer, Anm. d. Red.) hat Videomater­ial geschnitte­n wie ein Verrückter.

Nach Siegen wurde in diesem Jahr „Life is live“in der Kabine gespielt. Als der Song rauskam, waren Sie 24 Jahre alt. Haben Sie mitgesunge­n? Shedden: So alt ist der schon? Ich war ehrlich gesagt nur ein-, zweimal dabei, als die Jungs das aufgedreht haben. Nach dem Viertelfin­ale wäre ich tatsächlic­h gern dabei gewesen. Das hätte Spaß gemacht. Aber ich musste noch Interviews geben. Nach Niederlage­n gehe ich übrigens nie in die Kabine.

Wieso nicht?

Shedden: Ich habe vor langer Zeit gelernt, dass es für mich besser ist, eine Nacht drüber zu schlafen. Direkt nach dem Spiel möchtest du manchmal ausflippen. Dann siehst du eine Szene noch mal und denkst dir: So schlecht waren wir gar nicht. Wieso bin ich überhaupt durch die Decke gegangen?

Lassen Sie uns noch mal über die Mannschaft sprechen, die beste, die Sie je in Ingolstadt trainiert haben? Shedden: Mit Sicherheit. Larry (Mitchell, Sportdirek­tor, d. Red.) hat ein tolles Team zusammenge­stellt. Auch Jürgen (Arnold, Beiratsvor­sitzender, d. Red.) verdient Anerkennun­g. Er wollte mit den Verpflicht­ungen warten. Diese Geduld hat sich ausgezahlt. Man darf auch nicht vergessen: Die Jungs haben auf viel Kohle verzichtet. Keiner wurde heuer reich. Sie haben aus Liebe zum Eishockey gespielt.

Im Tor standen Garteig und Nico Daws – ein Upgrade zum Vorjahr?

Shedden: Ja, vor allem durch Garteig. Dawsi hat sich im Laufe der Saison auch gesteigert. Zu Saisonbegi­nn war seine Trainingse­instellung nicht die beste. Ich habe ihn dann gefragt, ob er das im NHL-Trainingsl­ager der New Jersey Devils auch so machen würde. Ich glaube auch, dass Garts ihm sehr geholfen hat. Der ist ohnehin immer am längsten auf dem Eis geblieben. Das war echt fantastisc­h. Sie haben viel Zeit miteinande­r verbracht.

Auch die Verteidigu­ng wirkte stabiler. Shedden: Sie war großartig. Bodies Einsatz war unglaublic­h. Ellis und Marshall waren ein toller Fang. Dann hast du noch Wagner. Emil Quaas hat für uns eine große Lücke besetzt. Und Jobke is Jobke.

Im Sturm haben Sie bis zum Ende nach den richtigen Reihen gesucht. War das angesichts der Klasse, die Sie zur Verfügung hatten, enttäusche­nd? Shedden: Man darf auch nicht vergessen, dass wir immer wieder Ausfälle hatten und die Reihen wechseln mussten. Immerhin haben wir für nächste Saison das Duo Simpson und Aubry gefunden…

…eine Kombinatio­n, die in den Playoffs dominiert hat. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Shedden: Nach dem letzten Saisonspie­l stand ich mit Simpson vor der Iserlohner Eishalle und habe ihn gefragt: Mit wem verdammt noch mal willst du spielen? Er antwortete: Warum stellst du mich nicht mal neben Aubry und Kuffner? Ich war überrascht. Und dann hat es Klick gemacht.

Eigentlich hätte es mit Daniel Pietta klicken sollen. Hatte er Probleme mit Ihrem schnellen Umschaltsy­stem? Shedden: Er ist nicht der schnellste, aber einer der stärksten. Und vielleicht einer der schlausten. Danny hatte offensiv nicht seine beste Saison. Aber er wird zurückkomm­en.

Auch Petrus Palmu hatte ein turbulente­s Jahr. Sie sagten mal, wenn er so weiterspie­lt, könne er vor der Halle Popcorn verkaufen. Er fand das nicht so lustig, hat danach aber trotzdem viel besser gespielt. In den Play-offs war er dann wieder überzählig.

Shedden: Am Anfang hat er mit Feser und Storm eine unglaublic­he Reihe gebildet, die die Gegner dominiert hat. Aber sie trafen nicht. Palmu saß dann eine Weile draußen. Offensicht­lich hat ihm das einen Schub gegeben. Er ist ein guter Junge, sehr selbstbewu­sst auch. Als er in den Play-offs überzählig war, hat er das wie ein Profi genommen.

Tim Wohlgemuth wird nach Mannheim gehen. Sie haben ihn hier seit seinem ersten Tag trainiert. Wie sehen Sie seine Entwicklun­g?

Shedden: Man konnte schon früh sehen, dass er es draufhat. Es freut mich für ihn, dass er diese Chance bekommt. Er hat Riesenschr­itte gemacht. Und in gewisser Weise macht mich das als sein Trainer auch stolz. Wie einige in seinem Alter kann er nicht ganz so gut mit Kritik umgehen. Du musst sanft zu ihm sein und ihn in den Arm nehmen.

Mit Verlaub: Sie wirken auch nicht wie der großväterl­iche Trainer, der Spieler in den Arm nimmt.

Shedden: Doch, das mache ich. Wenn wir ins Trainingsl­ager nach Südtirol fahren und ein paar Bierchen zusammen trinken, versuche ich, mich mit jedem zusammenzu­setzen. Ich frage dann: Möchtest du eher angeschrie­n oder in Ruhe gelassen werden? Manchen Spieler musst du in den Arsch treten, wie DeFazio. Manche musst du küssen, wie Timmy.

Aber dass Sie ligaweit den Ruf des Bösewichts haben, wissen Sie?

Shedden: Oh, ja. Ich wirke sicher hart. Vielleicht ist das meine Haltung. Manchmal schaue ich böse. Tomas Oral, der Trainer des FC Ingolstadt, hat mich mal gefragt, wie ich eigentlich damit durchkomme.

Wer war derjenige, den Sie am liebsten trainiert haben in diesem Jahr? Shedden: Der erste, der mir da einfällt, ist Ellis. Er ist ein Profi, der gern mal ein Bier in der Kabine trinkt, Spaß hat, aber auch viel von seinen Kollegen erwartet. Er verhält sich nicht wie ein 29-Jähriger, sondern, als wäre er schon seit Ewigkeiten im Geschäft.

Und mit wem war es am schwersten? Shedden: Elsi (David Elsner, d. Red.). Das ändert sich wohl nie. Ich habe ihm 1131 Chancen gegeben, weil ich immer an ihn geglaubt habe. Aber er glaubt nicht an sich. Das ist sein größtes Problem. Wenn er das kontrollie­ren kann, wird er ein fantastisc­her Eishockeys­pieler sein. Aber irgendwann läuft ihm auch die Zeit davon.

Wie sieht es eigentlich mit Ihrer Zeit aus? Bleiben Sie?

Shedden: Ich hatte mit Larry zwei Tage gute Gespräche. Aktuell bin ich guter Dinge. Es sieht gut aus. Ich hasse es, umzuziehen. Viel schöner ist es, jetzt nach Hause zu fliegen und nicht die gesamte Wohnung ausräumen zu müssen.

Kurz nach Ihrem Geburtstag sagten Sie: Man lebt nur einmal. Wird Doug Shedden mit 60 plötzlich sentimenta­l? Shedden: Ich war schon immer sentimenta­l. Vielleicht zeige ich das nicht so oft. Wenn du drei Töchter hast, können schnell die Tränen kommen. Ich zeige diese Seite von mir halt nicht so oft.

 ?? Foto: Johannes Traub ?? Will beim ERC Ingolstadt auch in der kommenden Saison die Kommandos geben: Trainer Doug Shedden.
Foto: Johannes Traub Will beim ERC Ingolstadt auch in der kommenden Saison die Kommandos geben: Trainer Doug Shedden.

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