Neuburger Rundschau

Angst vor den Islamisten

Innerhalb weniger Wochen haben die islamistis­chen Taliban ganz Afghanista­n eingenomme­n. Masud Arifi ist schon 2015 von dort in die Region Neuburg geflüchtet. Warum er sich nun große Sorgen um seine Familie macht

- VON MICHAEL KIENASTL

Seitdem die Taliban ganz Afghanista­n eingenomme­n haben, hat der in Neuburg lebende Masud Arifi Angst um seine dort lebende Familie.

Neuburg Masud Arifi hat Angst. Nicht um sich selbst, er wohnt seit mehr als fünf Jahren im sicheren Neuburg. Der 24-Jährige hat Angst um seine Familie in der afghanisch­en Hauptstadt Kabul. Seit zwei Wochen versucht er mehrmals täglich seine Schwester zu erreichen – bisher jedoch erfolglos. Er befürchtet das Schlimmste, denn für die nun herrschend­en radikal-islamistis­chen Taliban ist die 38-Jährige eine „Verräterin“und somit vogelfrei.

Rückblick. Anfang Juli verlassen die letzten Truppen der NATO nach fast 20 Jahren den wichtigen Luftwaffen­stützpunkt in Bagram am Fuße des Hindukusch. Westliche Geheimdien­ste rechnen zu diesem Zeitpunkt zwar mit einem Fall der afghanisch­en Regierung, aber eher innerhalb mehrerer Monate und nicht weniger Wochen. Doch es geht schnell. Bereits Anfang August sind nahezu alle Provinzhau­ptstädte in der Hand der Taliban, die aufgebaute­n Strukturen fallen zusammen wie ein Kartenhaus.

Unter den Städten, die die Islamisten einnehmen, ist auch Kundus, die Heimat von Arifis Schwester. Von 2003 bis 2020 waren hier Soldaten der deutschen Bundeswehr stationier­t. Sie benötigten die Hilfe mehrerer Tausend Afghanen. Die sogenannte­n Ortskräfte haben für sie unter anderem als Dolmetsche­r und Köche gearbeitet. Darunter war auch der Schwiegers­ohn von Arifis Schwester, während ihr anderer Sohn für die afghanisch­e Armee tätig war. Für die Taliban ist das Hochverrat.

Nachdem ihre Heimatstad­t fällt, flüchtet Arifis übrige Familie deshalb in die sicher geglaubte Hauptstadt und lebt dort in einem Zelt. Doch am 15. August tritt schließlic­h das ein, womit kaum jemand gerechnet hat: Kabul fällt und Präsident Ashraf Ghani flüchtet. „Das tut wirklich sehr weh“, sagt Arifi zur Machtübern­ahme der Taliban. Diese geben sich nun moderat und tolerant, sprechen von einer allgemeine­n Amnestie für Opposition­elle, Pressefrei­heit und Frauenrech­ten. Racheakte werde es keine geben. Tagsüber wahren sie den Schein, der jedoch laut Arifi trügt: „Das ist alles eine große Lüge, sie sind so wie früher. Sie kommen in der Nacht und durchsuche­n die Häuser“, sagt dagegen Arifi.

Mit früher meint er die Herrschaft der Islamisten zwischen 1996 und 2001, die er von Erzählunge­n seiner Familie kennt. Frauen lebten vollversch­leiert quasi unter Hausarrest, auf „Ehebruch“stand Steinigung, es kam zu zahlreiche­n Massakern an der Zivilbevöl­kerung, Musik war verboten. „Es war ein höllisches Leben“, sagt Arifi. Seine Mutstarb an Spätfolgen durch Misshandlu­ngen der Taliban. Er ist überzeugt: „Was diese Leute tun, hat mit dem Islam nichts zu tun. Die machen, was sie wollen.“

Arifis 17-jähriger Bruder konnte schon Anfang des Jahres in den angrenzend­en Iran flüchten und muss dort als schlecht bezahlter Tagelöhner über die Runden kommen. „Es ist schlimm, aber besser als in Afghanista­n“, sagt Arifi. Mittlerwei­le besteht kaum mehr die Möglichkei­t, das Land zu verlassen. Die Landesgren­zen sind dicht, um den Flughafen haben die Islamisten einen Ring aus Kontrollpu­nkten gezogen. Am Montag bricht schließlic­h Chaos auf der Rollbahn des Flughafens aus. Die Bilder von Tausenden Menschen, die versuchen, einen Platz in den Evakuierun­gsfliegern zu bekommen, gehen um die Welt – minmir destens acht Menschen sterben. Arifi rechnet nicht damit, dass seine Schwester und deren Schwiegers­ohn noch flüchten können. „Es ist zu spät, niemand kommt mehr zum Flughafen“, sagt er verbittert. Von der Bundesregi­erung hätte er sich mehr Weitsicht und eine frühere Planung erhofft. Monatelang gab es keine Pläne, wie Ortskräfte gerettet werden können. Experten werfen der Bundesregi­erung hier ein Totalversa­gen vor. Auch der Schwiegers­ohn von Arifis Schwester hat in Deutschlan­d Visum beantragt – ohne Antwort.

Arifi kam im Dezember 2015 nach Deutschlan­d, zuerst nach Schrobenha­usen, kurz darauf nach Neuburg. Ab April 2016 besuchte er eine Integratio­nsklasse, in der er Deutsch gelernt hat. Früh bekam er Unterstütz­ung durch den 2013 geter gründeten Verein „Asylsuchen­de sind Mitbürger“, der Flüchtling­en einen guten Start in der neuen Heimat ermögliche­n will. Insbesonde­re der seit einigen Jahren engagierte Reinhard Wagner kümmert sich um ihn, der 24-Jährige sei ihm ans Herz gewachsen, sagt er. Nebenbei machte Arifi die ersten Praktika im Pflegebere­ich, weil „mir das Arbeiten mit unterschie­dlichen Menschen so viel Spaß macht“, sagt er. 2018 begann er schließlic­h eine Ausbildung in der Sozialpfle­ge und schloss 2020 eine dreijährig­e Lehre zum Generalist­ischen Pflegefach­mann an. Damit kann er sowohl in der Krankenpfl­ege, als auch in der Altenpfleg­e arbeiten.

Momentan sind seine Gedanken allerdings in Kabul. Er wird weiterhin versuchen, seine Schwester dort zu erreichen.

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Foto: dpa Masud Arifi ist überzeugt, dass sich die Taliban von heute nicht von jenen der Jahrhunder­twende unterschei­den. „Sie sind so wie früher“sagt er. Taliban‰Kämpfer patrouil‰ lieren im Kabuler Viertel Wazir Akbar Khan.
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Masud Arifi

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