Neuburger Rundschau

Die Hilferufe der Frauen

Nach der Talibanher­rschaft hatten sich die Frauen im Land ihre Rechte hart erkämpft. Nun schreiben sie in sozialen Netzwerken von ihrer Angst. Droht der Rückfall ins Dunkel oder bleibt vom Fortschrit­t etwas erhalten?

- VON STEFANIE WIRSCHING

Es dauerte nur wenige Stunden, da waren die Bilder von den Männern, wie sie sich im Zentrum der Macht im Präsidente­npalast gruppieren, manche mit einem fast ungläubige­n Lächeln im bärtigen Gesicht, noch ganz neu, da waren andere Bilder schon am Verschwind­en. In der afghanisch­en Hauptstadt Kabul machten sich die ersten Geschäftsl­eute eilig daran, Werbeplaka­te, die Frauen zeigen, zu entfernen. Oder mit weißer Farbe zu übertünche­n… Und während in den Nachrichte­n Bilder von Kämpfern, die Gewehre geschulter­t, auf Lastwagen stehend, durch Straßen patrouilli­erend, um die Welt gingen, häuften sich in den sozialen Netzwerken, auf Twitter, Instagram und Facebook, die Hilferufe der Frauen. „Niemand kümmert sich um uns“, spricht eine weinende junge Frau in die Kamera: „Wir werden langsam in der Geschichte sterben.“

Vor den Augen der Weltöffent­lichkeit vollzieht sich ein Albtraum, und dass es vor allem – wenn auch wahrhaftig nicht nur – für die Frauen Afghanista­ns ein Albtraum ist, daran können auch alle Verspreche­n der Taliban keinen Zweifel lassen. Sahraa Karimi, Filmemache­rin und Präsidenti­n des Filminstit­uts Afghan Film in Kabul, verfasst auf der Flucht einen verzweifel­ten Brief an die Welt, in der sie von Morden und Folter an Frauen und Künstlern während der Eroberungs­züge der Taliban berichtet: „Mädchen wurden als Kindbräute an ihre Kämpfer verkauft, eine Frau wegen ihrer Kleidung ermordet, einer anderen die Augen ausgestoch­en.“Gleiches berichtete­n Journalist­innen: „Wir sehen ein Schweigen voller Angst um uns herum“, erzählt eine afghanisch­e Journalist­in im englischen Guardian: „Wir sind an unsere Häuser gefesselt, und der Tod bedroht uns in jedem Moment.“Zarifa Ghafari, Afghanista­ns erste Bürgermeis­terin, schreibt auf Twitter: „Ich sitze hier und warte darauf, dass sie kommen. Es gibt niemanden, der mir oder meiner Familie hilft.“

Afghanista­n war auch in den vergangene­n Jahren immer eines der gefährlich­sten Länder der Welt – besonders für Frauen. In ihrem Bericht von 2018 schrieb die Frauenrech­tsorganisa­tion Terre des Femmes von häuslicher Gewalt, Verstümmel­ungen, Schlägen, Ermordunge­n und Zwangsheir­aten. Afghanista­n, das war zuletzt aber auch ein Land, in dem Richterinn­en Recht sprachen, in dem die Verfassung eine 25-prozentige Quote von Parlamenta­rierinnen vorschreib­t, Unternehme­rinnen, Ärztinnen, Lehrerinne­n, Künstlerin­nen, Journalist­innen und Sportlerin­nen in der Öffentlich­keit präsent waren, mehr Frauen denn je Zugang zu Bildung und Gesundheit­seinrichtu­ngen erhielten. Seit der Machtübern­ahme der Taliban sind all diese Frauen in Gefahr. Die afghanisch­e Fotografin Akbar schreibt während des Vormarsche­s der Taliban auf Twitter: „Mit jeder Stadt, die zusammenbr­icht, brechen menschlich­e Körper zusammen, brechen Träume zusammen, brechen Geschichte und Zukunft zusammen, brechen Kunst und Kultur zusammen, brechen Leben und Schönheit zusammen, bricht unsere Welt zusammen.“Was droht? Rückkehr in die dunkelsten Zeiten?

Afghanista­n ist nicht mehr zu vergleiche­n mit dem Land vor 25 Jahren, als die Taliban zum ersten Mal ihre Schreckens­herrschaft etablierte­n, den Frauen alle Rechte nahmen. Die Gesellscha­ft ist jung, trotz einer nach wie vor hohen Anzahl von Analphabet­innen und Analphabet­en besser aus- und weitergebi­ldet, aufgewachs­en in einer wenn auch noch so wackeligen Demokratie. Sie kennt die Welt auch über die sozialen Medien, über die nun Hilferufe gesendet werden. „In zwanzig Jahren wurde viel aufgebaut“, sagt Almut Wieland-Karimi, Islamwisse­nschaftler­in und Geschäftsf­ührerin des Zentrums für Internatio­nale Friedensei­nsätze in Berlin, eine Tochterorg­anisation des Auswärtige­n Amtes. „Ich glaube nicht, dass all diese Errungensc­haften wieder verschwind­en werden. Dafür gibt es viel zu viele hoch qualifizie­rte und engagierte Menschen.“Aber in die

Zukunft blicken? Schwer genug schon die Nachrichte­n der Gegenwart aus Afghanista­n zu deuten.

Man wolle die Frauen an der Regierung beteiligen, versprache­n die Taliban Mitte der Woche, und forderten auch alle Afghaninne­n auf, zurück zur Arbeit zu kehren. Auf Youtube kursierte ein kurzes Video, das wenige Frauen zeigt, die in Kabul für ihr Recht auf Arbeit demonstrie­ren, begafft, aber weitgehend unbehellig­t. Im afghanisch­en Fernsehen durfte eine Reporterin dann am Dienstag überrasche­nd einen Taliban interviewe­n – mit gehöRada rigem Abstand. Das sind die einen Meldungen, die anderen: In Kandahar wurden weibliche Bankangest­ellte von ihren Arbeitsplä­tzen vertrieben, in Herat Studentinn­en am Besuch der Universitä­t gehindert. Ausgerechn­et Herat. Knapp 60 Prozent der Studierend­en sind dort Frauen, mehr als ein Viertel aller Lehrstühle von Professori­nnen besetzt. Die Universitä­t galt als eine der fortschrit­tlichsten. In den sozialen Netzwerken wurde derweil berichtet, Frauen würden auf offener Straße von Passanten als die Schuldigen beschimpft: Die Taliban seien gekommen, um sie zu disziplini­eren. Und am Rande vermerkt auch dies: Vorauseile­nd stellte der unabhängig­e Sender Tolo TV schon einmal die beliebten indischen Seifenoper­n, die auch mal einen unverhüllt­en Frauenbauc­h zeigen, ein.

Almut Wieland-Karimi sagt, aus den jetzigen Aktionen der Taliban auf die Zukunft zu schließen, speziell auch die der Frauen, sei wie der Blick in die Glaskugel. Aber: „Die Situation ist eine andere als 1996.“

Nicht nur, dass die Gotteskrie­ger auf eine andere Gesellscha­ft treffen, auch die Taliban sind anders als jene vor 25 Jahren. Man müsse davon ausgehen, dass sie ihre konservati­ve Islaminter­pretation anwenden. „Aber es ist viel zu früh, etwas darüber zu sagen, wie sich das konkret auswirken werde.“Sie gehe davon aus, dass sich die Taliban, die sich staatsmänn­isch geben, um internatio­nale Anerkennun­g bemühen werden. In diesem Zusammenha­ng lassen sich die Ankündigun­gen sehen, dass Frauen weiterhin arbeiten gehen sollen „Aber ob das auch so beibehalte­n wird, ich bin skeptisch.“

Dennoch: Dass sich der Fortschrit­t nicht ganz umkehren lässt, das also ist die kleine Hoffnung. Der die große Angst gegenübers­teht, die Almut Wieland-Karimi in Gesprächen mit Freundinne­n und Bekannten aus Afghanista­n erlebt: „Alle haben Sorge, alle wissen nicht, was passieren wird.“Und wer wird noch helfen? Zur Geschichte von Afghanista­n gehört auch, dass die Weltgemein­schaft sich um die entrechtet­en Frauen in Afghanista­n während der Schreckens­zeit von 1996 bis 2001 wenig kümmerte. Militärisc­h eingegriff­en wurde erst nach 9/11, weil die Taliban die für die Anschläge verantwort­liche Terrorgrup­pe AlKaida unterstütz­e. Für Frauenrech­te wird kein Krieg geführt.

Die EU verfasste gemeinsam mit 19 Staaten mittlerwei­le ein Statement, in dem sie all jene, die in ganz Afghanista­n Macht und Autorität innehaben, auffordern, „den Schutz von Frauen und Mädchen zu gewährleis­ten“. Man sei zutiefst besorgt und werde jede künftige Regierung aufmerksam beobachten. Im nun herrschend­en Stimmengew­irr fiel die Feministin Alice Schwarzer derweil mit der Forderung auf, nur Frauen und Kindern aus Afghanista­n Asyl in Deutschlan­d zu gewähren – weil sie besonders gefährdet seien. Und: Weil sich unter die Flüchtende­n Terroriste­n mischen könnten. Almut WielandKar­imi sieht das anders: Man müsse sich um die am meisten Gefährdete­n kümmern und sie unterstütz­en. Das seien vor allem Frauen, aber auch jene Männer, die mit deutschen Organisati­onen zusammenar­beiten.

Der Filmemache­rin Sahraa Karimi ist unterdesse­n die Flucht gelungen, sie ist sicher in der Ukraine gelandet. „Hava, Maryam, Ayesha“hieß ihr Film über drei afghanisch­e Frauen, der 2019 bei den Filmfestsp­ielen in Venedig zu sehen war. Unterstütz­t wurde sie von der amerikanis­chen Schauspiel­erin Angelina Jolie, die damals erklärte: „In Zeiten, in denen die Zukunft des Landes in der Schwebe ist, erinnert uns dieser Film daran, was für Millionen afghanisch­er Frauen auf dem Spiel steht.“Sahraa Karimi beendete ihren Brief vom 15. August mit den Worten: „Ich rufe noch mal: Leute dieser großen weiten Welt, bitte, schweigt nicht; sie kommen, um uns zu töten.“

Knapp 60 Prozent der Studierend­en sind Frauen

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Foto: dpa An einem Schönheits­salon in Kabul werden direkt nach dem Einzug der Taliban die Werbeplaka­te entfernt.

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