Das Gipfeltreffen der Kapitäne
Stefan Kutschke (32/FC Ingolstadt) und Fabio Wagner (25/ERC Ingolstadt) sind bei ihren Klubs nicht nur Spielführer, sondern auch Identifikationsfiguren. Die Neuburger Rundschau hat sie erstmals zusammengebracht
Herr Kutschke, wie groß ist Ihr Interesse am Eishockey?
Kutschke: Nun, nachdem ich in jüngeren Jahren erstmals in meiner Heimatstadt Dresden bei den Eislöwen zugeschaut hatte, ist das Interesse am Eishockey während meiner Zeit in Nürnberg stetig gestiegen. Wir hatten damals einige Jungs, die regelmäßig zu den Ice Tigers gegangen sind – und denen habe ich mich des Öfteren angeschlossen. Seit ich jetzt in Ingolstadt bin, verfolge ich den ERC – sicherlich auch durch den Gewinn der Meisterschaft 2014 – doch ziemlich intensiv. Vor der Corona-Pandemie war ich immer mal wieder bei Heimspielen in der Saturn-Arena. Für mich ist Eishockey einfach ein geiler Sport.
Was fasziniert Sie besonders daran? Kutschke: Bei uns im Fußball kommt es ja immer wieder vor, dass die Spieler auch nach einem leichten Foul sich auf dem Boden wälzen und dann lange liegen bleiben. Wenn ich dann sehe, wie es im Eishockey körperlich zur Sache geht, dann ist das schon heftig. Aber es gibt noch einen weiteren Punkt, der mir im Vergleich zwischen Fußball und Eishockey besonders ins Auge sticht.
Welcher ist das?
Kutschke: Die Verhältnismäßigkeit! Wenn ich sehe, was die EishockeySpieler während einer Saison leisten müssen – sei es in den Trainings oder den oftmals eng getakteten Spielen -, dann sind wir Fußballer diesbezüglich schon sehr gut dran beziehungsweise etwas verweichlicht.
Wie steht es denn mit Ihren eigenen Fähigkeiten auf Schlittschuhen? Kutschke: Es reicht zumindest für den zugefrorenen See – aber das war es dann auch schon (lacht). Ich finde es daher auch absolut faszinierend, wie sich die Profis auf den Schlittschuhen bewegen. Zumal sie ja dabei auch noch ständig einen Schläger in der Hand und den Puck im Blick haben müssen.
Herr Wagner, wie sehr sind Sie dem Fußball zugeneigt?
Wagner: Nachdem ich generell ein großer Sportfan bin, interessiere ich mich auch sehr für Fußball. Dementsprechend verfolge ich auch – seit ich in Ingolstadt bin – den FCI. Wenn es die Möglichkeit gibt, bin ich gerne mal im Audi-Sportpark und schaue mir vor Ort das eine oder andere Spiel an. Ich habe mich auch sehr gefreut, als der Verein in diesem Jahr wieder in die 2. Bundesliga aufgestiegen ist.
Wie würden Sie den „Fußballer Fabio Wagner“beschreiben? Als Edeltechniker oder harter Arbeiter?
Wagner: Eher als Holzfuß (lacht). Verteidigen kann ich sicherlich ganz solide. Wenn ich dann sehe, was gerade die Jungs in den höheren Ligen alles mit dem Ball anfangen können, ist das schon bewundernswert.
Wenn man auf die jeweilige Fanszene des ERC Ingolstadt und FC Ingolstadt blickt, gibt es in Teilen doch eine gewisse Rivalität untereinander. Sehen Sie sich ebenfalls als eine Art Konkurrenz oder doch eher als Kollegen? Kutschke: Ich sehe das eher als Kollegen! Diese von Ihnen genannte Rivalität zwischen den Fanlagern kann ich aus meiner Position ehrlich gesagt nicht nachvollziehen. Da wird es sicher Gründe dafür geben, die ich als Außenstehender jedoch nicht kenne. Grundsätzlich finde ich es persönlich sehr schön, wenn man in einer Stadt zwei Sportarten hat, die sich auf einem guten beziehungsweise wie der ERC sehr guten Niveau bewegen. Daher wäre es für mich fatal, Fabio und seine Mannschaft als Konkurrenten zu bezeichnen. Wagner: Da kann ich dem Stefan als Kollegen nur zustimmen. Eigentlich sollten sich sowohl die Vereine als auch Fans gegenseitig unterstützen. Das hätte auf die gesamte Stadt definitiv positive Auswirkungen – auch in der Außendarstellung. Eine Zusammenarbeit ist immer besser als ein Gegeneinander.
Herr Kutschke, Sie sind im Jahr 2017 nach Ingolstadt gekommen. Wie wird der FCI Ihrer Meinung nach in der Stadt wahrgenommen?
Kutschke: Nun, als ich damals hierher gewechselt bin, wurde mir gesagt, dass der FC Ingolstadt ein bodenständiger Verein sei, in dem sehr ruhig gearbeitet wird und auch das mediale Interesse nicht so groß wie bei vielen anderen Klubs wäre. Wenn ich jetzt aber mal meine ersten zwei Jahre betrachte: Na ja, immerhin hatte ich in dieser Zeit sieben verschiedene Trainer (lacht). Was die Wahrnehmung bei den Menschen in der Stadt betrifft: Klar, nach dem Bundesliga-Abstieg war die Hoffnung groß, dass man möglichst schnell den Wiederaufstieg schafft. Trotz eines sehr guten Kaders haben wir am Ende nur den achten Platz geschafft. Auch in der darauffolgenden Spielzeit hat vieles nicht gepasst, was letztlich den Abstieg in die 3. Liga zur Folge hatte. Die logische Konsequenz war, dass das öffentliche Interesse am Verein etwas abgeflacht ist. Jetzt nach dem Aufstieg in die 2. Bundesliga ist die Wahrnehmung in der Stadt definitiv wieder größer geworden.
Sie sind bereits seit 2014 beim ERC Ingolstadt, Herr Wagner! Wie würden Sie das Interesse der Ingolstädter an den Panthern beziehungsweise deren Stellenwert in der Stadt beschreiben? Wagner: Gleich in meinem ersten Jahr beim ERC war aufgrund der Meisterschaft in der Vorsaison die Erwartungshaltung im Umfeld schon riesengroß. Mit der Vizemeisterschaft waren wir glücklicherweise in der Lage, diese auch entsprechend zu erfüllen. Nachdem es im Anschluss zwei Jahre lang nicht wirklich rund lief, haben wir uns wieder gefestigt und stetig verbessert – was ja auch die Halbfinal-Teilnahme in der vergangenen Saison untermauert hat. Dementsprechend sollte es in der neuen Spielzeit unser eigener Anspruch sein, unter den „Top Fünf“dabei zu sein.
Herr Wagner, Sie gehen in Ihre zweite Spielzeit als Panther-Kapitän, während Ihr Kollege Stefan Kutschke sein Team bereits im dritten Jahr auf das Spielfeld führt. Was zeichnet in Ihren Augen einen guten Kapitän aus beziehungsweise welche besondere Aufgaben fallen in Ihren Bereich als Spielführer? Wagner: Als Kapitän bist du eigentlich immer das Bindeglied zwischen Mannschaft und Trainer. Du musst innerhalb des Teams zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Worte finden sowie mit dem Coach gut kommunizieren. Gerade bei uns Eishockey-Spielern gibt es noch einen weiteren ganz wichtigen Punkt: Nachdem wir in der Regel immer viele Akteure aus Nordamerika haben und diese sich zu Beginn noch nicht richtig auskennen, gilt es, diesen zu helfen und in die Truppe zu integrieren, damit es möglichst keine Grüppchen-Bildung gibt und man gemeinsam ein Ziel entwickelt.
Sehen Sie das ähnlich, Herr Kutschke?
Kutschke: Ja, absolut! Ein Kapitän ist irgendwo auch immer ein Vorbild. Gerade die jungen Spieler schauen meistens zu den jeweiligen Spielführern auf und orientieren sich daran. Deshalb ist es auch enorm wichtig, dass man als Kapitän vorangeht und vor allem seine Leistung bringt. Wenn diese nicht stimmt und man trotzdem große Reden hält, wirkt man bei seinen Mitspielern irgendwann völlig unglaubwürdig. Einen weiteren wichtigen Aspekt hat ’Wagi’ auch schon angesprochen: Man muss zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Worte finden – was zugegebenermaßen nicht immer einfach ist, da es im Sport eben Höhen und Tiefen gibt. Diesbezüglich kann man im Laufe seiner Karriere von erfahrenen Spielern beziehungsweise Kapitänen sicherlich einiges abschauen. Wichtig ist nur, dass man niemanden kopiert, sondern letztlich seinen eigenen Weg geht.
Sie beide sind ja nicht nur Kapitäne bei
Ihren Klubs, sondern zählen dort auch zu den absoluten Identifikationsfiguren. Wie wichtig ist es, dass es gerade im Profisport Akteure gibt, mit denen sich die Fans identifizieren können? Wagner: Ich denke schon, dass das grundsätzlich sehr wichtig ist. Bei den Eishockey-Vereinen wird das unterschiedlich gelebt. Meines Erachtens ist es absolut sinnvoll, wenn es in einer Mannschaft eine bestimmte Person gibt, mit der sich die Fans regelmäßig austauschen können. In der Regel ist das jemand, der schon länger beim Verein ist und diesen sowohl außerhalb als auch auf dem Eis mit seiner Leistung entsprechend vertritt. Kutschke: Wir haben hier seit dem Abstieg in die 2. Bundesliga – gerade in unserer aktiven Fanszene – einen Weg geschaffen, der vorher so noch nicht existierte. Die Anhänger sagen selbst, dass es bislang noch nie einen derart engen Austausch mit der Mannschaft und den einzelnen Spielern gab. Marcel Gaus und ich haben beispielsweise versucht, einige bestimmte Dinge aufzubauen, um diesen familiären Ruf, den der FC Ingolstadt besitzt, mit Leben zu füllen. Man muss sich ja nur unser Manifest durchlesen. Es ist wichtig, dass das da nicht nur geschrieben steht, sondern dass man es auch lebt! Identifikation definiere ich damit, dass die Leute eine Person haben, mit der sie etwas Bestimmtes verbinden. Und das funktioniert meiner Meinung nach nur mit Spielern, die mit und im Verein schon einiges erlebt haben. Für mich persönlich ist das enorm wichtig. Gleichzeitig habe ich aber manchmal auch das Gefühl, dass das im Fußballgeschäft manchmal gar nicht mehr eine so große Relevanz hat.
Gibt es denn heutzutage im Profisport noch die häufig zitierten Begriffe wie Vereinstreue und Solidarität oder ist das mittlerweile ein altmodischer Gedankengang?
Kutschke: Diese Begriffe existieren schon noch, klar. Allerdings – und da rede ich gar nicht lange drum herum – gibt es auch die andere Seite. Als Profi hast du nur einen gewissen Zeitraum, der dir bleibt, um Geld auf einem bestimmten Niveau zu verdienen. Sprich: Du schaffst dir mit den Gaben beziehungsweise den Privilegien, die du als Profisportler hast, deine Grundlagen für das weitere Leben. Unter dem Strich muss für dich als Profi immer das Gesamtpaket stimmen. Ich würde daher sagen, dass Vereinstreue und Solidarität nicht altmodisch sind, sondern schlichtweg anders gelebt werden. Ich würde Ihnen gerne ein anderes Beispiel nennen.
Ja bitte...
Kutschke: In der freien Wirtschaft ist es doch ganz genauso. Wenn ein Arbeitnehmer von einem anderen Unternehmen ein erstklassiges Angebot bekommt, wird er sich darüber auch seine Gedanken machen und es möglicherweise annehmen. Ob man dann auch dort funktioniert, steht letztlich auf einem anderen Blatt. Ich möchte damit nur sagen, dass der Profisport diesbezüglich keine Ausnahme bildet.
Wagner: Dem ist nichts hinzuzufügen. Was Stefan gesagt hat, würde ich zu 100 Prozent unterschreiben.
Neben vielen Gemeinsamkeiten hat Ihnen Stefan Kutschke in diesem Jahr schon etwas voraus, Herr Wagner: Er hat mit dem FC Ingolstadt in der 2. Bundesliga bereits vor Zuschauern gespielt! Wie fühlt sich das nach den vielen Monaten der gähnenden Leere in den Stadien denn an, Herr Kutschke? Kutschke: Komisch (lacht). Aber natürlich ist es ein wunderschönes Gefühl und ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn es noch nicht wie vor der Corona-Pandemie ist. Bei unserem ersten Punktspiel in Dresden hatten wir ohnehin eine lustige Konstellation: Für sieben Jungs aus unserem Kader war es die erste Zweitliga-Partie – und für fünf das erste Mal vor Zuschauern! Speziell für junge Spieler kann ein volles Stadion sowohl erdrückend als auch motivierend sein. Ich persönlich freue mich jedenfalls riesig darüber, dass wieder Besucher in den Arenen zugelassen sind und wir somit nicht weiterhin nur vor den Trainern, Betreuern und Security-Leuten spielen müssen.
Herr Wagner, wie haben Sie die vergangene DEL-Saison vor leeren Rängen wahrgenommen?
Wagner: Das war absolut grausam! Eishockey lebt ja von den Zuschauern. Gerade in den Derbys geht es da ja immer sehr emotional zur Sache. Das hat mir schon extrem gefehlt. Um so größer ist jetzt die Vorfreude, dass zu unserem Testspiel am Sonntag gegen Kladno (14.30 Uhr, Anm. d. Red.) zumindest wieder 1680 Fans in die Saturn-Arena dürfen. Ich hatte ja bei der Weltmeisterschaft in Lettland gegen das Team des Gastgebers schon das Glück, vor Zuschauern spielen zu dürfen. Das hat richtig viel Spaß gemacht.
Um den Spieß umzudrehen: Auch Sie, Herr Wagner, haben dem Stefan Kutschke etwas voraus. Sie sind aktueller A-Nationalspieler, WM-Teilnehmer und haben beste Chancen, bei den Olympischen Spielen 2022 in Peking dabei zu sein. Wäre eine Olympia-Teilnahme der bislang größte Erfolg in Ihrer Karriere?
Wagner: Auf alle Fälle! Im Eishockey ist eine Olympiade sicherlich noch etwas höher einzustufen als eine Weltmeisterschaft. Daher wäre es ein absoluter Traum, dort dabei zu sein. Noch schöner wäre es, wenn auch die NHL-Akteure die Freigabe bekämen und mitspielen könnten.
Stichwort Olympische Spiele: Bei den kürzlich zu Ende gegangenen Sommerspielen in Tokio hatte der deutsche Trainer Stefan Kuntz erhebliche Probleme, aufgrund der großen Absagenflut überhaupt einen Kader für das olympische Fußballturnier zusammenzubekommen. Können Sie die Entscheidung der Spieler und Vereine nachvollziehen, Herr Kutschke? Kutschke: Wenn ich einen Anruf von Stefan Kuntz bekommen hätte, wäre ich sofort dabei gewesen (lacht). Es gibt doch nichts Schöneres, wenn man die Chance hat, sein Land zu vertreten – und das auch noch bei Olympischen Spielen! Man darf allerdings auch nicht vergessen, dass die Fußballer, die dafür in Frage gekommen sind, in den vorangegangenen Monaten durch die CoronaPandemie schon ein hartes Programm – sei es im Ligabetrieb, der Champions-League oder Europameisterschaft – hatten. Ich denke auch, dass einige Vereine die Auswirkungen auch in dieser Saison zu spüren bekommen werden. Beispielsweise kann ich mich nicht erinnern, dass Bayern München schon einmal seine ersten vier Testspiele allesamt verloren hat. Das schlaucht die Spieler mit Sicherheit schon. Was die Absagenflut betrifft: Vielleicht wollten sich auch die Vereine in gewisser Weise schützen. Ohne Corona wäre zweifelsohne vieles einfacher zu händeln.
Lassen Sie uns auf die sportliche Gegenwart blicken: Der ERC Ingolstadt spielt in dieser DEL-Saison wieder viermal gegen die Nürnberg Ice Tigers, der FC Ingolstadt am Sonntag (13.30 Uhr) gegen den 1. FC Nürnberg! Welchen Stellenwert hat für Euch als Spieler ein solches Derby?
Kutschke: Das ist immer so etwas wie eine Art Vorherrschaft in einer Region. Die Nürnberger sehen „ihr“Derby in erster Linie gegen Fürth, während in Ingolstadt „das“Derby am ehesten mit Regensburg verbunden wird. Nichtsdestotrotz: Ingolstadt und Nürnberg liegen auch nur 100 Kilometer voneinander entfernt. Für uns geht es nicht nur darum, dass es ein Derby ist, sondern – und das kommt auch noch dazu – wir wollen endlich unsere ersten drei Punkte einfahren. Aus diesem Grund ist es für uns eine doppelte Motivation. Aber klar, ein Derby ist sowohl für die Spieler als auch Fans immer etwas ganz Besonderes. Wagner: Das gilt für uns genauso! Gerade bei den Derbys wird die Halle in der Regel zum Hexenkessel. Die Emotionen der Fans gehen dann auch auf uns Spieler über. Darauf freue ich mich in dieser Saison ganz besonders. Glücklicherweise haben wir mit Nürnberg, Straubing, München und Augsburg gleich vier bayerische Kontrahenten. In diesen Partien geht es dann meistens auch richtig zur Sache.
Zum Abschluss hätten wir gerne noch zwei Experten-Einschätzungen! Herr Wagner, was trauen Sie dem FC Ingolstadt in dieser Saison zu? Wagner: Ich hoffe natürlich, dass der FCI die Liga hält, sich dort auch etabliert und würde mich freuen, wenn es in der Zukunft mal wieder mit dem Bundesliga-Aufstieg klappen würde.
Und wie schätzen Sie den ERC Ingolstadt ein, Herr Kutschke?
Kutschke: Ich habe schon mal den Meisterpokal gesehen und weiß daher, wie groß er ist (lacht). Ich drücke dem ERC jedenfalls die Daumen und hoffe, dass er unter die „Top Drei“kommt. Von einer Meisterschaft zu reden, ist natürlich immer schwer. Doch möglich ist alles, auch wenn München und Mannheim sicher in der Favoritenrolle sind.