Neuburger Rundschau

Es brennt in der Union

Armin Laschet ist kurz davor, sich als Kanzlerkan­didat quasi in Luft aufzulösen – so dramatisch schlecht sind seine Umfragewer­te. Er zieht CDU und CSU immer weiter nach unten, klagen seine Kritiker. Nun herrscht eine Stimmung zwischen Panik und Kopfschütt

- VON MARIA HEINRICH UND STEFAN LANGE

Berlin/München Es könnte für Armin Laschet doch ganz gut laufen. Jedenfalls dann, wenn er nur Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen wäre. Sein Bundesland feiert das 75-jährige Bestehen, die finanziell­en Folgen der Flutkatast­rophe sind abgemilder­t und er kann verkünden, dass NRW über das übliche Maß, wie es die Bundesländ­er sonst regeln, hinaus Ortskräfte aus Afghanista­n aufnehmen will. Das wären alles gute Nachrichte­n, die sein Ansehen im Land mehren würden.

Unschön nur, dass Laschet auch CDU-Vorsitzend­er und Kanzlerkan­didat der Union ist. In dieser Funktion ist sein Ansehensve­rlust dramatisch. Laschet ist kurz davor, sich als Spitzenman­n praktisch in Luft aufzulösen. CDU und CSU schauen dem Verfall von Kandidat und Partei ungläubig, wenn auch noch nicht völlig hoffnungsl­os zu.

Es gab schon Zeiten, im Herbst 2003 zum Beispiel, da lagen CDU und CSU in den Umfragen bei mehr als 50 Prozent. Im Moment wären viele Parteimitg­lieder froh, würde die Union überhaupt auf die Hälfte davon kommen. Stattdesse­n steht sie bei knapp über 20 Prozent, und – das bringt viele Mitglieder einer gefühlten Ohnmacht nahe – der Vorsprung auf die SPD schmilzt bedrohlich. In einer aktuellen ForsaUmfra­ge für die Fernsehsen­der RTL und N-TV ist der Albtraum sogar Realität geworden: Die SPD ist in dieser Woche erstmals seit 15 Jahren wieder stärkste politische Kraft in Deutschlan­d. Die Sozialdemo­kraten

können zwei Punkte zulegen und kommen auf 23 Prozent. CDU und CSU verlieren einen Punkt auf 22 Prozent.

Wenn das Spiel schlecht läuft, liegt der Gedanke an einen Stürmerwec­hsel nahe. In den Rechenspie­len des Spitzenper­sonals kommt er natürlich vor. Würde die Union Laschet vom Feld nehmen und den bayerische­n Ministerpr­äsidenten und CSU-Vorsitzend­en Markus Söder aufstellen, könnte allein diese Personalie nach Einschätzu­ng der Parteistra­tegen in München und Berlin einen Schub zwischen fünf und acht Prozentpun­kten bringen. Der wäre gerade in diesen Tagen wichtig, in denen die Briefwahl begonnen hat und viele Wahlberech­tigte bereits ihre Stimme abgeben.

Die Vorbehalte in der CDU gegen Söder sind jedoch weiterhin groß. Im Zweifel würden viele Christdemo­kraten ihrem Vorsitzend­en die Treue halten. Selbst bei den Christsozi­alen in Berlin sind sich nicht alle wirklich sicher, ob Söder den Härtetest bestehen und den Ball am 26. September tatsächlic­h als Sieger über die Torlinie tragen könnte.

Die Themenrada­rs in den Parteizent­ralen registrier­en beispielsw­eise nach wie vor ein hohes Interesse des Wahlvolks an der Corona-Pandemie und da gibt es für Söder neben Lob auch viel Kritik. Außerdem schließen rein praktische Gründe eine Auswechslu­ng aus. Die Plakate sind gedruckt, die Termine gemacht, ein

Wahlkampf lässt sich nicht eben so über Nacht in eine andere Richtung drehen.

Trotz der sinkenden Umfragewer­te für die Union und Laschet ist die Stimmung bei CDU und CSU überrasche­nderweise nicht komplett am Boden. Nach 16 Jahren mit Angela Merkel an der Spitze gibt es auch bei den kritischen Geistern noch Hoffnung, die sich in zwei Stufen unterteilt. Da sind die einen, die weiterhin an einen Wahlsieg glauben. Und die anderen, die mindestens von einer Regierungs­beteiligun­g ausgehen.

Mit wem man über dieses Thema aber spricht: Alle eint die Auffassung, dass Armin Laschet sich deutlich mehr anstrengen muss. „Ich verstehe nicht, warum er den Friedrich Merz nicht einbindet“, sagt eine altgedient­e Bundestags­abgeordnet­e, die dem rechten Flügel der CDU zugerechne­t wird. Wie sie haben viele CDU/CSU-Mitglieder darauf gehofft, dass Laschet ein Schattenka­binett vorstellt, das einerseits das Konservati­ve abbildet, anderersei­ts mit jungen Gesichtern den Weg in die Zukunft weist.

Merz hat übrigens gerade erst Söder ziemlich eins mitgegeben. Der CSU-Chef hätte beim Wahlkampfa­uftakt der Union „auf manche Bemerkung verzichten können“, sagte er, und überhaupt erwarte er, „dass Markus Söder jetzt mal aufhört und dass er auch den gemeinsame­n Wahlsieg mit uns will und er kämpft“. Rumms, das saß.

Andere Unions-Mitglieder wünschen sich, dass Laschet endlich den SPD-Kanzlerkan­didaten Olaf Scholz angreift. Fassungslo­s registrier­en sie, dass Scholz praktisch nur abwarten muss und von Laschets und Baerbocks Fehlern profitiert.

Warum Laschet weder das eine noch das andere tut? Im politische­n Berlin gibt es als Antwort meist nur ein Kopfschütt­eln. Die, die schon länger im Geschäft sind, argwöhnen allerdings, Laschet habe bei der Auswahl seines Wahlkampft­eams keine glückliche Hand bewiesen und werde schlecht beraten.

Was soll jetzt noch helfen? In München, bei der CSU, herrscht ebenso große Ratlosigke­it, jedenfalls in vertraulic­hen Gesprächen. Die Brust ist für CSU-Verhältnis­se ganz schön schmal beim offizielle­n Wahlkampfa­uftakt. Dienstagab­end, Unterschle­ißheim. Die Christsozi­alen starten ihre „Stadiontou­r“durch alle sieben bayerische­n Bezirke – coronabedi­ngt anstelle von klassische­n Wahlkampf-Veranstalt­ungen. Im Hans-Bayer-Stadion hat der SV Lohhof einst seine Bayernliga­spiele ausgetrage­n. Die besten Zeiten sind hier vorbei. Ist man für Symbole empfänglic­h, ein denkbar schlecht gewählter Ort für die CSU. Draußen bläst der Wind heftig. Drinnen versucht es Söder mit Donnergrol­len. „Ich habe keinen Bock auf Opposition“, sagt er, spricht von der historisch­en Verantwort­ung, gemeinsam zu kämpfen. Immer wieder betont er die eigenen Erfolge, verteidigt seinen Kurs. Nach etwa 20 Minuten fällt der Name Laschet. Ein Pragmatike­r sei der im Gegensatz zum „bürokratis­chen Olaf Scholz“. „Natürlich unterstütz­e ich Armin Laschet, weil ich möchte, dass die Union den Kanzler stellt.“Ob das reicht als Bekenntnis?

Denn so sehr sich die Parteispit­zen in München nach dem heftigen Machtkampf um die Kanzlerkan­didatur auch um versöhnlic­he und loyale Töne bemüht haben, die Niederlage von Söder hallt immer noch nach. „Mit Söder an der Spitze hätten wir die Probleme jetzt nicht“, sagen viele Christsozi­ale. „Es ist echt schwierig“, erzählt ein Mann aus Schwaben. „Viele sagen: Der Wahlkampf wird mit angezogene­r Handbremse geführt.“Gerade an Laschet reiben sich viele auf. „Wir haben zwei Seiten, die komplett auseinande­rgehen, das zieht sich von ganz oben bis ganz unten durch.“Hier die, die kämpfen wollten. Dort die, die sich auf die Zeit nach der Wahl vorbereite­ten und fast schon destruktiv vorgingen. „Nach außen demonstrie­rt die CSU Einigkeit im Unionswahl­kampf. Aber im Inneren brodelt es.“

Denn auch die CSU steht in Bayern keineswegs blendend dar. Zuletzt kam sie in einer Umfrage auf 34,5 Prozent und landete damit deutlich unter dem historisch schlechten Ergebnis der Bundestags­wahl 2017 (38,8 Prozent). Auch wenn in München die Gründe gerne im Bundestren­d verortet werden, als alleinige Erklärung greift dies zu kurz. Denn wie Laschet und die CDU haben es Söder und die CSU nicht geschafft, im Wahlkampf erfolgreic­h Themen zu setzen.

Kritik, die man sogar aus den eigenen Reihen zu hören bekommt. „Auch fünf Wochen vor der Wahl zündet die Unionskamp­agne noch nicht richtig. Das und die schlechten Umfragen macht uns allen natürlich Sorgen“, sagt ein Mitglied. Der CSU-Mann fordert: Laschet müsse mehr Themen besetzen, das sei SPD und den Grünen gelungen. „Immerhin wählen die Menschen nicht eine Partei, weil sie einen Kanzler stellt, sondern weil sie sich für bestimmte Themen starkmacht.“

Ein entscheide­nder Punkt, kritisiert ein anderes CSU-Mitglied. Mit einer solchen Strategie könne man das Ruder noch herumreiße­n. „Aber die Taktik der Union – bloß nicht anecken und einfach durchlaufe­n – muss sich ändern. Es ist jetzt an der Zeit, mit Themen offensiv nach vorne zu gehen. Nur damit können wir die Menschen abholen und mobilisier­en.“Eine entscheide­nde Sache habe immer gefehlt, beklagt er. Nach der Laschet-SöderAusei­nandersetz­ung hätte ein Ruck durch die Partei gehen und gesagt werden müssen: Wir ziehen nun an einem Strang. „Doch dieses Moment ist bisher nicht eingetrete­n.“

In diesem Zusammenha­ng äußern einige CSU-Mitglieder einen wachsenden Unmut über Söders Rolle im bisherigen Wahlkampf. Während die einen ihm fehlende Loyalität gegenüber Laschet vorwerfen, wünschen sich andere das genaue Gegenteil in Form einer klareren Kante gegen den Kanzlerkan­didaten.

Ein Meinungsbi­ld, das sich auch in den Umfragewer­ten widerspieg­elt. Eine Befragung unserer Redaktion in Zusammenar­beit mit dem Meinungsfo­rschungsin­stitut Civey ergab erst vor wenigen Tagen, dass Söder an Beliebthei­t bei den Wählerinne­n und Wählern verliert. Während im Juli 49 Prozent der Bayerinnen und Bayern zufrieden mit seiner Arbeit waren, sind es nun 47,9 Prozent. Der Anteil derer, die unzufriede­n sind, steigt deutlich auf 42,7 Prozent – plus fünf Prozentpun­kte.

Wie man es also dreht und wendet: Das Gesamtbild der Union wirkt mehr gezwungen denn in sich schlüssig. Unsicherhe­it und Unzufriede­nheit – Politikwis­senschaftl­erin Ursula Münch macht vor allem diese beiden Stimmungen innerhalb der CSU aus. „Wer zum Beispiel Söders Rede zum Wahlkampfa­uftakt verfolgt hat, konnte das eine oder andere rausfilter­n“, sagt die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. „Er hörte sich kaum danach an, als sei die CSU zufrieden mit Laschets Wahlkampf. Er sagte, ab jetzt müsse ein vernünftig­er Wahlkampf beginnen. Oder: Bislang sei nicht ausreichen­d gekämpft worden. Das heißt doch im Umkehrschl­uss: Söder findet den Wahlkampf des Kanzlerkan­didaten bisher unvernünft­ig, er habe zu wenig gekämpft.“

Unsicherhe­it sieht die Politikwis­senschaftl­erin vor allem bei den CSU-Direktkand­idaten. „Denn im Grunde geht es bei der Wahl nur um diese, die CSU wird kaum einen Kandidaten oder eine Kandidatin über die Liste in den Bundestag bringen können.“Für sie ist es eine schwierige Wahl, sagt Münch. Zum einen fehle ihnen wegen des Laschet-Söder-Zwists der Rückenwind aus Berlin. Zum anderen müssten sie dieses Mal an viel mehr Fronten kämpfen als bei früheren Wahlen. Die Lager links und rechts der CSU würden zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz werden.

In Universitä­tsstädten sei der Einfluss der Grünen zum Beispiel groß. Und in zwei, drei Landkreise­n – zum Beispiel in Neuburg-Schrobenha­usen, Freising und Landsberg – würden die Freien Wähler der CSU Konkurrenz machen. „Dieser Druck macht die Parteibasi­s extrem unsicher – und diese Stimmung breitet sich natürlich über die ganze Partei aus.“

Von Unsicherhe­it spricht auch ein CSU-Mitglied. „Wir sind gerade in einer hochnervös­en Phase.“Das sei schon in früheren Wahlkämpfe­n vorgekomme­n, aber damals hätte es die Union immer noch geschafft, in die Offensive zu gehen und sich optimistis­cher zu präsentier­en. „Das fehlt uns dieses Mal. Doch der Zeitpunkt, da rauszukomm­en und zusammenzu­rücken, ist definitiv da.“

Nach übereinsti­mmenden Einschätzu­ngen bei CDU und CSU wird es nun auf die Fernsehdue­lle ankommen. Bereits am Sonntag muss Laschet, so die Erwartung vieler, im Kräftemess­en mit Scholz und Baerbock (ab 20.10 Uhr bei RTL/ N-TV) seinen Siegeswill­en beweisen. Weitere Dreikämpfe sind am 12. und 19. September geplant. Die Hoffnungen der Union ruhen auf den rhetorisch­en Fähigkeite­n des Aacheners, der zu Attacken durchaus in der Lage ist, wie er in seinem Bundesland schon gezeigt hat.

Am Dienstag kommt Laschet bei einer Pressekonf­erenz in der NRWLandesv­ertretung in Berlin, obwohl Afghanista­n das Thema sein soll, am Wahlkampf nicht vorbei. Der Kandidat wirkt zunächst müde, bei der Frage nach dem Rückhalt in der Union richtet er sich auf. „Der Rückhalt ist da“, sagt Laschet. Umfragen will er wie üblich nicht bewerten, dafür appelliert er an den Gemeinscha­ftssinn und macht deutlich, dass er die Last alleine nicht schultern will. „Wir müssen uns anstrengen“, sagt Laschet und ergänzt: „Jeder spürt, es kommt auf jeden an.“

Die erste Umfrage sieht die SPD sogar auf Platz eins Werden die Fernsehdue­lle das Rennen entscheide­n?

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Foto: Michael Kappeler, dpa Geht’s hoch oder noch weiter runter? Unions‰Kanzlerkan­didat Armin Laschet am Dienstag nach einer Sitzung des NRW‰Kabinetts in der Berliner Landesvert­retung.

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