Es brennt in der Union
Armin Laschet ist kurz davor, sich als Kanzlerkandidat quasi in Luft aufzulösen – so dramatisch schlecht sind seine Umfragewerte. Er zieht CDU und CSU immer weiter nach unten, klagen seine Kritiker. Nun herrscht eine Stimmung zwischen Panik und Kopfschütt
Berlin/München Es könnte für Armin Laschet doch ganz gut laufen. Jedenfalls dann, wenn er nur Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen wäre. Sein Bundesland feiert das 75-jährige Bestehen, die finanziellen Folgen der Flutkatastrophe sind abgemildert und er kann verkünden, dass NRW über das übliche Maß, wie es die Bundesländer sonst regeln, hinaus Ortskräfte aus Afghanistan aufnehmen will. Das wären alles gute Nachrichten, die sein Ansehen im Land mehren würden.
Unschön nur, dass Laschet auch CDU-Vorsitzender und Kanzlerkandidat der Union ist. In dieser Funktion ist sein Ansehensverlust dramatisch. Laschet ist kurz davor, sich als Spitzenmann praktisch in Luft aufzulösen. CDU und CSU schauen dem Verfall von Kandidat und Partei ungläubig, wenn auch noch nicht völlig hoffnungslos zu.
Es gab schon Zeiten, im Herbst 2003 zum Beispiel, da lagen CDU und CSU in den Umfragen bei mehr als 50 Prozent. Im Moment wären viele Parteimitglieder froh, würde die Union überhaupt auf die Hälfte davon kommen. Stattdessen steht sie bei knapp über 20 Prozent, und – das bringt viele Mitglieder einer gefühlten Ohnmacht nahe – der Vorsprung auf die SPD schmilzt bedrohlich. In einer aktuellen ForsaUmfrage für die Fernsehsender RTL und N-TV ist der Albtraum sogar Realität geworden: Die SPD ist in dieser Woche erstmals seit 15 Jahren wieder stärkste politische Kraft in Deutschland. Die Sozialdemokraten
können zwei Punkte zulegen und kommen auf 23 Prozent. CDU und CSU verlieren einen Punkt auf 22 Prozent.
Wenn das Spiel schlecht läuft, liegt der Gedanke an einen Stürmerwechsel nahe. In den Rechenspielen des Spitzenpersonals kommt er natürlich vor. Würde die Union Laschet vom Feld nehmen und den bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Markus Söder aufstellen, könnte allein diese Personalie nach Einschätzung der Parteistrategen in München und Berlin einen Schub zwischen fünf und acht Prozentpunkten bringen. Der wäre gerade in diesen Tagen wichtig, in denen die Briefwahl begonnen hat und viele Wahlberechtigte bereits ihre Stimme abgeben.
Die Vorbehalte in der CDU gegen Söder sind jedoch weiterhin groß. Im Zweifel würden viele Christdemokraten ihrem Vorsitzenden die Treue halten. Selbst bei den Christsozialen in Berlin sind sich nicht alle wirklich sicher, ob Söder den Härtetest bestehen und den Ball am 26. September tatsächlich als Sieger über die Torlinie tragen könnte.
Die Themenradars in den Parteizentralen registrieren beispielsweise nach wie vor ein hohes Interesse des Wahlvolks an der Corona-Pandemie und da gibt es für Söder neben Lob auch viel Kritik. Außerdem schließen rein praktische Gründe eine Auswechslung aus. Die Plakate sind gedruckt, die Termine gemacht, ein
Wahlkampf lässt sich nicht eben so über Nacht in eine andere Richtung drehen.
Trotz der sinkenden Umfragewerte für die Union und Laschet ist die Stimmung bei CDU und CSU überraschenderweise nicht komplett am Boden. Nach 16 Jahren mit Angela Merkel an der Spitze gibt es auch bei den kritischen Geistern noch Hoffnung, die sich in zwei Stufen unterteilt. Da sind die einen, die weiterhin an einen Wahlsieg glauben. Und die anderen, die mindestens von einer Regierungsbeteiligung ausgehen.
Mit wem man über dieses Thema aber spricht: Alle eint die Auffassung, dass Armin Laschet sich deutlich mehr anstrengen muss. „Ich verstehe nicht, warum er den Friedrich Merz nicht einbindet“, sagt eine altgediente Bundestagsabgeordnete, die dem rechten Flügel der CDU zugerechnet wird. Wie sie haben viele CDU/CSU-Mitglieder darauf gehofft, dass Laschet ein Schattenkabinett vorstellt, das einerseits das Konservative abbildet, andererseits mit jungen Gesichtern den Weg in die Zukunft weist.
Merz hat übrigens gerade erst Söder ziemlich eins mitgegeben. Der CSU-Chef hätte beim Wahlkampfauftakt der Union „auf manche Bemerkung verzichten können“, sagte er, und überhaupt erwarte er, „dass Markus Söder jetzt mal aufhört und dass er auch den gemeinsamen Wahlsieg mit uns will und er kämpft“. Rumms, das saß.
Andere Unions-Mitglieder wünschen sich, dass Laschet endlich den SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz angreift. Fassungslos registrieren sie, dass Scholz praktisch nur abwarten muss und von Laschets und Baerbocks Fehlern profitiert.
Warum Laschet weder das eine noch das andere tut? Im politischen Berlin gibt es als Antwort meist nur ein Kopfschütteln. Die, die schon länger im Geschäft sind, argwöhnen allerdings, Laschet habe bei der Auswahl seines Wahlkampfteams keine glückliche Hand bewiesen und werde schlecht beraten.
Was soll jetzt noch helfen? In München, bei der CSU, herrscht ebenso große Ratlosigkeit, jedenfalls in vertraulichen Gesprächen. Die Brust ist für CSU-Verhältnisse ganz schön schmal beim offiziellen Wahlkampfauftakt. Dienstagabend, Unterschleißheim. Die Christsozialen starten ihre „Stadiontour“durch alle sieben bayerischen Bezirke – coronabedingt anstelle von klassischen Wahlkampf-Veranstaltungen. Im Hans-Bayer-Stadion hat der SV Lohhof einst seine Bayernligaspiele ausgetragen. Die besten Zeiten sind hier vorbei. Ist man für Symbole empfänglich, ein denkbar schlecht gewählter Ort für die CSU. Draußen bläst der Wind heftig. Drinnen versucht es Söder mit Donnergrollen. „Ich habe keinen Bock auf Opposition“, sagt er, spricht von der historischen Verantwortung, gemeinsam zu kämpfen. Immer wieder betont er die eigenen Erfolge, verteidigt seinen Kurs. Nach etwa 20 Minuten fällt der Name Laschet. Ein Pragmatiker sei der im Gegensatz zum „bürokratischen Olaf Scholz“. „Natürlich unterstütze ich Armin Laschet, weil ich möchte, dass die Union den Kanzler stellt.“Ob das reicht als Bekenntnis?
Denn so sehr sich die Parteispitzen in München nach dem heftigen Machtkampf um die Kanzlerkandidatur auch um versöhnliche und loyale Töne bemüht haben, die Niederlage von Söder hallt immer noch nach. „Mit Söder an der Spitze hätten wir die Probleme jetzt nicht“, sagen viele Christsoziale. „Es ist echt schwierig“, erzählt ein Mann aus Schwaben. „Viele sagen: Der Wahlkampf wird mit angezogener Handbremse geführt.“Gerade an Laschet reiben sich viele auf. „Wir haben zwei Seiten, die komplett auseinandergehen, das zieht sich von ganz oben bis ganz unten durch.“Hier die, die kämpfen wollten. Dort die, die sich auf die Zeit nach der Wahl vorbereiteten und fast schon destruktiv vorgingen. „Nach außen demonstriert die CSU Einigkeit im Unionswahlkampf. Aber im Inneren brodelt es.“
Denn auch die CSU steht in Bayern keineswegs blendend dar. Zuletzt kam sie in einer Umfrage auf 34,5 Prozent und landete damit deutlich unter dem historisch schlechten Ergebnis der Bundestagswahl 2017 (38,8 Prozent). Auch wenn in München die Gründe gerne im Bundestrend verortet werden, als alleinige Erklärung greift dies zu kurz. Denn wie Laschet und die CDU haben es Söder und die CSU nicht geschafft, im Wahlkampf erfolgreich Themen zu setzen.
Kritik, die man sogar aus den eigenen Reihen zu hören bekommt. „Auch fünf Wochen vor der Wahl zündet die Unionskampagne noch nicht richtig. Das und die schlechten Umfragen macht uns allen natürlich Sorgen“, sagt ein Mitglied. Der CSU-Mann fordert: Laschet müsse mehr Themen besetzen, das sei SPD und den Grünen gelungen. „Immerhin wählen die Menschen nicht eine Partei, weil sie einen Kanzler stellt, sondern weil sie sich für bestimmte Themen starkmacht.“
Ein entscheidender Punkt, kritisiert ein anderes CSU-Mitglied. Mit einer solchen Strategie könne man das Ruder noch herumreißen. „Aber die Taktik der Union – bloß nicht anecken und einfach durchlaufen – muss sich ändern. Es ist jetzt an der Zeit, mit Themen offensiv nach vorne zu gehen. Nur damit können wir die Menschen abholen und mobilisieren.“Eine entscheidende Sache habe immer gefehlt, beklagt er. Nach der Laschet-SöderAuseinandersetzung hätte ein Ruck durch die Partei gehen und gesagt werden müssen: Wir ziehen nun an einem Strang. „Doch dieses Moment ist bisher nicht eingetreten.“
In diesem Zusammenhang äußern einige CSU-Mitglieder einen wachsenden Unmut über Söders Rolle im bisherigen Wahlkampf. Während die einen ihm fehlende Loyalität gegenüber Laschet vorwerfen, wünschen sich andere das genaue Gegenteil in Form einer klareren Kante gegen den Kanzlerkandidaten.
Ein Meinungsbild, das sich auch in den Umfragewerten widerspiegelt. Eine Befragung unserer Redaktion in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey ergab erst vor wenigen Tagen, dass Söder an Beliebtheit bei den Wählerinnen und Wählern verliert. Während im Juli 49 Prozent der Bayerinnen und Bayern zufrieden mit seiner Arbeit waren, sind es nun 47,9 Prozent. Der Anteil derer, die unzufrieden sind, steigt deutlich auf 42,7 Prozent – plus fünf Prozentpunkte.
Wie man es also dreht und wendet: Das Gesamtbild der Union wirkt mehr gezwungen denn in sich schlüssig. Unsicherheit und Unzufriedenheit – Politikwissenschaftlerin Ursula Münch macht vor allem diese beiden Stimmungen innerhalb der CSU aus. „Wer zum Beispiel Söders Rede zum Wahlkampfauftakt verfolgt hat, konnte das eine oder andere rausfiltern“, sagt die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. „Er hörte sich kaum danach an, als sei die CSU zufrieden mit Laschets Wahlkampf. Er sagte, ab jetzt müsse ein vernünftiger Wahlkampf beginnen. Oder: Bislang sei nicht ausreichend gekämpft worden. Das heißt doch im Umkehrschluss: Söder findet den Wahlkampf des Kanzlerkandidaten bisher unvernünftig, er habe zu wenig gekämpft.“
Unsicherheit sieht die Politikwissenschaftlerin vor allem bei den CSU-Direktkandidaten. „Denn im Grunde geht es bei der Wahl nur um diese, die CSU wird kaum einen Kandidaten oder eine Kandidatin über die Liste in den Bundestag bringen können.“Für sie ist es eine schwierige Wahl, sagt Münch. Zum einen fehle ihnen wegen des Laschet-Söder-Zwists der Rückenwind aus Berlin. Zum anderen müssten sie dieses Mal an viel mehr Fronten kämpfen als bei früheren Wahlen. Die Lager links und rechts der CSU würden zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz werden.
In Universitätsstädten sei der Einfluss der Grünen zum Beispiel groß. Und in zwei, drei Landkreisen – zum Beispiel in Neuburg-Schrobenhausen, Freising und Landsberg – würden die Freien Wähler der CSU Konkurrenz machen. „Dieser Druck macht die Parteibasis extrem unsicher – und diese Stimmung breitet sich natürlich über die ganze Partei aus.“
Von Unsicherheit spricht auch ein CSU-Mitglied. „Wir sind gerade in einer hochnervösen Phase.“Das sei schon in früheren Wahlkämpfen vorgekommen, aber damals hätte es die Union immer noch geschafft, in die Offensive zu gehen und sich optimistischer zu präsentieren. „Das fehlt uns dieses Mal. Doch der Zeitpunkt, da rauszukommen und zusammenzurücken, ist definitiv da.“
Nach übereinstimmenden Einschätzungen bei CDU und CSU wird es nun auf die Fernsehduelle ankommen. Bereits am Sonntag muss Laschet, so die Erwartung vieler, im Kräftemessen mit Scholz und Baerbock (ab 20.10 Uhr bei RTL/ N-TV) seinen Siegeswillen beweisen. Weitere Dreikämpfe sind am 12. und 19. September geplant. Die Hoffnungen der Union ruhen auf den rhetorischen Fähigkeiten des Aacheners, der zu Attacken durchaus in der Lage ist, wie er in seinem Bundesland schon gezeigt hat.
Am Dienstag kommt Laschet bei einer Pressekonferenz in der NRWLandesvertretung in Berlin, obwohl Afghanistan das Thema sein soll, am Wahlkampf nicht vorbei. Der Kandidat wirkt zunächst müde, bei der Frage nach dem Rückhalt in der Union richtet er sich auf. „Der Rückhalt ist da“, sagt Laschet. Umfragen will er wie üblich nicht bewerten, dafür appelliert er an den Gemeinschaftssinn und macht deutlich, dass er die Last alleine nicht schultern will. „Wir müssen uns anstrengen“, sagt Laschet und ergänzt: „Jeder spürt, es kommt auf jeden an.“
Die erste Umfrage sieht die SPD sogar auf Platz eins Werden die Fernsehduelle das Rennen entscheiden?