Tief in den roten Zahlen
Staatsdefizit so hoch wie seit der Wiedervereinigung
Wiesbaden Trotz der Konjunkturerholung im Frühjahr steckt der deutsche Staat angesichts milliardenschwerer Ausgaben zur Bewältigung der Corona-Pandemie tief im Minus. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wies der Staatshaushalt das zweithöchste Defizit in einem ersten Halbjahr seit der Wiedervereinigung aus. Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen gaben in den ersten sechs Monaten 2021 insgesamt 80,9 Milliarden Euro mehr aus, als sie einnahmen. Bezogen auf die gesamte Wirtschaftsleistung lag das Minus bei 4,7 Prozent. „Ein höheres Defizit gab es nur im ersten Halbjahr 1995, als die Treuhandschulden in den Staatshaushalt übernommen wurden“, erläuterte die Wiesbadener Behörde.
Volkswirte gehen davon, dass sich Einnahmen und Ausgaben im Zuge des erwarteten Aufschwungs normalisieren und das Defizit 2022 schrumpfen dürfte. Läuft die Konjunktur rund, sprudeln die Steuereinnahmen und der Staat muss Unternehmen nicht mit Milliarden stützen. Gegenüber dem zweiten Halbjahr 2020 verkleinerte sich das Minus. Damals lag das Defizit bei 5,6 Prozent der Wirtschaftsleistung. Im Frühjahr gewann die Wirtschaft nach dem Einbruch im CoronaLockdown wieder an Tempo, das Bruttoinlandsprodukt stieg wieder. Laut Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat der Aufschwung Tritt gefasst: „In 2021 und 2022 wächst unsere Wirtschaft kräftig.“Vor allem die Konsumlust der Verbraucher und staatliche Konsumausgaben schoben Europas größte Volkswirtschaft an, nachdem die Einschränkungen zur Bekämpfung
des Coronavirus mit Schließungen weitgehend aufgehoben worden waren. Die Menschen gaben auch wieder Geld aus: Von 100 Euro Einkommen legten die Haushalte somit im Schnitt gut 16 Euro auf die hohe Kante. Zu Jahresbeginn waren es noch 22 Euro.
Im Krisenjahr 2020 hatte der deutsche Staat erstmals seit 2011 wieder ein Defizit ausgewiesen. Seit Beginn der Pandemie stützt der Staat die Wirtschaft mit milliardenschweren Konjunkturhilfen. Ausgaben für Überbrückungshilfen, Ausgleichszahlungen an Krankenhäuser, für Impfstoffe und Schutzausrüstung sowie für Kurzarbeitergeld und Kinderbonus rissen große Löcher in den Staatshaushalt, wenngleich die Steuereinnahmen wieder stiegen.
Das größte Minus verzeichnete der Bund mit 67,0 Milliarden Euro. Nach Einschätzung der Bundesbank könnte sich das Defizit trotz des erwarteten kräftigen Wirtschaftswachstums im Gesamtjahr vergrößern. Es dürfte über 5 Prozent des BIP hinausgehen (Vorjahr: 4,5 Prozent), so die Notenbank. „Ausschlaggebend für den Anstieg sind vor allem Maßnahmen, die nicht durch die Corona-Krise begründet sind – wie etwa die Teilabschaffung des Solidaritätszuschlags“, hieß es. Ärger aus Brüssel droht Deutschland wegen des Defizits nicht. Die EU-Staaten hatten wegen der Corona-Krise die Regeln des Stabilitätsund Wachstumspakts ausgesetzt, wonach das Haushaltsdefizit nicht über drei Prozent und die Gesamtverschuldung nicht über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen darf. Friederike Marx, dpa