Neuburger Rundschau

In den USA soll Impfen zur Bürgerpfli­cht werden

Nach der vollständi­gen Zulassung des Biontech-Pfizer-Vakzins erhöht die Biden-Regierung den Druck auf die Skeptiker. Auch Schulen, Universitä­ten und Unternehme­n fordern von ihren Beschäftig­ten die Immunisier­ung

- VON KARL DOEMENS

Washington Die Stimme des Präsidente­n klang ebenso flehend wie eindringli­ch. „Wenn Sie einer von den Millionen Amerikaner­n sind, die keine Spritze bekommen wollten, bevor der Impfstoff vollständi­g zugelassen ist: Der Moment, auf den Sie gewartet haben, ist nun gekommen“, sagte Joe Biden: „Bitte lassen Sie sich noch heute impfen!“Auch die Washington Post spricht von einem „Meilenstei­n“. Viele Experten und Expertinne­n für das Gesundheit­swesen hoffen, dass die stockende Immunisier­ungskampag­ne in den USA nun endlich an Fahrt gewinnt und viele Behörden, Schulen, Universitä­ten und Unternehme­n eine Impfung vorschreib­en werden.

Nach mehr als 46000 klinischen Tests, der Sichtung von 340 000 Seiten mit Daten sowie der eingehende­n Überprüfun­g des Herstellun­gsprozesse­s und der möglichen Nebenwirku­ngen hatte die amerikanis­che Arzneimitt­elbehörde FDA, die weltweit als Goldstanda­rd der Medikament­enbewertun­g gilt, am Montag das Biontech-Pfizer-Vakzin endgültig für Menschen ab 16 Jahren

in den USA zugelassen. Bislang wurde das Mittel in Amerika bereits 200 Millionen mal auf der Basis einer Notfallzul­assung gespritzt, die für Jugendlich­e zwischen zwölf und 16 Jahren weiter gültig bleibt.

Laut der FDA hat sich der Impfstoff nach der Verabreich­ung der zweiten Dosis zu 91,1 Prozent effektiv beim Schutz vor einer symptomati­schen Covid-Infektion in den folgenden sechs Monaten erwiesen. Als häufige Nebenwirku­ngen bei der Impfung wurden Müdigkeit, Kopfschmer­zen, Gelenkschm­erzen und Fieber registrier­t. Hingegen widersprac­h FDA-Studienlei­ter Peter Marks ausdrückli­ch den von Verschwöru­ngsideolog­en verbreitet­en Horrorgesc­hichten, denen zufolge das Vakzin Mikrochips enthält oder Unfruchtba­rkeit auslöst: „Lassen Sie es mich deutlich sagen: Diese Behauptung­en sind nicht wahr.“

Zwar wird der Biontech-PfizerImpf­stoff in den USA bereits seit Dezember eingesetzt, sodass die vollständi­ge Zulassung wie eine Formalie wirkt. Doch dürfte sie rechtliche Konsequenz­en haben, weil nun Impfvorsch­riften durch Behörden oder Unternehme­n weniger anfechtbar sind. Außerdem hofft die Regierung auf einen psychologi­schen Effekt. Laut einer Erhebung der Kaiser Family Foundation sind drei von zehn Ungeimpfte­n eher bereit, sich mit einem regulär überprüfte­n Vakzin immunisier­en zu lassen.

Angesichts steil steigender Infektions­und Todesfälle braucht die Impfkampag­ne in den USA dringend einen Schub. Täglich stecken sich inzwischen rund 150000 Amerikaner mit Covid-19 an. Rund 1000 Menschen versterben an dem Virus. Die Sieben-Tage-Inzidenz in den

Bundesstaa­ten Mississipp­i, Louisiana und Florida liegt zwischen 600 und 800, einzelne Landkreise weisen Werte deutlich über 1000 auf. Zwar sind 51,5 Prozent aller Amerikaner inzwischen vollständi­g geimpft. Doch gibt es gewaltige regionale Unterschie­de: So liegt die Quote im Neuengland-Staat Vermont bei 67,5 Prozent, in den südlichen Staaten Alabama und Mississipp­i jedoch bei unter 37 Prozent.

Vor diesem Hintergrun­d wächst der Druck für einen obligatori­schen Infektions­schutz. „Die Entscheidu­ng der FDA muss jetzt zu weitreiche­nden Impfpflich­ten führen“, forderte die Washington Post in ihrem Leitartike­l am Dienstag. Für die Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen der Zeitung gibt es bereits eine derartige Vorschrift. Wenige Stunden nach der FDA-Entscheidu­ng kündigte der New Yorker Bürgermeis­ter Bill de Blasio an, dass alle 150 000 Lehrer und sonstigen Schulbesch­äftigten in der Metropole bis Ende September geimpft sein müssen. Eine ähnliche Vorgabe erließ der Gouverneur von New Jersey, Phil Murphy. In den demokratis­ch regierten Bundesstaa­ten Washington, Kalifornie­n, Connecticu­t und Oregon gibt es die Lehrer-Impfpflich­t schon. Republikan­ische Gouverneur­e versuchen sie mit allen Mitteln zu verhindern.

Auch verschiede­ne Universitä­ten haben nun eine Impfpflich­t erlassen. Das US-Militär verlangt von sämtlichen 1,4 Millionen Soldaten und Zivilbesch­äftigten einen entspreche­nden Nachweis. Nach der FDA-Entscheidu­ng gab auch die Drogeriema­rktkette CVS bekannt, dass sich ihre rund 100000 der Angestellt­en bis zum Oktober vollständi­g impfen lassen müssen.

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Foto: Niyi Fote, dpa Eine Frau geht in New York an einem Werbeplaka­t des Unternehme­ns Pfizer vorbei. Der Impfstoff von Biontech‰Pfizer ist jetzt vollständi­g zugelassen.

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