Jack London: Der Seewolf (3)
Dass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist, dieser Überzeugung hängt im Grunde seines kalten Herzens der Kapitän Wolf Larsen an. Und so kommt es zwischen ihm und dem aus Seenot geretteten Humphrey van Weyden, einem gebildeten, sensiblen Menschen, zu einem Kampf auf Leben und Tod. ©Projekt Gutenberg
Der mächtige Rhythmus, den ich empfunden hatte, war das Rollen des Schiffes im Seegang. Der entsetzliche Gong war eine Bratpfanne, die bei jeder Bewegung des Schiffes klirrte und rasselte. Der scheuernde, sengende Sand waren harte Männerhände, die meine bloße Brust rieben. Ich krümmte mich vor Schmerz und hob den Kopf ein wenig. Meine Brust war rot und wund, und ich konnte winzige Blutstropfen aus der zerrissenen, entzündeten Haut hervorquellen sehen.
„Jetzt ist’s genug, Yonson“, sagte der eine der Männer. „Kannst du nicht sehen, wir schrubben ihm ja die ganze Haut ab!“
Der Yonson Angeredete, ein Mann von schwerem skandinavischen Typ, hörte auf, mich zu reiben, und erhob sich verlegen. Der Mann, der gesprochen hatte, war offenbar ein ,Cockney‘ (geborener Londoner), zartgliedrig und mit hübschen, fast weiblichen Zügen, der sicher das Glockengeläut Londons
mit der Muttermilch eingesogen hatte. Eine schmutzige Leinenmütze und ein ebenso schmutziger Leinenschurz um die Hüften verrieten, daß er der Koch in der entschieden sehr schmutzigen Kombüse des Schiffes war, auf dem ich mich befand.
„Na, wie fühlen Sie sich jetzt, Herr?“fragte er mit der gezierten Untertänigkeit, die auf Generationen trinkgeldbeflissener Ahnen schließen ließ.
Als Antwort versuchte ich mich zu erheben, Yonson half mir auf die Füße. Das Rasseln und Klirren der Bratpfanne zerrte entsetzlich an meinen Nerven. Ich konnte meine Gedanken nicht sammeln. Ich griff zur Stütze nach der Holzbekleidung – sie war so schmierig, daß sich mir die Eingeweide im Leibe umdrehten –, langte über den heißen Küchenherd hinweg nach dem scheußlichen Gegenstand, holte ihn vom Nagel herunter und verkeilte ihn sicher im Kohlenkasten.
Der Koch lächelte über meine
Nervosität und drückte mir mit den Worten: „Das wird Ihnen gut tun“einen dampfenden Becher in die Hand. Es war ein widerliches Gesöff – Schiffskaffee –, aber die Wärme belebte mich doch. Während ich langsam das Getränk schlürfte, warf ich hin und wieder einen Blick auf meine wundgeriebene, blutende Brust. Dann wandte ich mich an den Skandinavier.
„Vielen Dank, Herr Yonson“, sagte ich, „aber meinen Sie nicht, daß Ihre Behandlung etwas gewaltsam war?“
Eher aus meiner Bewegung als aus meinen Worten fühlte er wohl den Vorwurf heraus. Er hielt mir die Hand hin. Sie war schrecklich rauh. Mit leichtem Schauer ließ ich die meine über die hornartigen Schwielen gleiten.
„Ich heiße Johnson, nicht Yonson“, sagte er in ausgezeichnetem, wenn auch etwas langsamem und eine Spur fremdländischen Englisch.
In seinen blaßblauen Augen erschien ein milder Protest, aber dazu eine schüchterne Offenheit und Männlichkeit, die mich ganz für ihn einnahmen.
„Vielen Dank, Herr Johnson“, verbesserte ich mich und streckte ihm meine Hand hin.
Scheu und schüchtern zögerte er, trat von einem Bein auf das andere, faßte schließlich linkisch meine Hand und schüttelte sie herzlich.
„Haben Sie etwas trockenes Zeug für mich?“fragte ich den Koch.
„Ja, Herr“, erwiderte er diensteifrig. „Ich werde in meinem Vorrat nachsehen, wenn Sie nichts dagegen haben, Herr, meine Sachen anzuziehen.“
Er schlüpfte oder glitt vielmehr zur Küchentür hinaus mit einer Schnelligkeit und Geschmeidigkeit, die mir weniger katzenartig als ölig erschienen. In der Tat, diese Schlüpfrigkeit war, wie ich später erfahren sollte, wahrscheinlich seine hervorstechendste Eigenschaft.
„Und wo bin ich?“fragte ich Johnson, den ich mit Recht für einen von den Matrosen hielt. „Was für ein Fahrzeug ist dies, und wo geht es hin?“
„Von den Farallonen nach Südwest“, erwiderte er langsam und planmäßig, als bemühte er sich, sein bestes Englisch zu sprechen, und strengte sich an, meine Fragen richtig der Reihenfolge nach zu beantworten. „Schoner ,Ghost‘ auf Robbenfang nach Japan.“
„Und wo ist der Kapitän? Ich muß ihn sprechen, sobald ich mich umgekleidet habe.“
Johnson blickte verlegen und verwirrt drein. Zögernd suchte er in seinem Wortschatz nach einer treffenden Antwort. „Käptn Wolf Larsen, wie er genannt wird. Seinen andern Namen habe ich nie gehört. Aber es ist am besten, wenn Sie vorsichtig mit ihm reden. Er ist verrückt heut morgen. Der Steuermann …“
Aber er vollendete den Satz nicht. Der Koch war wieder hereingeglitten.
„Es ist besser, du machst, daß du wegkommst, Yonson“, sagte er. „Der Alte sucht dich an Deck, und heut ist es am besten, ihm nicht in die Quere zu kommen.“
Johnson wandte sich gehorsam zur Tür, wobei er mir über die Schulter des Kochs hinweg in einer merkwürdig feierlichen, unheilverkündenden Weise zuwinkte, als wollte er die unterbrochene Bemerkung bekräftigen und mir ans Herz legen, ja recht vorsichtig mit dem Kapitän zu reden.
Über dem Arm des Kochs hingen einige zerknüllte, häßliche Kleidungsstücke, die einen säuerlichen Geruch ausströmten.
„Sie sind feucht gewesen, Herr,“erklärte er, „aber Sie werden sie schon tragen müssen, bis ich Ihre am Feuer getrocknet habe.“
Während ich mich am Holzwerk festhielt, gelang es mir mit Hilfe des Kochs, in ein rauhes, wollenes Hemd zu schlüpfen. Bei der Berührung überlief mich eine Gänsehaut.
Er bemerkte mein unwillkürliches Zusammenzucken und Gesichterschneiden und grinste: „Ich will nur hoffen, daß Sie sich nie im Leben an so was gewöhnen müssen. Eine feine Haut, die Sie haben, fast wie von einer Dame! Ich hab’ gleich, als ich Ihre Haut sah, gemerkt, daß Sie ein feiner Herr sind.“War er mir schon auf den ersten Blick unsympathisch gewesen, so wuchs mein Unbehagen noch, als er mir jetzt beim Ankleiden half. Seine Berührung allein war mir widerlich. Ich wich vor seiner Hand zurück, mein Fleisch widersetzte sich. Dazu kam der nicht gerade angenehme Duft aus den verschiedenen Kochtöpfen auf dem Herde, so daß ich mich beeilte, an die frische Luft zu kommen. Überdies war es notwendig, daß ich mit dem Kapitän sprach, um zu hören, wie ich an Land kommen konnte.
Ein billiges Baumwollhemd mit ausgefranstem Kragen und verblichener Hemdbrust mit Flecken, die ich für Blutspritzer hielt, wurde mir unter einem Strom von Entschuldigungen übergezogen. Ein Paar schwerer Seestiefel umschloß meine Füße, und dazu wurde ich mit hellblauen, ausgewaschenen Überzughosen ausstaffiert, deren eines Bein ungefähr zehn Zoll kürzer als das andere war.