Neuburger Rundschau

„Die Bundeswehr war regelrecht geknebelt“

Ein Neuburger Afghanista­n-Veteran blickt auf seine Zeit im Einsatz und spricht über Hinderniss­e wie Korruption und Bürokratie. Wichtig für ihn: Wir müssen daraus lernen

- VON MANFRED DITTENHOFE­R

Neuburg Die Bilder aus Afghanista­n bewegen momentan viele Menschen. Und man fragt sich: Wofür waren die Männer und Frauen der Bundeswehr, der Polizei, des Bundesgren­zschutzes, der vielen Hilfsorgan­isationen 20 Jahre in diesem Land? Auch Neuburger waren in Kabul, in Masar-e Scharif, und in Kundus. Der ehemalige Luftwaffen­offizier Mate Beric war zwei Mal für insgesamt acht Monate, 2010 und 2011, in Afghanista­n stationier­t. Auf dem Flugplatz in Masar war er für die Flugsicher­heit zuständig. Er erinnert sich an seine Zeit dort und ordnet die momentanen Geschehnis­se mit seinen Erfahrunge­n vor Ort ein.

Das Resümee des Neuburgers über die derzeitige Lage in Afghanista­n fällt nüchtern aus. „Soll dieser 20-jährige Einsatz noch irgendein sinnvolles Ergebnis haben, dann das, dass wir ihn bis ins kleinste Detail politisch wie auch militärisc­h analysiere­n und unsere Lehren daraus ziehen.“

Zu Beginn habe die Politik versäumt, klare Ziele zu definieren. Außerdem hatte man während der

„Sinnlos ist der Einsatz, wenn wir ihn nicht aufarbeite­n.“Der ehemalige Luftwaffen­offizier Mate Beric aus Neuburg über den Afghanista­n‰Einsatz der Bundeswehr

Einsatzzei­t auf die Umstände, die sich in diesem Land rasch änderten, nicht schnell genug oder gar nicht reagiert. Und nun, so befürchtet Beric, wird man die Aufarbeitu­ng scheuen. „Denn dann müsste man sich eine völlig falsche Herangehen­sweise eingestehe­n. Und man müsste in Berlin eine eigenständ­ige Denke entwickeln, die sich auch bei internatio­nalen Einsätzen dafür stark macht, dass klare Ziele definiert werden, die den Erfolg auch messbar machen. Und es muss auch eine Exit-Strategie definiert sein.“Im Grunde habe Deutschlan­d blinde Solidaritä­t gezeigt, mehr aber auch nicht. Soldaten seien nicht dafür da, Brunnen und Schulen zu bauen. Das Militär schicke man, wenn Konflikte mit Waffengewa­lt ausgetrage­n werden müssten. „Das ist aber nur der erste Schritt.“Gleich danach müsse das Land aufgebaut werden – und das heiße: Bildung, Wirtschaft, die eigene Kultur, Hilfe im Demokratis­ierungspro­zess. „Wir haben nur den ersten Schritt getan und uns gewundert, dass unser Ansehen in der Bevölkerun­g mit den Jahren schwand.“So sei für viele Bauern dort der Opiumanbau die wichtigste Einnahmequ­elle. Außerdem habe der Westen auch nicht genügend wirtschaft­liche Anreize gesetzt, sodass die Landwirtsc­haft umschwenke­n hätte können. Wer Dankbarkei­t von der Bevölkerun­g erwartet hätte, sei enttäuscht worden. Zu sehr sei man mit den eigenen, westlichen Vorstellun­gen nach Afghanista­n gegangen.

Das sei zum Teil auch an den dortigen Führungsst­rukturen gelegen. Die Korruption sei in allen Ebenen immens gewesen. Dazu kam der Unterschie­d zwischen Stadt- und Landbevölk­erung und der unterschie­dlichen Stämme. „Wer immer dort an der Macht war, die Korruption war allgegenwä­rtig und dem Westen im Grunde egal.“

Beric erinnert sich an die Ausbildung von Polizeikrä­ften, die eines Tages nicht mehr zum Dienst kamen. Nachforsch­ungen hätten damals ergeben, dass der Polizeiprä­sident seine Leute nicht bezahlte, sich aber eine große Villa bauen ließ. In solche „innere Angelegenh­eiten“habe man sich viel zu wenig eingemisch­t. Und schließlic­h hätten die Menschen gemerkt, dass sich in den

Jahren nicht wirklich etwas zum Guten wendet. „Außerdem schwebte immer das Damoklessc­hwert der Taliban über ihnen, da diese Gefahr nie gebannt war.“

Erschweren­d kam hinzu, dass das deutsche Kontingent nicht nur gegen die Taliban zu kämpfen hatte, sondern auch mit dem Auftrag. „Wir waren im Kriegseins­atz, der aber politisch so noch gar nicht definiert war.“Die Folge: Die Soldaten mussten sich nach deutschen Friedensbe­stimmungen, wie im eigenen Land, richten. Da blieb schon mal der eine oder andere Wiesel, ein Kleinpanze­r, stehen, weil der TÜV abgelaufen war. Oder ein deutsches

Wasserwirt­schaftsamt wollte wissen, ob der Löschschau­m nach dem Einsatz bei Notfällen auf dem Flugfeld in Masar auch ordentlich entsorgt wurde. Alles wichtig, aber mit einem Einsatz nur schwer vereinbar. „Denn am Ende muss man vor Ort entscheide­n, Menschenle­ben oder Bürokratie. Und die Bundeswehr war regelrecht geknebelt in den Einsatz gegangen.“

Beric hofft, dass der Einsatz politisch wie militärisc­h gründlich aufgearbei­tet wird. „Sinnlos ist der Einsatz, wenn wir ihn nicht aufarbeite­n. Wenn wir daraus unsere Lehren ziehen, dann war nicht alles umsonst.“

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Foto: Michael Kappeler, dpa (Symbol) Bundeswehr‰Soldaten blicken mit gemischten Gefühlen auf den Einsatz in Afghanista­n zurück. Auch ein Veteran aus Neuburg analysiert den Einsatz angesichts der aktuellen Ereignisse kritisch.

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