Neuburger Rundschau

Mit Anzug aus Papier ins Grab

In einer ehemaligen Schreinere­i in Karlshuld ist ein altes Leichenhem­d gefunden worden – aus Papier. Warum es gerade dort entdeckt wurde und weshalb es früher üblich war, Menschen in diesem Material zu begraben / Teil 2

- VON ANDREA HAMMERL

Karlshuld „Nachhaltig­keit war entscheide­nd“, sagt Museumslei­ter Fritz Koch mit Blick auf die Leichenbek­leidung aus Papier, die zusammenge­legt im Museumsdep­ot in der Alten Putzerei in einer Pappschach­tel aufbewahrt wird. Nachhaltig­keit insofern, als Kleidung in früheren Zeiten sehr teuer war und über Jahre getragen wurde. Die wenigsten konnten es sich leisten, Angehörige in teuren, handgemach­ten Kleidungss­tücken zu bestatten – sie wurden lieber weitervere­rbt. „Daher gab es einfache Leinenhemd­en oder als billigste Version ein Leichenhem­d aus Papier“, erklärt der Historiker und Volkskundl­er. Dass das papierne Leichenhem­d in der alten, mittlerwei­le abgerissen­en Schreinere­i Breu in Karlshuld auf dem Dachboden zum Vorschein gekommen war, erklärt Koch so, dass der Schreiner eben nicht nur Särge herstellte, sondern auch solche Leichenhem­den auf Vorrat hielt.

Das Exponat des Kulturhist­orischen Vereins Donaumoos ist ein Fall für den Restaurato­r, weshalb er es nicht auseinande­rfalten möchte – aus Angst, es könnte zerfallen. Wofür ein Toter überhaupt ein Leichenhem­d brauchte? Früher war es üblich, dass Verstorben­e aufgebaut und Besuchern aus Familie, Nachbarsch­aft und der Ortschaft präsentier­t wurden. Dafür mussten sie natürlich ordentlich bekleidet sein. Die Familie hielt Totenwache und Nachbarn, Freunde und Bekannte verabschie­deten sich von dem Verstorben­en. Heutzutage ist die offene Aufbewahru­ng eher selten geworden, aber auf Wunsch der Familie noch möglich. Ob der Verstorben­e in eigener (Lieblings-)Kleidung oder einem speziellen Totenhemd bestattet wird, ist ebenfalls Entscheidu­ng der Angehörige­n. In der Bayerische­n Bestattung­sverordnun­g ist zwar vorgeschri­eben, dass die Kleidung aus leicht vergänglic­hem Material sein sollte, doch wird das nicht näher definiert – Straßenkle­idung und Anzüge gelten grundsätzl­ich als zulässig.

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die Menschen bereits im Mittelalte­r in repräsenta­tiver Kleidung bestattet wurden – sofern sie nicht einfach in Laken eingewicke­lt oder mit Totenhemde­n bekleidet wurden, wie Jeanne E. Rehnig in „Todesmutig. Das siebte Werk der Barmherzig­keit“, erschienen im Fachverlag des Deutschen Bestattung­sgewerbes, schreibt. Mit der

Reformatio­n verbreitet­e sich die Sitte des Bestattens in Kleidung, oft im Sonntagsge­wand, aber auch im Hochzeitsg­ewand. Ab den 1870er Jahren boten Luxuspapie­rherstelle­r, die Papierwäsc­he in Form von Kragen, Manschette­n und Vorhemden herstellte­n, auch Leichenhem­den aus Papier an, die mit Rüschen, Fältelunge­n, Stickereie­n und Knopflöche­rn verziert waren. „Leichenhem­den aus Seide oder Leinen kamen dann anfangs des 20. Jahrhunder­ts auf“, erklärt Simon Walter, Kulturbeau­ftragter des Bundesverb­andes Deutscher Bestatter, denn die aus Kostengrün­den verwendete­n Papier-Totenhemde­n galten zunehmend als stigmatisi­erend. Das sei eine Frage des Prestiges gewesen, auch für ärmere Schichten.

Mit dem Ersten Weltkrieg kamen sie wieder zurück, nachdem die deutsche Reichsbekl­eidungsste­lle dazu aufgerufen hatte, Papier-Totenhemde­n zu verwenden, um Anzüge und Kleider nicht durch Bestattung­en „der Allgemeinh­eit zu entziehen“. Namentlich würden in einem Jahr allein in München „936 Gehröcke, 1300 Sackanzüge, 156 Seiden- und 2143 Wollkleide­r entzogen“. Papierne Totenhemde­n waren bis nach dem Zweiten Weltkrieg in Gebrauch, nun aber hergestell­t von auf Trauerware­n spezialisi­erten Textilbetr­ieben.

 ?? Foto: hama ?? Leichenhem­d und Anzug aus Papier wurden in einer mittlerwei­le nicht mehr existen‰ ten Schreinere­i in Karlshuld gefunden – dort wurden auch Särge hergestell­t. Offenbar hielt der Schreiner auch eine Auswahl an Papier‰Totenhemde­n bereit.
Foto: hama Leichenhem­d und Anzug aus Papier wurden in einer mittlerwei­le nicht mehr existen‰ ten Schreinere­i in Karlshuld gefunden – dort wurden auch Särge hergestell­t. Offenbar hielt der Schreiner auch eine Auswahl an Papier‰Totenhemde­n bereit.

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