Mit Anzug aus Papier ins Grab
In einer ehemaligen Schreinerei in Karlshuld ist ein altes Leichenhemd gefunden worden – aus Papier. Warum es gerade dort entdeckt wurde und weshalb es früher üblich war, Menschen in diesem Material zu begraben / Teil 2
Karlshuld „Nachhaltigkeit war entscheidend“, sagt Museumsleiter Fritz Koch mit Blick auf die Leichenbekleidung aus Papier, die zusammengelegt im Museumsdepot in der Alten Putzerei in einer Pappschachtel aufbewahrt wird. Nachhaltigkeit insofern, als Kleidung in früheren Zeiten sehr teuer war und über Jahre getragen wurde. Die wenigsten konnten es sich leisten, Angehörige in teuren, handgemachten Kleidungsstücken zu bestatten – sie wurden lieber weitervererbt. „Daher gab es einfache Leinenhemden oder als billigste Version ein Leichenhemd aus Papier“, erklärt der Historiker und Volkskundler. Dass das papierne Leichenhemd in der alten, mittlerweile abgerissenen Schreinerei Breu in Karlshuld auf dem Dachboden zum Vorschein gekommen war, erklärt Koch so, dass der Schreiner eben nicht nur Särge herstellte, sondern auch solche Leichenhemden auf Vorrat hielt.
Das Exponat des Kulturhistorischen Vereins Donaumoos ist ein Fall für den Restaurator, weshalb er es nicht auseinanderfalten möchte – aus Angst, es könnte zerfallen. Wofür ein Toter überhaupt ein Leichenhemd brauchte? Früher war es üblich, dass Verstorbene aufgebaut und Besuchern aus Familie, Nachbarschaft und der Ortschaft präsentiert wurden. Dafür mussten sie natürlich ordentlich bekleidet sein. Die Familie hielt Totenwache und Nachbarn, Freunde und Bekannte verabschiedeten sich von dem Verstorbenen. Heutzutage ist die offene Aufbewahrung eher selten geworden, aber auf Wunsch der Familie noch möglich. Ob der Verstorbene in eigener (Lieblings-)Kleidung oder einem speziellen Totenhemd bestattet wird, ist ebenfalls Entscheidung der Angehörigen. In der Bayerischen Bestattungsverordnung ist zwar vorgeschrieben, dass die Kleidung aus leicht vergänglichem Material sein sollte, doch wird das nicht näher definiert – Straßenkleidung und Anzüge gelten grundsätzlich als zulässig.
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die Menschen bereits im Mittelalter in repräsentativer Kleidung bestattet wurden – sofern sie nicht einfach in Laken eingewickelt oder mit Totenhemden bekleidet wurden, wie Jeanne E. Rehnig in „Todesmutig. Das siebte Werk der Barmherzigkeit“, erschienen im Fachverlag des Deutschen Bestattungsgewerbes, schreibt. Mit der
Reformation verbreitete sich die Sitte des Bestattens in Kleidung, oft im Sonntagsgewand, aber auch im Hochzeitsgewand. Ab den 1870er Jahren boten Luxuspapierhersteller, die Papierwäsche in Form von Kragen, Manschetten und Vorhemden herstellten, auch Leichenhemden aus Papier an, die mit Rüschen, Fältelungen, Stickereien und Knopflöchern verziert waren. „Leichenhemden aus Seide oder Leinen kamen dann anfangs des 20. Jahrhunderts auf“, erklärt Simon Walter, Kulturbeauftragter des Bundesverbandes Deutscher Bestatter, denn die aus Kostengründen verwendeten Papier-Totenhemden galten zunehmend als stigmatisierend. Das sei eine Frage des Prestiges gewesen, auch für ärmere Schichten.
Mit dem Ersten Weltkrieg kamen sie wieder zurück, nachdem die deutsche Reichsbekleidungsstelle dazu aufgerufen hatte, Papier-Totenhemden zu verwenden, um Anzüge und Kleider nicht durch Bestattungen „der Allgemeinheit zu entziehen“. Namentlich würden in einem Jahr allein in München „936 Gehröcke, 1300 Sackanzüge, 156 Seiden- und 2143 Wollkleider entzogen“. Papierne Totenhemden waren bis nach dem Zweiten Weltkrieg in Gebrauch, nun aber hergestellt von auf Trauerwaren spezialisierten Textilbetrieben.