Erbe Tollers bewahren
Alle zwei Jahre wird der Ernst-Toller-Preis für besondere literarische Leistungen im Grenzbereich von Literatur und Politik vergeben. Die Gesellschaft dahinter hat sich in Neuburg gegründet – und feiert heuer ein Jubiläum
Alle zwei Jahre wird der Ernst-Toller-Preis vergeben. Die Gesellschaft dahinter hat sich in Neuburg gegründet – und feiert heuer ein Jubiläum.
Neuburg Es ist genau hundert Jahre her, dass Ernst Toller „Masche Mensch“verfasst hat. Ein Stück, das natürlich nicht sein einziges blieb. Noch während seiner fünfjährigen Haft, die er auch in Neuburg und Niederschönenfeld verbrachte, entstanden weitere – Gedichte, Briefe, Prosa – die sich zum Teil noch immer unentdeckt in Archiven verbergen. Diesem Erbe und der Suche danach hat sich die Ernst-Toller-Gesellschaft aus Neuburg verschrieben, in diesem Jahr wird sie 25.
Bayern 1919. Es ist der 7. April, als die Münchner Räterepublik ausgerufen wird. Sie ist die letzte Phase der Revolution, im Freistaat ein neues Gemeinwesen zu etablieren. Die Ziele, offensichtlich, sind subversiv. Die Machtübernahme durch die Arbeiterparteien, der Anschluss an die Weltrevolution, die Vergesellschaftung der Wirtschaft. Aber der Versuch scheitert und jene, die an der Räterepublik beteiligt waren, werden getötet oder bekommen hohe Haftstrafen. Auch Ernst Toller muss deshalb – wegen Hochverrats – ins Gefängnis. Zuerst in die Justizvollzugsanstalt nach München, später nach Neuburg und Eichstätt, bevor er 1920 nach Niederschönenfeld überführt wird. In dieser Zeit schrieb Ernst Toller neben „Masse Mensch“nacheinander „Die Maschinenstürmer“, „Der deutsche Hinkemann“und „Der entfesselte Wotan“– Stücke, die dem Revolutionär und späteren Politiker auch international zum Durchbruch als Dramatiker verhelfen.
Einer, der sich mit dieser Geschichte auskennt, ist Dieter Distl. Der Karlshulder hat sich bereits während seiner Promotion mit dem Charakter Tollers auseinandergesetzt. „Eine prägende Figur, mit der wir es hier zu tun hatten“, resümiert der frühere Kulturreferent der Stadt Neuburg, der Anfang der 1990er ohnehin mehr für die örtliche Literaturförderung tun wollte. Ernst Toller, der „immer wieder mal in oder bei Neuburg einsaß“, bot sich als Verbindung an, um eine Vereinigung zu gründen. Der Beginn also der Ernst-Toller-Gesellschaft, die mittlerweile seit 25 Jahren besteht.
Deren Ziel ist es laut Dieter Distl auch heute noch zum einen, Tollers Gesamtwerk wieder ins kulturelle Gedächtnis zu rufen. In den 25 Jahren ihres Bestehens hat die Gesellschaft aus diesem Grund sechs Bände, zwei Briefbände und zehn Forschungsbände zum Literaten veröffentlicht. Auf der anderen Seite steht der sogenannte Ernst-TollerPreis: Ihn vergibt die Gesellschaft alle zwei Jahre, erzählt Dieter Distl, für „besondere literarische Leistungen im Grenzbereich von Literatur und Politik“. „Wir suchen dabei nicht immer unbedingt nach Newcomern“, bemerkt der Initiator der Gesellschaft.
Denn bekommen haben ihn seither auch durchaus bekannte Literatinnen und Literaten wie Gerhard Polt, Günter Grass und Juli Zeh. Dotiert ist der Ernst-Toller-Preis mit 5000 Euro. Dieses Geld stamme aus den jährlichen Bücherbasaren, die der Lions Club zu Weihnachten veranstaltet. „Der Lions Club hat uns schon von Beginn an sehr unterstützt.“
In diesem Jahr kann sich die österreichische Schriftstellerin Gertraud Klemm über Auszeichnung und Prämie freuen. „Mit Gertraud Klemm ehrt die Ernst-Toller-Gesellschaft ein literarisches Werk, welches in ironisch-kritischer Weise Strukturen der Macht kritisch hinterfragt“, heißt es dazu in der Jury-Begründung. Seit ihren schriftstellerischen Anfängen beschäftige sich die Autorin mit der feministischen Analyse bürgerlicher Frauenrollen, sie rücke Sexismus, Mutterschaft und Adoption ebenso ins Zentrum ihrer Texte wie das Altern, die neoliberale Erfolgsund Wertegesellschaft sowie Religion.
Konkret ausgezeichnet wird der Roman „Hippocampus“, der 2019 erschienen ist. Gertraud Klemm, schreibt die Jury, zeige anhand des Kunst- und Literaturbetriebs „die patriarchalen Strukturen und zermürbenden Mechanismen auf, die unsere Gesellschaft bestimmen und fordert damit auch zur Reflexion der Erinnerungskultur auf“. Dieser Einladung komme die Ernst-Toller-Gesellschaft gerade im 25. Jahr ihres Bestehens gerne nach. „Mit Toller verbindet Gertraud Klemm der Wille zum Protest sowie die Fähigkeit, auch dort unnachlässig Kritik zu üben, wo kurzfristig kaum Applaus zu erwarten ist.“
Seit 2013 hat die 1971 geborene Autorin fünf Romane und einen Lyrikband veröffentlicht. Für ihr Werk wurden Gertraud Klemm viele Auszeichnungen und Stipendien zugesprochen, darunter der Lise-Meitner-Literaturpreis, der BKS-Publikumspreis beim Ingeborg-Bachmann-Preis und der Outstanding Artist Award für Literatur. Den Ernst-Toller-Preis bekommt sie am 25. September 2021 im Stadttheater Neuburg verliehen. In diesem Rahmen feiert die ErnstToller-Gesellschaft übrigens auch ihr 25-jähriges Jubiläum.