Neuburger Rundschau

Zerrüttete­s Seelenlebe­n

Tennisspie­lerin Naomi Osaka hält Druck und Kritik im Profi-Tennis nicht mehr aus. Die 23-Jährige überlegt deshalb ernsthaft, sich zurückzuzi­ehen

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Das Jahr 2021 hatte so vielverspr­echend für Naomi Osaka begonnen. Die 23-jährige Tennisspie­lerin sicherte sich im Februar mit dem Sieg bei den Australian Open ihren vierten Grand-SlamTitel und galt als Favoritin für die French Open und die anstehende­n Olympische­n Spiele in ihrem Heimatland Japan. Dafür hatte Osaka, Tochter eines Haitianers und einer Japanerin und seit ihrem dritten Lebensjahr in den USA aufgewachs­en, ihre amerikanis­che Staatsbürg­erschaft aufgegeben und sich für die japanische entschiede­n.

Doch bei den French Open zeichnete sich erstmals ab, dass Osaka dem Druck, der Kritik und den Erwartunge­n, die der Profi-Tenniszirk­us mit sich bringt, nicht standhält. Sie machte öffentlich, dass sie seit geraumer Zeit an Depression­en leide, brach eine Pressekonf­erenz unter Tränen ab und zog sich dann ganz aus dem Turnier zurück. In Wimbledon trat sie gar nicht erst an. Im August in Tokio entzündete sie als letzte olympische Läuferin die Fackel im Stadion, doch sportlich schied die japanische Hoffnungst­rägerin auf eine Medaille schon im Achtelfina­le aus.

Nun also die US Open, wo ihre Auftritte mit Spannung erwartet wurden. Hier wollte Osaka noch einmal angreifen, doch erneut verlor die Weltrangli­stenzweite in der dritten Runde gegen die unbekannte 18-jährige Leylah Fernandez aus Kanada. In der Pressekonf­erenz flossen wieder Tränen. Siege würden sie nicht mehr glücklich machen, gestand Osaka. „Und wenn ich verliere, bin ich sehr traurig. Ich glaube nicht, dass das normal ist.“Sie scheint an dem Punkt angelangt, an dem sie mit 23 Jahren ernsthaft erwägt, die Reißleine zugunsten ihrer mentalen Gesundheit zu ziehen. „Ich denke, ich werde für eine Weile mit dem Spielen pausieren“, sagte Osaka, die im Jahr 2018 schlagarti­g bekannt geworden war, als sie im Finale der US Open Serena Williams mit 6:2, 6:4 vom Platz gefegt hatte.

Im Blickpunkt steht die Japanerin aber auch, weil sie sich abseits des Platzes durch großes soziales und politische­s Engagement auszeichne­t. So prangert sie Rassismus in den USA und Japan an, ruft dazu auf, sich mit der Black-Lives-Matter-Bewegung zu solidarisi­eren, und trägt während der Pandemie zu ihren Partien Gesichtsma­sken mit Konterfeis der Opfer von Polizeigew­alt. Doch ihre starken Botschafte­n, verbunden mit ihren labilen öffentlich­en Auftritten, lassen sie in den sozialen Medien zur Zielscheib­e hef- tigster Kritik werden. „Heulsuse“und „verwöhnte Göre“sind noch die harmlosest­en Beleidigun­gen, denen sich Osaka ausgesetzt sieht.

Andrea Bogenreuth­er

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Foto: dpa

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