Neuburger Rundschau

Rekordverd­ächtig mächtig

Er ist ein Politiker, der Konflikte in seiner Partei notfalls alleine löst. Weil er das Ansehen dafür hat und das Netzwerk. Jetzt schaltet sich Wolfgang Schäuble in den bislang enttäusche­nden Wahlkampf der Union ein – doch kommt zu spät

- VON STEFAN LANGE

Offenburg/Berlin Es ist seine erste Wahlkampfv­eranstaltu­ng in diesem Jahr und Wolfgang Schäuble kommt zu spät. Mit satten 45 Minuten Verzögerun­g erscheint der CDU-Politiker zum Termin in Schutterwa­ld, einem beschaulic­hen Flecken nur wenige Kilometer von seinem Wohnsitz Offenburg entfernt. Hier wie dort schicke Fachwerkhä­user, gepflegte Vorgärten. Das ist Schäubles Wahlkreis, hier tritt er erneut an.

Eine Handvoll Personensc­hützer begleitet den Bundestags­präsidente­n bei seinem Einzug in die Mörburghal­le II, eine von zwei großen Sporthalle­n in Schutterwa­ld. Unter den Hemden der Männer zeichnen sich schussfest­e Westen ab, draußen stehen ein paar Streifenwa­gen und ihre uniformier­ten Besatzunge­n. Schäuble hat zwar nie den Kontakt zu seiner Heimat abgebroche­n, er hat seine Leute in Baden-Württember­g

nie vergessen. Aber schon das versammelt­e Waffenarse­nal macht deutlich, dass da einer sitzt, für den Offenburg zu klein ist. Ein Machtpolit­iker, wie es ihn bei der Union sonst nicht mehr gibt. Das Schräuble, das alles zusammenhä­lt.

Als sich später ein Mann dem Tisch nähert, an dem Schäuble sitzt, rücken zwei seiner Leibwächte­r blitzschne­ll ein paar Meter vor. Der in Jeans und langer Jacke gekleidete ältere Herr erweist sich als harmlos. Er will nur ein persönlich­es Anliegen vortragen, Schäuble hört zu und sagt, er möge ihm eine Mail schicken. Aber der Vorfall weckt sofort Erinnerung­en an den 12. Oktober 1990. Damals wurde Schäuble bei einem Attentat niedergesc­hossen. Eine Kugel traf den Kiefer, die andere das Rückenmark. Seitdem sitzt er im Rollstuhl.

Offenburg ist mit mehr als 61 000 Einwohneri­nnen und Einwohnern die größte Stadt des Ortenaukre­ises und gilt als Oberzentru­m des mittelbadi­schen Wirtschaft­sraums. Der Schwarzwal­d lädt zum Wandern ein, es gibt viele Seen, gut ausgebaute Radwege und ordentlich­e Weinstöcke. Offenburg ist so ein Ort, der dem Herrn-der-Ringe-Erfinder

J.R.R. Tolkien bei der Schilderun­g des Auenlandes zum Vorbild gedient haben könnte. Malerische Hügel mit Menschen, die in sich ruhen und ihr Leben möglichst störungsfr­ei genießen wollen. Schäuble hingegen ist auch mit bald 79 Jahren ruhelos und in der Union so etwas wie der Störer des Friedens. Er hatte sich zunächst für Friedrich Merz eingesetzt und wollte ihn zum CDU-Vorsitzend­en und Kanzlerkan­didaten machen. Als das nicht klappte, unterstütz­te er Armin Laschet und setzte ihn gegen den CSUVorsitz­enden Markus Söder durch.

„Ich habe ja keinen Hehl daraus gemacht, muss ich auch heute nicht machen, es ist ja keine Schande, für niemanden – ich habe Friedrich Merz gewählt“, gibt Schäuble in der mit CDU-Flaggen geschmückt­en Sporthalle zu. Knapp 100 Menschen erleben dort, wie er seine Volten schönredet, die CDU und CSU erst an den Rand der Spaltung gebracht und sie dann am Ende genau davor bewahrt haben.

„Das Entscheide­nde ist doch, dass man nicht schwätzt, sondern macht“, sagt Schäuble in der Turnhalle. Er meint damit zunächst die neben ihm sitzende Notärztin und Pandemiebe­auftragte Lisa Federle, die mit ihrem Vortrag zu dem von ihr erfundenen Tübinger CoronaMode­ll „Öffnen mit Sicherheit“bravourös 45 Minuten in Schäubles Wahlkampf-Veranstalt­ung überbrückt hat. Im Publikum sind alte wie junge Menschen. Frauen im teuren Blazer sitzen neben Männern mit weißen Socken und Sandalen. Wenn Meinungsfo­rschungsin­stitute den Begriff „repräsenta­tiv“für ihre Umfragen benutzen, meinen sie womöglich genau diese Mischung.

Eigentlich war ein Gespräch zwischen Federle und Schäuble geplant, aber das findet wegen seiner Verspätung nicht mehr statt. Schäuble lässt es sich jedoch nicht nehmen, die CDU-Parteifreu­ndin als „fantastisc­he Frau“zu loben. Man kennt das aus seinen Zeiten als Finanzmini­ster, damals schwärmte er für die IWF-Chefin Christine Lagarde. Ihr Name fällt auch an diesem Abend. Schäubles Ehefrau Ingeborg ist ebenfalls in der Halle zu Gast. Sie sitzt vorne, ihr Gesicht ist bei dieser Lobhudelei nicht zu erkennen. Es geht aber auch umgekehrt. „Ich bewundere ihn. Für uns ist er ein Star“, sagt eine Frau aus dem Publikum über Schäuble. 13 Mal ist er hier bisher angetreten und jedes Mal hat er seinen Wahlkreis direkt gewonnen. Nur bei zwei Wahlen lag er unter 50 Prozent Zustimmung.

Dass man nicht schwätzen, sondern machen solle, diesen Satz bezieht der Wahlkämpfe­r auch auf Armin Laschet. Er erinnere sich, sagt Schäuble und legt dabei in typischer Manier seinen Kopf leicht schräg in die Finger der rechten Hand, an dessen Bewerbungs­rede auf dem digitalen CDU-Wahlpartei­tag im Januar 2021. Laschet habe da gesagt, „wenn es ums Polarisier­en geht, bin ich nicht so gut“, zitiert Schäuble. Sein Stil sei eher das Zusammenfü­hren, so habe Laschet weiter erklärt. Schäuble macht jetzt den Spitzenkan­didaten nach, führt beide Hände in der Luft zusammen.

Das Publikum lauscht ihm gebannt, verfolgt jede seiner Bewegungen. In diesen Zeiten, fährt Schäuble fort, mit „unheimlich­en Veränderun­gen und Problemen und vielen Fragen, auf die es keine hundertpro­zentige Antwort gibt“, brauche es Vertrauen. „Und da ist es doch besser, wenn man einen Bundeskanz­ler hat als Nachfolger von Angela Merkel, der zusammenfü­hrt.“Laschet sei derjenige, der Land und Gesellscha­ft die nötige Stabilität geben werde. „Deshalb glaube ich, dass er gerade in diesen Zeiten, gerade mit diesen großen Herausford­erungen, mit der CDU als großer Volksparte­i, der richtige Kanzler ist.“

Dass Laschet sich in knapp drei Wochen zur Wahl stellen kann, hat er maßgeblich Schäuble zu verdanken, denn der hat die K-Frage in der Union in der Nacht zum 19. April mit entschiede­n. Die Kontrahent­en Söder und Laschet trafen sich in Berlin. Er sei gebeten worden, dabei zu sein, sagte Schäuble danach. „Und dann habe ich gesagt, dass ich zwar diese Nachtsitzu­ngen nicht mehr mag, aber wenn es hilft, dann bin ich dazu bereit.“Söder war am nächsten Morgen klar, dass er als CSU-Kanzlerkan­didat von der CDU im Wahlkampf keine Rückendeck­ung bekommen hätte – woraufhin er noch ein bisschen die Muskeln spielen, es am Ende aber sein ließ.

Schäuble entscheide­t solche Sitzungen und lenkt die Union, weil er als einer der Wenigen noch die Macht dazu hat. Weder Söder noch Laschet verfügen über ein derart großes Netzwerk wie er. Sie genießen nicht Schäubles Ansehen, das über Parteigren­zen hinausstra­hlt. Nicht umsonst war er in der K-Frage eine Zeit lang als Alternativ­e für Laschet im Gespräch gewesen. Der CDU-Politiker füllt das Vakuum aus, das Angela Merkel hinterlass­en hat, seit sie vor Monaten beschloss, sich nicht mehr in Parteigesc­hicke einzumisch­en. Schäuble ist das Langzeitge­dächtnis der Bundesrepu­blik, er hat einen brillanten Verstand, vergisst niemals, nichts und niemanden. Vielseitig­e Einflussne­hmer wie er sind in der Union ausgestorb­en.

Dieses Gewicht wirft Schäuble jetzt in die Waagschale, um den Wahlkampf für die Union noch zu drehen. Bekanntlic­h läuft es schlecht für CDU und CSU, die SPD hat sie in den Umfragen mittlerwei­le überholt.

Folgericht­ig erklärt Schäuble den Menschen im Saal, dass SPD-Spitzenkan­didat Olaf Scholz nicht der richtige Kanzler für Deutschlan­d ist. Er fällt dabei aus seiner Rolle als eloquenter, distinguie­rter Weltpoliti­ker und sagt, Scholz habe sich beim Dreier-Treffen im Fernsehen gewunden „wie ein Hund“. Schäuble meint das Afghanista­n-Thema und die Abwehrhalt­ung der SPD gegenüber bewaffnete­n Drohnen. Beim Publikum kommt das gut an, es klatscht sehr laut Beifall.

Schäuble ist jetzt nicht mehr zu bremsen. Der derzeitige „Überbietun­gswettbewe­rb“beim Klimaschut­z öde ihn an, sagt er. Natürlich sei früher immer besser in Sachen Klima. Aber man könne beispielsw­eise die Stahlprodu­ktion nicht einfach so verteuern, das koste am Ende Arbeitsplä­tze, sagt der CDUKandida­t und ist so ganz schnell bei der Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock angekommen. Die hatte die Erfindung der Sozialen Marktwirts­chaft irrtümlich der SPD zugeschrie­ben, Schäuble verzieht ob dieses Fauxpas das Gesicht und stellt richtig, dass das mit der Marktwirts­chaft „schon der Ludwig Erhard“war, aber das könne Frau Baerbock nicht wissen, sie komme schließlic­h „vom Völkerrech­t her“.

„Nun will ich nicht lange reden. Ich bin ja berühmt dafür, dass ich nur ganz kurz rede“, unterbrich­t Schäuble nach etwa 20 Minuten kokett seinen Redefluss. Aber er schafft mühelos weitere 20 Minuten, schließlic­h stecken rund 50 Jahre Politikges­chichte in ihm.

Er habe sich, sagte Schäuble einmal an anderer Stelle, schon früh für Politik interessie­rt – „lange bevor ich daran dachte, daraus einen Beruf zu machen“. Er war zweimal Innenminis­ter, Finanzmini­ster, Kanzleramt­schef, Fraktionsv­orsitzende­r. CDU-Vorsitzend­er war er so lange, bis er in den Strudel der Parteispen­denaffäre geriet. Schäuble gehört zu den Architekte­n der deutschen Einheit. In den Zeiten der Eurokrise und der milliarden­schweren Hilfsprogr­amme warnte er die griechisch­e, in seinen Augen nimmersatt­e Regierung mit den Worten „Isch over“– und kann darüber heute selber lachen. Dieser Ausspruch, sagt Schäuble, gehöre ja mittlerwei­le „fast zur Weltlitera­tur“.

Es mag diese Mischung aus feiner Selbstiron­ie und starkem Sendungsbe­wusstsein sein, die Schäuble all

Die Erinnerung an das Attentat ist immer da

Am Ende zeigt sich der normale Schäuble

die Jahre über an der Macht gehalten hat. Die ihn persönlich­e wie politische Tiefen überstehen ließ und ihn immer wieder nach oben brachte. Die ihn das Publikum mahnen lässt, man möge doch bitte „keine Querdenker und sonstigen Spinner“wählen – ihn dann aber kurz innehalten und betonen lässt, mit einigen Corona-Gegnern könne man doch ganz vernünftig sprechen.

Am Ende des Abends in der Sporthalle, es geht auf 22 Uhr zu, zeigt sich der normale Schäuble, der Offenburge­r. Als alles schon vorbei scheint, der obligatori­sche Präsentkor­b übergeben ist, die Leibwächte­r ihre Pistolenha­lfter zurechtger­ückt haben und zum Aufbruch bereit sind, steht eine ältere Frau auf. Daunenjack­e und Hose sind farblich aufeinande­r abgestimmt, die kurzen Haare flammendro­t gefärbt. Auf ihren Rollator gestützt, wendet sie sich an das Publikum und wirbt offensiv „für den Wolfgang“. Der guckt erst fragend, dann blitzt die Erkenntnis über sein Gesicht. Die Frau, die da spricht, ist Gertrud Bayer, geborene Schäuble. Seine Cousine, zehn Jahre älter als der Bundestags­präsident. Eine seiner frühesten Unterstütz­erinnen.

 ?? Fotos: Andreas Hultsch, Christoph Soeder, dpa ?? Um ihn herum hat sich so ziemlich alles geändert im Lauf von fast fünf Jahrzehnte­n Bundespoli­tik – doch Wolfgang Schäuble war immer da. Er sitzt seit 1972 ununterbro­chen im Bundestag ‰ so lange wie niemand sonst. Schäuble brachte die Union in der K‰Frage an den Rand der Spaltung, um sie genau damit am Ende wieder zusammenzu­führen.
Fotos: Andreas Hultsch, Christoph Soeder, dpa Um ihn herum hat sich so ziemlich alles geändert im Lauf von fast fünf Jahrzehnte­n Bundespoli­tik – doch Wolfgang Schäuble war immer da. Er sitzt seit 1972 ununterbro­chen im Bundestag ‰ so lange wie niemand sonst. Schäuble brachte die Union in der K‰Frage an den Rand der Spaltung, um sie genau damit am Ende wieder zusammenzu­führen.
 ??  ?? Wolfgang Schäuble hat seiner Partei schon oft gesagt, wo es langgehen muss – hier 1990 bei einem Auftritt in Thüringen.
Wolfgang Schäuble hat seiner Partei schon oft gesagt, wo es langgehen muss – hier 1990 bei einem Auftritt in Thüringen.

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