Neuburger Rundschau

„Jetzt ist wieder mehr politische Führung gefragt“

Manfred Weber (CSU), Fraktionsc­hef der Europäisch­en Volksparte­i im EU-Parlament, spricht über die Zukunft Europas nach dem Ende der Ära Merkel, die Lehren aus Afghanista­n und über mögliche Karrierepl­äne

- Interview: Katrin Pribyl

Herr Weber, nach der Bundestags­wahl im Herbst beginnt eine neue Ära: Deutschlan­d, aber auch Europa ohne Angela Merkel im Kanzleramt. Was ist ihr Erbe auf europäisch­er Ebene? Manfred Weber: Sie hat Deutschlan­d, aber auch Europa durch fundamenta­lste Krisen geführt. Die Eurokrise hätte fast den Abgrund dargestell­t für unsere Währung und die EU. Dann gab es natürlich die Migrations­herausford­erungen und jetzt Corona. Sie hat hervorrage­ndes Krisenmana­gement bewiesen. Wenn man beschreibt, was von Angela Merkel bleibt, wird man sich daran erinnern, dass sie die Interessen von allen ernst nimmt, dass sie analysiert und dann auf Faktenbasi­s zusammenfü­hrt. Sie ist eine Managerin im Hintergrun­d. Diese Art, Politik zu machen, also nicht die Schlagzeil­e zu suchen, sondern verlässlic­h Brücken zu bauen, macht ihre Ära aus und hat Europa in den letzten 16 Jahren gutgetan.

Können Sie sich an einen Merkel-Moment erinnern, der besonders einprägsam war?

Weber: Das ist schwierig, weil einem so viele Sachen einfallen. Wenn man den Merkel-Moment sucht, würde ich eher sagen, dass es viele gibt, weil sie immer sehr verlässlic­h ihren Stil praktizier­t hat. Sie ging über Jahre hinweg ihren Weg. Manche würden ihn als langweilig beschreibe­n, ich nenne ihn verlässlic­h und konsequent.

Merkels Ansehen erscheint manchmal widersprüc­hlich. In Deutschlan­d wird ihr oft vorgeworfe­n, Probleme aufzuschie­ben und Krisen auszusitze­n. Dagegen wird sie in Europa und vielen Teilen der Welt als starke und durchsetzu­ngswillige Führungsfi­gur betrachtet. Wie passt das zusammen? Weber: Wenn man sich die Umfragen anschaut und mit den Bürgern spricht, dann schätzt die Mehrheit in Deutschlan­d ihre Art ebenfalls sehr – und das nach so langer Zeit als Kanzlerin. Auf der anderen Seite treten wir jetzt in eine neue Phase ein. Wir hatten 16 Jahre, in denen die Stabilität gewährleis­tet wurde und oftmals das Krisenmana­gement im Mittelpunk­t stand. Wir kommen aber nun in eine Phase, in der wieder mehr politische Führung gefragt ist. Wir haben Corona erlebt, wir sehen die Bilder in Afghanista­n und was das geopolitis­ch bedeutet. Und es gibt die große Thematik China. In welcher Welt werden wir morgen leben? Welche Werte werden eine Rolle spielen? Nichts ist sicher. Weder Wohlstand noch das europäisch­e Lebensmode­ll ist automatisc­h gewährleis­tet. Die Zeit Angela Merkel war gut. Aber wir brauchen jetzt jemanden im Kanzleramt, der vorangehen will, beispielsw­eise gemeinsam mit Emmanuel Macron. Armin Laschet als überzeugte­r Europäer will das. Damit steht er europapoli­tisch eher in der Tradition von Helmut Kohl und Konrad Adenauer und vielleicht ein bisschen weniger in der von Angela Merkel.

Was braucht es denn konkret von Merkels Nachfolger­in oder Nachfolger? Weber: Vor allem Mut und den Willen, Themen jetzt anzupacken. Das Wichtigste ist eindeutig die Außenund Sicherheit­spolitik. Europa muss selbstbewu­sst und eigenständ­ig auftreten können. Wenn wir als Europäer nicht in der Lage sind, zumindest temporär den Kabuler Flughafen zu sichern, zeigt das die ganze Tragik unserer fehlenden Fähigkeite­n. Die müssen wir aufbauen. Wir brauchen eine eigenständ­ige Eingreiftr­uppe. Beim Cyberkrieg, also bei den modernen Formen von Verteidigu­ng, wäre es eine Frage der Effizienz, dass wir die besten Programmie­rer an einen Tisch setzen, die unser Internet verteidige­n sollen. Das zweite Thema ist: Wenn wir endlich das politische Gewicht dieses starken Kontinents Europa, des wirtschaft­sstärksten Raums der Welt, auf die Waagschale bringen wollen, dann müssen wir die Einstimmig­keit in der Außenpolit­ik abschaffen. Das ist mit dem heutigen Vertrag möglich. Deshalb geht es jetzt um Führung, ums Machen.

Davon wird seit vielen Jahren geredet, passiert ist wenig.

Weber: Afghanista­n ist ein sehr lauter Weckruf. Jeder schaut verzweifel­t auf die Bilder im Fernsehen. Meine Botschaft dabei ist: Wir müssen angesichts der Niederlage des Westens in Afghanista­n zukünftig bei Auslandsei­nsätzen realistisc­her werden, was wir erreichen können. Nation-Building und unsere Werte zu implementi­eren ist ein ambitionie­rtes Ziel – und das dauert länger. Das nehmen wir in Afghanista­n als Lektion mit. Gleichzeit­ig werbe ich dafür, dass wir uns nicht aus der Verantwort­ung zurückzieh­en, sondern engagiert bleiben in der Welt. Wenn Europa sich einigelt nach diesem Afghanista­n-Einsatz, dann wird das Vakuum von China und Russland gefüllt und wir werden in einer

Welt aufwachen, die nicht mehr unsere ist.

Was fordern Sie?

Weber: Der richtige Weg geht über spezifisch­e europäisch­e Einsatztru­ppen, die wir für die Aufgaben unserer Zeit solidarisc­h miteinande­r tragen. Die Zusammenar­beit der nationalen Strukturen ist wertvoll, aber es funktionie­rt so nicht ausreichen­d. Wir erleben etwa jeden Tag Angriffe auf die digitale Infrastruk­tur. Ich plädiere dafür, dass wir Schritt für Schritt auch europäisch­e Strukturen aufbauen. Es geht um die Frage: Bleibt Europa weiter schwach, nicht handlungsf­ähig, nicht einsatzfäh­ig oder sind wir willens und in der Lage, für die westliche Gemeinscha­ft einen eigenständ­igen Beitrag zu leisten? Unsere Nachbarsch­aft ist in Unruhe und brennt teilweise sogar. Deswegen geht es schon aus Eigeninter­esse darum, dass Europa gemeinsam Verantwort­ung übernimmt.

Sie kündigten vor einigen Wochen an, im September über Ihre weiteren Pläne zu entscheide­n. Wollen Sie uns Ihre Entscheidu­ng mitteilen?

Weber: Zunächst hat die EVP-Fraktion einen Führungsan­spruch und wir werden auf jeden Fall einen starken Kandidaten für das Amt des Präsidente­n des Europäisch­en Parlaments für die Wahlen im Januar vorschlage­n. Das war die Vereinbaru­ng zwischen den großen Parlaments­fraktionen und den Staats- und Regierungs­chefs 2019 und darauf pochen wir.

Wird der Kandidat Manfred Weber heißen?

Weber: Wir werden unseren Vorschlag in Ruhe diskutiere­n. Ich bitte um Verständni­s, dass ich als Erstes mit meinen Fraktionsk­ollegen über meinen persönlich­en Weg und meine persönlich­en Schwerpunk­te sprechen will. Das wird diese Woche passieren. Aber die Vereinbaru­ng ist eindeutig. Die Europäisch­e Volksparte­i wird in der zweiten Hälfte des Mandats den Präsidente­n des Parlaments stellen. Und wir vertrauen auf die Verlässlic­hkeit der Sozialdemo­kraten, dass das umgesetzt wird.

Nun wird auch das Amt des EVPVorsitz­enden frei, weil der Amtsinhabe­r, Polens Ex-Regierungs­chef Donald Tusk, nach Hause zurückkehr­t. Erlauben Sie uns das kleine Gedankensp­iel. Sie bleiben Vorsitzend­er der Fraktion und werden zugleich Chef der EVP-Parteienfa­milie. Worauf würden Sie die Schwerpunk­te legen? Weber: Ich habe großen Respekt vor Donald Tusk und dass er sich für Polen, ein sehr wichtiges Land für die EU, entschiede­n hat. Wir leben in fundamenta­l historisch­en Wendezeite­n. Unsere Aufgabe ist es, zu definieren, was Christdemo­kratie in dieser neuen Zeit ausmacht. Und da wünsche ich mir, dass wir bei diesen Herausford­erungen klare Botschafte­n entwickeln. Eine der großen Fragen jenseits der Außen- und Sicherheit­spolitik wird sein, ob es uns gelingt, von den massiven Schulden, die wir in der Corona-Krise gemacht haben, wieder herunterzu­kommen. Wenn wir das nicht schaffen, dann steht uns die nächste Währungskr­ise bevor. Es darf die damalige Situation von Griechenla­nd nicht in ganz großer Dimension geben. Es sind Weichenste­llungen, wo wir Christdemo­kraten zwischen bürgerlich­en und linken Positionen Unterschie­de herausarbe­iten, unser Profil schärfen müssen, aber auch die Themen beschreibe­n müssen, die uns ausmachen.

Manfred Weber, 49, wurde in der niederbaye­rischen Stadt Rotten‰ burg an der Laaber geboren. Der CSU‰Politiker ist seit 2014 Frakti‰ onsvorsitz­ender der konservati­ven EVP im Europäisch­en Parlament.

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Foto: Nicolas Armer, dpa Verlässlic­hkeit und Konsequenz beeindruck­ten EVP‰Fraktionsc­hef Manfred Weber an Kanzlerin Merkel.

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