Drosten: Impfquote zu niedrig
Virologe befürchtet gravierende Folgen für den Herbst
Berlin Der Berliner Charité-Virologe Christian Drosten bezweifelt, dass Deutschland allein durch Impfangebote eine akzeptable Impfquote in der Corona-Pandemie erreichen kann. Hauptgrund sei eine gewisse Gleichgültigkeit in der Bevölkerung, sagte Drosten im Podcast „Das Coronavirus-Update“von NDR Info. Deutschland werde deshalb im Herbst „mit Sicherheit“wieder Kontaktbegrenzungen brauchen. „Gelassen in den Herbst zu gehen ist eine gewagte Vorstellung“, sagte der Wissenschaftler in dem Podcast.
Auch mit Blick auf die Zahl von Corona-Patienten in Krankenhäusern zeigte sich Drosten wenig optimistisch. Er rechne damit, dass die Entwicklung sowohl Intensivstationen als auch die anderen Stationen und Notaufnahmen belasten werde. Für Ungeimpfte über 60 Jahre sei es ein „riesiges Risiko“, ungeimpft in diesen Herbst zu gehen. Er gehe jedoch nicht davon aus, dass Deutschland über Ansprache der Bevölkerung mit der Impfquote noch viel weiter komme, sagte Drosten. „Und darum glaube ich, dass die Politik eine schwere Aufgabe vor sich hat und konsequent auch bald Entscheidungen treffen muss.“
Bislang sind erst 61 Prozent der Gesamtbevölkerung vollständig geimpft. Im August nahm die Impfquote
nur noch um rund zehn Prozentpunkte zu. Nach dem jüngsten Wochenbericht des Robert-KochInstituts (RKI) haben in der Bevölkerung über 60 Jahre 83 Prozent den vollen Impfschutz. Bei den Erwachsenen zwischen 18 und 60 Jahren liegt die Quote bei 65 Prozent. Bei Kindern und Jugendlichen im Alter von zwölf bis 17 sind es 21 Prozent. Nach RKI-Berechnungen müssen aber mindestens 85 Prozent der Zwölf- bis 59-Jährigen und 90 Prozent der Senioren ab 60 Jahren vollständig geimpft sein, damit eine ausgeprägte neue Welle mit vollen Intensivstationen im Herbst und Winter unwahrscheinlich wird. Drosten hatte auf 80 Prozent gehofft. Theoretisch könne man sich aus einer Pandemie quasi herausimpfen, sagte Drosten. Dafür hält der Forscher eine gesamtgesellschaftliche Impfquote von über 90 Prozent für nötig – was derzeit utopisch scheint.
„Es gibt eine grundsätzliche Offenheit. Ich würde nur ganz wenigen nicht geimpften Personen im Moment unterstellen, dass die jetzt vollkommen verrückte Geschichten glauben.“Manchmal sei es eher eine gewisse Gleichgültigkeit, die eine Entscheidung für die Impfung verhindere. Das sei der große Unterschied zu Menschen in Portugal oder Spanien. „Die haben eine schreckliche gesamtgesellschaftliche Erfahrung hinter sich. Viele Tote und einen richtigen Lockdown, wo man nur zum Einkaufen mit Begründung nach draußen darf, und auf der Straße patrouilliert das Militär.“Das sei ein wirklicher Lockdown. „Das haben wir in Deutschland nicht erlebt.“Was ihn aber optimistisch stimme, sei die hohe Impfbereitschaft bei den 12- bis 17-Jährigen, sagte Drosten. „Das ist extrem positiv zu sehen. Wir haben hier eine junge, auffassungsfähige Bevölkerungsschicht.“