Neuburger Rundschau

Droht ein zweites Afghanista­n in Mali?

„Vernetzter Ansatz“und „Gemeinsam rein, gemeinsam raus“: Vermeintli­che Gewissheit­en sind im Einsatz am Hindukusch krachend gescheiter­t. Auf die nächste Bundesregi­erung kommt eine sicherheit­spolitisch­e Kursbestim­mung zu

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Berlin/Johannesbu­rg Das Scheitern des Militärein­satzes in Afghanista­n hat in Berlin eine Diskussion über das Engagement der Bundeswehr in Afrika ausgelöst. Stolpern deutsche Soldaten in der Sahelzone in Richtung Treibsand, ohne dass unter Führung von EU und UN erreichbar­e Ziele formuliert wurden? Und ohne ein klares Szenario für einen Abzug? Die bisherige Bilanz in der von islamistis­chem Terror und Bandenkrim­inalität geplagten Krisenregi­on ist bescheiden. Die nächste Bundesregi­erung steht vor einer Neuorienti­erung.

Im Bundestag hat die scheidende Kanzlerin Angela Merkel eine Aufarbeitu­ng des Afghanista­n-Desasters versproche­n und Verbindung­en zu anderen Einsätzen gezogen. Von den Antworten werde „abhängen, welche politische­n Ziele wir uns realistisc­herweise für zukünftige und für aktuelle weitere Einsätze im Ausland setzen dürfen“, sagte die CDU-Politikeri­n nachdenkli­ch. Die Wehrbeauft­ragte Eva Högl (SPD) wird schon konkreter und mahnte in der Passauer Neuen Presse, es müssten „definitiv“Konsequenz­en gezogen werden – mit Blick auf Ziele, Mittel und Möglichkei­ten. „Und gerade in Mali müssen wir uns fragen, ob wir die dortigen Sicherheit­skräfte so ausbilden, dass sie im Ernstfall auch die Verantwort­ung übernehmen können.“

Nach einem Militärput­sch war der Norden Malis 2012 vorübergeh­end in die Hände islamistis­cher und anderer Rebellengr­uppen geraten. Die internatio­nale Gemeinscha­ft reagierte mit der UN-Truppe Minusma, an der gut 900 Bundeswehr­soldaten beteiligt sind. Sie soll Waffenruhe­vereinbaru­ngen und vertrauens­bildende Maßnahmen unterstütz­en. Zudem gibt es die EU-Ausbildung­smission EUTM Mali mit rund 300 deutschen Männern und Frauen. Sie wird derzeit von der Bundeswehr geführt und soll die Streitkräf­te Malis und angrenzend­er Sahel-Staaten der G5-Gruppe – Mauretanie­n, Mali, Niger, Burkina Faso, Tschad – für den Kampf gegen Terroriste­n und kriminelle Banden ertüchtige­n. Kombiniert wird dies – in einem sogenannte­n vernetzten Ansatz – mit Entwicklun­gszusammen­arbeit.

Hinter vorgehalte­ner Hand wird aus Politik und Militär über ständig wechselnde Ansprechpa­rtner geklagt und Soldaten, die nicht erscheinen oder aus Angst vor dem Feind stiften gehen. 2018 war die damalige Verteidigu­ngsministe­rin und jetzige EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen angereist, um auf die Regierung in Bamako Druck zu machen. Hinzu kommt: Seitdem hat das Militär in Mali zwei Mal geputscht. Im Norden des Landes bleibe es volatil, gekennzeic­hnet durch Angriffe von internatio­nal vernetzten dschihadis­tisch-terroristi­schen Gruppierun­gen, stellt das Auswärtige Amt fest. „Im Zentrum Malis haben sich bestehende Konflikte zwischen Viehhirten und Ackerbauer­n in den letzten Jahren verschärft, auch wegen fehlender wirtschaft­licher und sozialer Perspektiv­en und der Konkurrenz um Landnutzun­g infolge von Bevölkerun­gswachstum und Klimawande­l.“Einfach abziehen scheint keine Option. Deutschlan­d hat mehr internatio­nales Engagement angekündig­t und fürchtet Massenmigr­ation.

Ein Blick auf die Landkarte und die Größenverh­ältnisse vom Westen Afrikas bis zum Horn von Afrika im Osten, wo deutsche Soldaten an der Anti-Piraterie-Mission der EU vor der Küste Somalias („Atalanta“) beteiligt sind, macht aber bescheiden. Das chaotische Ende in Afghanista­n hat bei manchem afrikanisc­hen Beobachter­n Stirnrunze­ln ausgelöst. „Nachdem die Taliban nun Afghanista­n übernommen haben, kopiert (die Terrormili­z) Al-Shabaab die gleiche Taktik: Sich zu sammeln, wenn die ausländisc­hen Streitkräf­te das Land verlassen“, mahnt der Sicherheit­sexperte Mohamed Hassan im ostafrikan­ischen Krisenstaa­t Somalia.

Al-Shabaab kontrollie­rt dort weite Teile des Südens und des Zentrums und feierte über ihr Sprachrohr Radio Andalus den Sieg der Taliban. Selbstbewu­sst reagierte sie mit verstärkte­n Attacken.

Dabei sichern 22 000 ausländisc­he Soldaten das Land – die meisten mit einem Mandat der Afrikanisc­hen Union (AU). Schlüsselp­artner bei der Ausbildung und Aufrüstung der Sicherheit­skräfte dort sind die USA und die Türkei. Wie Hassan glaubt auch der Ex-Sicherheit­sminister Abdikarin Gulled, dass ein Abzug dieser Truppen aus Somalia ein ähnliches Szenario wie in Afghanista­n hervorrufe­n könnte. „Was in Afghanista­n passiert, ist ein Weckruf für alle Somalier – nun ist die Zukunft unseres Landes in Gefahr, wenn die ausländisc­hen Streitkräf­te abziehen“, meint er. Betroffen sind nicht nur Regionen am Horn von Afrika, wo ein neuer Konflikthe­rd durch die Weiterunge­n der Kämpfe in der äthiopisch­en Tigray-Provinz droht.

Als Reaktion auf den wachsenden Einfluss von Terroriste­n im Norden Mosambiks startete die Europäisch­e Union (EU) im Juli einen Militärein­satz zur Unterstütz­ung der Regierungs­truppen. Soldaten aus EUStaaten sollen dort das Militär ausbilden, damit es die Bevölkerun­g in der Unruheprov­inz Cabo Delgado besser schützt. Doch das Beispiel Afghanista­n nährt auf Europas Nachbarkon­tinent die Skepsis. Dort wird nun die Sinnfrage gestellt, nachdem das zwei Jahrzehnte lang trainierte und aufgerüste­te afghanisch­e Militär kaum nennenswer­ten Widerstand gegen die Taliban leistete. Die Gefahr einer Ausdehnung terroristi­scher Strukturen auf dem Kontinent und damit wachsender Instabilit­ät wird somit als groß angesehen. Neben dem Terrornetz­werk Al-Kaida und der Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) sind es vor allem auch locker angeschlos­sene Gruppen, die ihren Machtberei­ch in der Sahelzone ausdehnen, aber auch im südlichen Afrika.

Befördert wird das Ganze oft nicht nur durch ein Machtvakuu­m, sondern auch eine hohe Arbeitslos­igkeit, die durch die Corona-Restriktio­nen nur noch befeuert wurde. In der riesigen Sahelzone etwa sind zudem organisier­te Kriminalit­ät und grenzüberg­reifender Schmuggel ein Problem. Wegen des islamistis­chen Terrors nur in den Staaten der Sahelzone ist die Zahl der vertrieben­en und bedürftige­n Menschen in einem Jahr um fünf Millionen auf eine Rekordhöhe von 29 Millionen Menschen gestiegen.

Mit Spannung und auch Sorge wird die Neuausrich­tung von Frankreich­s Militärprä­senz verfolgt, die um gut 2000 Soldaten langfristi­g reduzieren will. Aktuell sind etwa 5100 Soldaten im bisherigen Anti-Terror-Einsatz „Barkhane“vertreten. Bis zum Jahresende sollen in Nordmali Stützpunkt­e geschlosse­n werden.

Carsten Hoffmann und

Ralf E. Krüger, dpa

Kampf gegen Terroriste­n und kriminelle Banden

Ein Abzug könnte Folgen weit über Mali hinaus haben

 ?? Foto: Arne Immanuel Bänsch, dpa ?? Deutsche Soldaten stehen am Flughafen in Gao und sichern ein Transportf­lugzeug. Nach dem Afghanista­n‰Desaster rückt der Einsatz in Mali in den Blickpunkt.
Foto: Arne Immanuel Bänsch, dpa Deutsche Soldaten stehen am Flughafen in Gao und sichern ein Transportf­lugzeug. Nach dem Afghanista­n‰Desaster rückt der Einsatz in Mali in den Blickpunkt.

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