Kein Land in Sicht
Dass Wohnen immer teurer wird, liegt auch am Mangel an Bauland. Die Preise sind mittlerweile so hoch wie nie. Das sorgt in vielen Gemeinden für sozialen Sprengstoff. Denn für immer mehr Menschen wird die Heimat einfach unbezahlbar
Nördlingen/Dießen Der Ammersee ist schön. Bei jedem Wetter sieht er etwas anders aus. Man kann beim Spazierengehen die Berge sehen und im sauberen Wasser planschen. Weil das kein Geheimnis ist, lockt der See viele Menschen an. Nicht wenige wollen am liebsten gleich ganz dableiben. Mit dem nötigen Vermögen geht das auch. Die Grundstücksund Immobilienpreise in den Seegemeinden sind hoch – und sie steigen weiter. Beispiel Dießen. Rund 11000 Menschen wohnen in dem Markt mit seinen 25 Gemeindeteilen. Die Möglichkeiten zur Erweiterung sind begrenzt. Die Preise für Grundstücke kennen dafür scheinbar keine Grenze nach oben.
Rund 781 Euro pro Quadratmeter baureifes Land wurden im Schnitt 2019 gezahlt. Das sagt die offizielle Statistik. Roland Kratzer, Zweiter Bürgermeister der Gemeinde, sagt aber: „Auch 1000 Euro werden im Einzelfall gezahlt.“Günstiges Bauland gibt es in Dießen schon lange nicht mehr. Doch in den vergangenen zehn Jahren haben sich die Preise seiner Beobachtung nach in etwa verdoppelt. Die Dießenerinnen und Dießener spüren damit einen bundesweiten Trend.
Im vergangenen Jahr haben die Preise für Baugrundstücke neue Rekordwerte erreicht. 199 Euro pro Quadratmeter waren deutschlandweit im Schnitt zu bezahlen, wie das Statistische Bundesamt jüngst mitteilte. Am teuersten waren Grundstücke in Bayern mit 349 Euro. Doch der Durchschnitt liefert eben nur ein sehr grobes Bild. Man muss näher hinzoomen, um klarer zu sehen. Auf Ebene der Regierungsbezirke liegt Oberbayern weit vorne. Ohne die Stadt München liegt der Quadratmeterpreis bei 629 Euro. Auf Platz zwei liegt Mittelfranken mit 248 Euro, dann kommt Schwaben: 176 Euro kostete der Quadratmeter im Schnitt. 2019 waren im Schnitt noch 210 Euro fällig. Sondereffekte färben das Bild für 2020 etwas rosiger, als es ist, erklärt das Amt auf Nachfrage die Diskrepanz. Statistik ist eben trügerisch. Am günstigsten in Bayern ist in jedem Fall Oberfranken mit 76 Euro.
Dießen liegt am Westufer des Ammersees, ganz im Süden. In einer Stunde ist man in Garmisch, in etwas weniger in München oder Augsburg. Die günstige Verkehrsanbindung macht die Gegend für viele Menschen attraktiv, die sich die Preise leisten und zur Arbeit pendeln können. Das trifft oft auf
Menschen aus der Landeshauptstadt zu. „Die Münchner sind zuerst in die Gemeinden am Ostufer und weiter im Norden gekommen. Mittlerweile zieht es sie auch zu uns“, sagt Kratzer. Sie können sich die Preise leisten, die viele Einheimische in die Verzweiflung treiben.
„Grundstücke, die frei werden, kommen hier in der Regel aus Erbschaften“, erklärt der Zweite Bürgermeister. Bei den derzeitigen
Marktpreisen könne die Gemeinde bei Verkäufen kaum mitbieten. Das heißt: Meist kommen Bauträger zum Zug, es entstehen luxuriöse Einfamilienhäuser oder Doppelhäuser. Das verändert auch die Struktur einer gewachsenen Gemeinde.
„Es ziehen auch viele Familien mit Kindern her. Man dachte, die Integration wird dann schnell gehen über die Vereine, das Ehrenamt oder die Schulen. Aber aus der Stadt ist man ein anderes soziales Leben gewohnt, als wir es hier draußen pflegen. Es dauert im Schnitt zehn Jahre, würde ich sagen. Mit Kindern
es schneller. Bei Paaren dauert es länger – wenn das Interesse überhaupt da ist“, sagt Kratzer. In den letzten 20 Jahren habe die Gemeinde überhaupt kein Baugebiet mehr ausgewiesen. Nun hatte die Gemeinde die Gelegenheit, ein Grundstück mit 7000 Quadratmetern im Kernort zu erwerben. Das ist gelungen. Doch die Diskussionen darüber, was mit der Fläche geschehen soll, sind erst ganz am Anfang. Bei einem zweiten Grundstück ist man schon weiter. Wohnungen sollen entstehen. Doch wie genau, ist noch offen. Klar ist nur: Es muss sich was tun. Würden die Wohnungen auf dem freien Markt verkauft, hätten Normalverdiener wohl wieder keine Chance.
Kratzer hat große Sympathien für genossenschaftliche Modelle. Die Gemeinde könnte ein Grundstück in Erbpacht günstig vergeben. Ein privater Bauherr kann dann bauen – mit weniger Auflagen als ein öffentlicher Bauherr. Wenn sich Unternehmen auch noch beteiligen, könnten Arbeitgeber mit günstigem Wohnraum auch wieder Menschen in den Ort locken, die, etwa in der Pflege, keine Löhne bekommen, mit denen sich ortsübliche Mieten bezahlen lassen. Nicht alles wird sich von heute auf morgen umsetzen lassen, aber die Diskussion läuft.
Vom Ammersee ins Ries. Vom Landkreis Landsberg in den Landkreis Donau-Ries und von den höchsten Grundstückspreisen in der Region zu den günstigsten. 84 Euro und einen Cent kostete ein Quadratmeter baureifes Riesland 2019 im Durchschnitt. Nähermemmingen, 145 Kilometer nördlich von Dießen, gut 700 Einwohner, ein Stadtteil der Kreisstadt Nördlingen. Dort hat die Stadt vor kurzem ein neues Baugebiet ausgewiesen. 22 Plätze waren zu vergeben, 176 Bewerbungen gingen bei der Verwaltung ein.
Weil man mit einer großen Nachfrage gerechnet hat, hatte die Stadt die Vergabe vorab an ein Punktesystem gekoppelt, erklärt Peter Schiele, der Leiter der Hauptverwaltung. „Trotzdem gab es noch deutlich mehr gleichberechtigte Bewerber, als Plätze zur Verfügung standen“, so Schiele. Es wurde also gelost und 22 glückliche Siegerinnen und Sieger angeschrieben.
Nun könnte man die Erfahrung der Gemeinde als weiteren Beleg sehen für den Druck, der auf dem Markt lastet. Doch ganz so einfach ist es nicht. „18 der Angeschriebegeht nen haben den Zuschlag abgelehnt“, sagt Schiele. Über die Gründe könne man nur spekulieren. Vielleicht hätten die potenziellen Bauherren nach dem Zuschlag erstmals über die Finanzierung nachgedacht. Oder sie haben sich in mehreren Gemeinden um einen Platz bemüht und sind mittlerweile andernorts zum Zuge gekommen. Am Preis jedenfalls sollte es nicht gescheitert sein. Schiele nennt keine Zahlen, aber laut Statistik wurden in Nördlingen im Jahr 2019 im Schnitt gut 126 Euro für einen Quadratmeter baureifes Land gezahlt. Diesem Wert widerspricht auch Schiele nicht.
Die Plätze an Nachrücker von der Liste zu vergeben war kein Problem. Derzeit dürften die letzten Käuferinnen und Käufer ihre Notartermine haben. Aber das Beispiel zeigt: Einen bezahlbaren Bauplatz zu finden ist auch in den vermeintlich günstigen Gegenden immer komplizierter. „In den vergangenen Jahren haben sich die Preise für Baugrundstücke in der Kernstadt Nördlingen, die von der Stadt ausgewiesen und verkauft werden, in etwa verdoppelt“, sagt Schiele. Mittlerweile bewege man sich im Bereich von rund 320 Euro. In den
Ortsteilen wie Nähermemmingen beobachte man einen Anstieg um 30 bis 40 Prozent. Allerdings, schränkt Schiele ein, gingen in diesen Preisen auch die Kosten für die Erschließung, für neue Auflagen wie ökologische Ausgleichsmaßnahmen, Breitbandverlegung oder archäologische Untersuchungen mit ein, die ebenfalls deutlich gestiegen sind.
Wenn junge Menschen aus dem Ort einen Bauplatz suchen, könnten sie den in der Regel noch finden, sagt Schiele. Doch längst versuchen auch immer mehr Menschen von weiter weg, im Ries ihren Traum vom eigenen Häuschen zu verwirklichen. „Pendeln spielt eine immer
Die Integration der Zuzügler braucht viel Zeit
Auch Flächen für die Landwirtschaft sind knapp
größere Rolle“, sagt Schiele. Eine zweischneidige Entwicklung. Denn natürlich will keine Gemeinde, dass Häuser leer stehen oder die Bevölkerung gar schrumpft. Gleichzeitig ist die Perspektive, eine Schlafstadt zu werden, für eine gewachsene Gemeinde nicht sehr anziehend. Und die Konkurrenz um die Flächen wächst auch mit der Landwirtschaft. „Der Erwerb von Flächen wird zunehmend schwieriger“, stellt Schiele fest. Die Gemeinden hätten durchaus Steuerungsmöglichkeiten. Auch der Gesetzgeber strenge sich zusehends an. Es gehe um Nachverdichten und den Umbau ehemaliger landwirtschaftlicher Grundstücke zum Beispiel. Wichtig sei aber auch ein größerer Blick: Die Gemeinden müssten an gemeinsamen Strategien arbeiten.