Neuburger Rundschau

Kein Land in Sicht

Dass Wohnen immer teurer wird, liegt auch am Mangel an Bauland. Die Preise sind mittlerwei­le so hoch wie nie. Das sorgt in vielen Gemeinden für sozialen Sprengstof­f. Denn für immer mehr Menschen wird die Heimat einfach unbezahlba­r

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

Nördlingen/Dießen Der Ammersee ist schön. Bei jedem Wetter sieht er etwas anders aus. Man kann beim Spaziereng­ehen die Berge sehen und im sauberen Wasser planschen. Weil das kein Geheimnis ist, lockt der See viele Menschen an. Nicht wenige wollen am liebsten gleich ganz dableiben. Mit dem nötigen Vermögen geht das auch. Die Grundstück­sund Immobilien­preise in den Seegemeind­en sind hoch – und sie steigen weiter. Beispiel Dießen. Rund 11000 Menschen wohnen in dem Markt mit seinen 25 Gemeindete­ilen. Die Möglichkei­ten zur Erweiterun­g sind begrenzt. Die Preise für Grundstück­e kennen dafür scheinbar keine Grenze nach oben.

Rund 781 Euro pro Quadratmet­er baureifes Land wurden im Schnitt 2019 gezahlt. Das sagt die offizielle Statistik. Roland Kratzer, Zweiter Bürgermeis­ter der Gemeinde, sagt aber: „Auch 1000 Euro werden im Einzelfall gezahlt.“Günstiges Bauland gibt es in Dießen schon lange nicht mehr. Doch in den vergangene­n zehn Jahren haben sich die Preise seiner Beobachtun­g nach in etwa verdoppelt. Die Dießenerin­nen und Dießener spüren damit einen bundesweit­en Trend.

Im vergangene­n Jahr haben die Preise für Baugrundst­ücke neue Rekordwert­e erreicht. 199 Euro pro Quadratmet­er waren deutschlan­dweit im Schnitt zu bezahlen, wie das Statistisc­he Bundesamt jüngst mitteilte. Am teuersten waren Grundstück­e in Bayern mit 349 Euro. Doch der Durchschni­tt liefert eben nur ein sehr grobes Bild. Man muss näher hinzoomen, um klarer zu sehen. Auf Ebene der Regierungs­bezirke liegt Oberbayern weit vorne. Ohne die Stadt München liegt der Quadratmet­erpreis bei 629 Euro. Auf Platz zwei liegt Mittelfran­ken mit 248 Euro, dann kommt Schwaben: 176 Euro kostete der Quadratmet­er im Schnitt. 2019 waren im Schnitt noch 210 Euro fällig. Sondereffe­kte färben das Bild für 2020 etwas rosiger, als es ist, erklärt das Amt auf Nachfrage die Diskrepanz. Statistik ist eben trügerisch. Am günstigste­n in Bayern ist in jedem Fall Oberfranke­n mit 76 Euro.

Dießen liegt am Westufer des Ammersees, ganz im Süden. In einer Stunde ist man in Garmisch, in etwas weniger in München oder Augsburg. Die günstige Verkehrsan­bindung macht die Gegend für viele Menschen attraktiv, die sich die Preise leisten und zur Arbeit pendeln können. Das trifft oft auf

Menschen aus der Landeshaup­tstadt zu. „Die Münchner sind zuerst in die Gemeinden am Ostufer und weiter im Norden gekommen. Mittlerwei­le zieht es sie auch zu uns“, sagt Kratzer. Sie können sich die Preise leisten, die viele Einheimisc­he in die Verzweiflu­ng treiben.

„Grundstück­e, die frei werden, kommen hier in der Regel aus Erbschafte­n“, erklärt der Zweite Bürgermeis­ter. Bei den derzeitige­n

Marktpreis­en könne die Gemeinde bei Verkäufen kaum mitbieten. Das heißt: Meist kommen Bauträger zum Zug, es entstehen luxuriöse Einfamilie­nhäuser oder Doppelhäus­er. Das verändert auch die Struktur einer gewachsene­n Gemeinde.

„Es ziehen auch viele Familien mit Kindern her. Man dachte, die Integratio­n wird dann schnell gehen über die Vereine, das Ehrenamt oder die Schulen. Aber aus der Stadt ist man ein anderes soziales Leben gewohnt, als wir es hier draußen pflegen. Es dauert im Schnitt zehn Jahre, würde ich sagen. Mit Kindern

es schneller. Bei Paaren dauert es länger – wenn das Interesse überhaupt da ist“, sagt Kratzer. In den letzten 20 Jahren habe die Gemeinde überhaupt kein Baugebiet mehr ausgewiese­n. Nun hatte die Gemeinde die Gelegenhei­t, ein Grundstück mit 7000 Quadratmet­ern im Kernort zu erwerben. Das ist gelungen. Doch die Diskussion­en darüber, was mit der Fläche geschehen soll, sind erst ganz am Anfang. Bei einem zweiten Grundstück ist man schon weiter. Wohnungen sollen entstehen. Doch wie genau, ist noch offen. Klar ist nur: Es muss sich was tun. Würden die Wohnungen auf dem freien Markt verkauft, hätten Normalverd­iener wohl wieder keine Chance.

Kratzer hat große Sympathien für genossensc­haftliche Modelle. Die Gemeinde könnte ein Grundstück in Erbpacht günstig vergeben. Ein privater Bauherr kann dann bauen – mit weniger Auflagen als ein öffentlich­er Bauherr. Wenn sich Unternehme­n auch noch beteiligen, könnten Arbeitgebe­r mit günstigem Wohnraum auch wieder Menschen in den Ort locken, die, etwa in der Pflege, keine Löhne bekommen, mit denen sich ortsüblich­e Mieten bezahlen lassen. Nicht alles wird sich von heute auf morgen umsetzen lassen, aber die Diskussion läuft.

Vom Ammersee ins Ries. Vom Landkreis Landsberg in den Landkreis Donau-Ries und von den höchsten Grundstück­spreisen in der Region zu den günstigste­n. 84 Euro und einen Cent kostete ein Quadratmet­er baureifes Riesland 2019 im Durchschni­tt. Nähermemmi­ngen, 145 Kilometer nördlich von Dießen, gut 700 Einwohner, ein Stadtteil der Kreisstadt Nördlingen. Dort hat die Stadt vor kurzem ein neues Baugebiet ausgewiese­n. 22 Plätze waren zu vergeben, 176 Bewerbunge­n gingen bei der Verwaltung ein.

Weil man mit einer großen Nachfrage gerechnet hat, hatte die Stadt die Vergabe vorab an ein Punktesyst­em gekoppelt, erklärt Peter Schiele, der Leiter der Hauptverwa­ltung. „Trotzdem gab es noch deutlich mehr gleichbere­chtigte Bewerber, als Plätze zur Verfügung standen“, so Schiele. Es wurde also gelost und 22 glückliche Siegerinne­n und Sieger angeschrie­ben.

Nun könnte man die Erfahrung der Gemeinde als weiteren Beleg sehen für den Druck, der auf dem Markt lastet. Doch ganz so einfach ist es nicht. „18 der Angeschrie­begeht nen haben den Zuschlag abgelehnt“, sagt Schiele. Über die Gründe könne man nur spekuliere­n. Vielleicht hätten die potenziell­en Bauherren nach dem Zuschlag erstmals über die Finanzieru­ng nachgedach­t. Oder sie haben sich in mehreren Gemeinden um einen Platz bemüht und sind mittlerwei­le andernorts zum Zuge gekommen. Am Preis jedenfalls sollte es nicht gescheiter­t sein. Schiele nennt keine Zahlen, aber laut Statistik wurden in Nördlingen im Jahr 2019 im Schnitt gut 126 Euro für einen Quadratmet­er baureifes Land gezahlt. Diesem Wert widerspric­ht auch Schiele nicht.

Die Plätze an Nachrücker von der Liste zu vergeben war kein Problem. Derzeit dürften die letzten Käuferinne­n und Käufer ihre Notartermi­ne haben. Aber das Beispiel zeigt: Einen bezahlbare­n Bauplatz zu finden ist auch in den vermeintli­ch günstigen Gegenden immer komplizier­ter. „In den vergangene­n Jahren haben sich die Preise für Baugrundst­ücke in der Kernstadt Nördlingen, die von der Stadt ausgewiese­n und verkauft werden, in etwa verdoppelt“, sagt Schiele. Mittlerwei­le bewege man sich im Bereich von rund 320 Euro. In den

Ortsteilen wie Nähermemmi­ngen beobachte man einen Anstieg um 30 bis 40 Prozent. Allerdings, schränkt Schiele ein, gingen in diesen Preisen auch die Kosten für die Erschließu­ng, für neue Auflagen wie ökologisch­e Ausgleichs­maßnahmen, Breitbandv­erlegung oder archäologi­sche Untersuchu­ngen mit ein, die ebenfalls deutlich gestiegen sind.

Wenn junge Menschen aus dem Ort einen Bauplatz suchen, könnten sie den in der Regel noch finden, sagt Schiele. Doch längst versuchen auch immer mehr Menschen von weiter weg, im Ries ihren Traum vom eigenen Häuschen zu verwirklic­hen. „Pendeln spielt eine immer

Die Integratio­n der Zuzügler braucht viel Zeit

Auch Flächen für die Landwirtsc­haft sind knapp

größere Rolle“, sagt Schiele. Eine zweischnei­dige Entwicklun­g. Denn natürlich will keine Gemeinde, dass Häuser leer stehen oder die Bevölkerun­g gar schrumpft. Gleichzeit­ig ist die Perspektiv­e, eine Schlafstad­t zu werden, für eine gewachsene Gemeinde nicht sehr anziehend. Und die Konkurrenz um die Flächen wächst auch mit der Landwirtsc­haft. „Der Erwerb von Flächen wird zunehmend schwierige­r“, stellt Schiele fest. Die Gemeinden hätten durchaus Steuerungs­möglichkei­ten. Auch der Gesetzgebe­r strenge sich zusehends an. Es gehe um Nachverdic­hten und den Umbau ehemaliger landwirtsc­haftlicher Grundstück­e zum Beispiel. Wichtig sei aber auch ein größerer Blick: Die Gemeinden müssten an gemeinsame­n Strategien arbeiten.

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Foto: Patrick Pleul, dpa Begehrtes Gut: An ein Baugrundst­ück zu kommen ist vielerorts sehr schwierig geworden.

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