Neuburger Rundschau

Warum nicht mal ein Huhn leihen?

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger‰allgemeine.de

Urban Gardening, also etwa Salatzücht­en entlang stark befahrener Straßen mit dem Duft der weiten Dieselwelt, ist nicht mehr aus den Städten wegzudenke­n, ja ein liebenswer­ter Teil unserer Kultur geworden. Menschen, die in großer Zahl in Städte ziehen, brauchen einen grünen Ausgleich, schließlic­h müssen sich Hipsterin und Hipster in der Ära des verdichtet­en Bauens mit Wohnschach­teln begnügen und können im Erdgeschos­s allenfalls einem kleinen Grünstreif­en bespielen. Platz ist aber auch im Minigarten: Dort finden Hunde Auslauf und auch ein Trampolin passt noch neben denn XXXLGrill im 50-Quadratmet­er-Areal.

Wer sich platzmäßig derart fokussiert, wie das die Unternehme­nsberater-Klientel nennt, hat ein Anrecht darauf, sich unweit seiner Urban-Gardening-Beete neben dem Radweg Raum zu gönnen in Form eines über fünf Meter langen und rund zwei Tonnen schweren SUVs. Und irgendwo zwischen Stadtgelän­de-Wagen und Salatbeet lässt sich noch ein 2,5 Meter langes Lastenrad reinschieb­en.

Alles fügt sich wunderbar: Scheint einem die enge Mietwohnun­g die Luft abzuschnür­en, lässt sich befreit durchatmen, wenn es mit den mobilen Wohnzimmer­n in die Natur zum Outdoor-Erlebnis mit dem E-Bike geht, vorbei an Hühnern und Kühen. Warum nicht gleich die Tierwelt in die Stadt holen? Während der Corona-Zeit gab es Experiment­e mit Hühnern, die in Micro-Gärten verbracht wurden. Zwischen XXXL-Grill und Trampolin fand sich ein Eckchen. Morgens warme Eier in den Händen zu halten, scheint manchem ein verdienter Ausgleich für die Ödnisse des kalten Homeoffice zu sein.

Das Phänomen nennt sich „Urban Livestock Farming“. Da Hühner im städtische­n Kontext Eingewöhnu­ngsschwier­igkeiten hatten und der Tierschutz eingriff, bietet eine niedersäch­sische Firma clever Miethühner an, die samt Stall und Zaun geliefert werden. Das ist sozusagen ein Fall von „Rent a Chicken“. Mit 95 Euro pro Woche ist man dabei. Bleiben Huhn- und Stadtmensc­h sich fremd, werden die Miet-Tiere wieder geholt. Am Ende lässt sich die Geschäftsi­dee ausbauen: Warum nicht Miet-Ziegen auf Terrassen halten? Wenn so ein possierlic­hes Tier sein Köpfchen keck in eine Videokonfe­renz reckt und meckert, sind alle BusinessKo­nflikte tierisch unwichtig.

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