Neuburger Rundschau

Einer der Letzten seiner Art

Georg Albiez ist Schindelma­cher. Sein Handwerk gibt den Häusern im Schwarzwal­d ihr Gesicht – und auch vielen Höfen im Allgäu. Doch seine Kunst verschwind­et nach und nach

- VON ULI FRICKER

Ibach Georg Albiez aus dem Schwarzwal­d ist ein viel beschäftig­ter Mann. Man muss schon Geduld haben, wenn man an ihn rankommen will. „Letztes Jahr hätte ich keine Zeit für einen Presseterm­in gehabt“, sagt er eilig am Telefon. Aber im Sommer 2021, das müsste schon gehen. Der Waldbesitz­er hat mit 66 Jahren das Rentenalte­r erreicht, aber nur theoretisc­h. Tatsächlic­h hat Albiez so vieles am Laufen, dass er seine Termine am Computer ordnen muss, der in der niedrigen Stube seines Hofes steht und so wirkt, als habe sich die Moderne ins Mittelalte­r verlaufen.

Albiez wohnt mit seiner Frau Ingeborg auf dem alten elterliche­n Hof in Ibach (Kreis Waldshut). Eines Tages entdeckte er altes Werkzeug auf dem Dachboden, das er mit einigen Handgriffe­n instand setzte. Es waren hölzerne Böcke und Handgeräte, wie man sie zum Herstellen von Holzschind­eln nutzte. Er staubte die Antiquität­en ab und probierte sie aus.

Seit bald 40 Jahren stellt Albiez nun selbst Schindeln her – allen Unkenrufen zum Trotz, das sei ein totes Handwerk.

Die manuell gespaltene­n und vorne abgerundet­en Holzplättc­hen dienten im Schwarzwal­d seit jeher als Baumateria­l. Für Neubauten werden sie aber kaum mehr einge

– es sei denn, der Bauherr will ein Zeichen setzen. Am neuen evangelisc­hen Pfarrhaus von St. Blasien beispielsw­eise sind die flachen Teile an vier Seiten verbaut. Dass der Markt schrumpft, stört Georg Albiez nicht. Er denkt gerne gegen den Strich. In seiner kleinen Werkstatt stellt er die Schindeln aus Fichte, Tanne oder Weißzeder her, weil er es liebt, wenn die Späne fliegen. Viel verdient ist da nicht. Dafür ist der Aufwand zu groß. Jedes Werkstück wird aus dem Baumstamm gespalten, dann zugeschnit­ten und auf den sogenannte­n Schniedese­l gespannt, wo es die typische Form erhält.

Erst deckte Albiez den eigenen Hof neu mit Schindeln ein. Dann bot er seine Dienste für andere Hausbesitz­erinnen und -besitzer an. Inzwischen ist er gefragter Händler und Hersteller von Schindeln, und er montiert sie auch. Das hat seinen Preis. Je nach Qualität kostet der Quadratmet­er zwischen 50 und 100 Euro plus Montage.

Der Mann aus dem Schwarzwal­d haut die Werkstücke nur so heraus. Nebenbei erklärt er das Ganze noch. Weil er das sehr gut kann und noch manchen Witz nebenbei platziert, wird er immer wieder zu Vorführung­en gebeten.

Auf Messen oder in den Kurhäusern des Schwarzwal­ds fährt er mit seinem VW-Bus vor und lädt dann die halbe Werkstatt aus, inklusive Schniedese­l. Dann erklärt er, wie eine echte Schindel hergestell­t wird. „Das kommt gut an“, sagt er zwinkernd. Wenn er Popstar wäre, würde man ihn als Rampensau bezeichnen, dafür hat er ein Talent.

Etwa 150 Quadratmet­er der hübschen Holzteile verkauft Handwerset­zt ker Albiez jährlich. Dieses Volumen könnte er selbst nicht produziere­n. Deshalb kauft er Schindeln aus Österreich oder Bayern zu. „Da muss man ehrlich sein“, sagt er.

Wer Albiez zusieht, ahnt den Umfang der Arbeit. „Wenn ich damit Geld verdienen wollte, müsste ich Maschinen kaufen und den Betrieb erweitern“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Das will er nicht, auch wenn die Nachfrage stabil sei. Kürzlich fragten Studierend­e aus Freiburg bei ihm an – sie wollen ihr Tiny Haus, eins dieser Minihäusch­en, die angesichts steigender Baupreise häufig als Wohnform der Zukunft bezeichnet werden, mit Schindeln verkleiden. Doch der Haupterwer­b von Georg Albiez und seinem Hof ist der Wald. Mit 40 Hektar Wald zählt Albiez zu den größten Waldbesitz­ern seiner Region. Über das Wirtschaft­sjahr 2020 klagt er. „Erst hatten wir Sturmholz, dann Käferholz.“Er kam kaum zum Luftholen.

„Im Wald holt mich der Klimawande­l ein“, sagt er. Wer diesen gigantisch­en Wandel bezweifle, dürfe gerne mit ihm in den Wald ziehen, dann werde er alles zeigen. Albiez beschaffte 2020 einen gebrauchte­n Holzernter, um kranke Bäume selbst herauszuzi­ehen.

Denn der Wald, er sichert ihm sein Dasein – und den Schindelhä­usern des Schwarzwal­des ein Stück weit auch.

 ?? Archivfoto: Karl‰Josef Hildenbran­d, dpa ?? Im Schwarzwal­d – und auch im Allgäu, wie auf unserem Bild – sieht man Schindeln immer noch recht häufig.
Archivfoto: Karl‰Josef Hildenbran­d, dpa Im Schwarzwal­d – und auch im Allgäu, wie auf unserem Bild – sieht man Schindeln immer noch recht häufig.
 ?? Foto: Uli Fricker ?? Georg Albiez sitzt auf seinem Schniedese­l. In dieses Gerät einspannen und dann bearbeiten. kann er den Holzrohlin­g
Foto: Uli Fricker Georg Albiez sitzt auf seinem Schniedese­l. In dieses Gerät einspannen und dann bearbeiten. kann er den Holzrohlin­g

Newspapers in German

Newspapers from Germany