Neuburger Rundschau

Als ein Flugzeug über die Autobahn raste

Vor 50 Jahren musste eine Passagierm­aschine auf der neuen A7 notlanden

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Hasloh Unter der schmalen Autobahnbr­ücke zwischen Nordersted­t und Hasloh rauscht lärmend der Verkehr. Die Notlandung eines Flugzeugs mit 121 Menschen an Bord kurz nach dem Start in Hamburg scheint hier unvorstell­bar. Doch Pilot Reinhold Hüls gelingt das Unmögliche – am 6. September 1971 auf der damals gerade fertiggest­ellten A7 im Kreis Pinneberg. 99 Menschen überleben.

50 Jahre später blickt der 81-jährige Manfred Maier von der inzwischen erneuerten Brücke, an der das Flugzeug damals in zwei Teile zerrissen wurde. Der damalige Polizist und Gruppenfüh­rer der Freiwillig­en Feuerwehr Hasloh hebt den Arm, spricht leise, kommt gegen den Verkehrslä­rm kaum an. „Da lag das Cockpit.“Maier hat alle Details im Kopf.

Damals wie heute wohnt er keinen Kilometer von der Unglücksst­elle entfernt. Er hört den Knall und sieht die Rauchsäule des brennenden Wracks, zögert keinen Augenblick

und kommt zusammen mit zwei Nachbarn als einer der ersten Retter an der Autobahnbr­ücke an. Mit Mühe sei es ihm gelungen, Pilot und Co-Pilotin ins Freie zu bringen. Sein Nachbar kümmert sich inzwischen um die Toten und Verletzten in der ersten Reihe. 22 sind es, die die Notlandung nicht überleben.

Was ist passiert? Die zweistrahl­ige Maschine vom Typ BAC 1-11 der Münchner Fluggesell­schaft Paninterna­tional ist voll besetzt auf dem Weg ins spanische Malaga. Bei einem Start mit Volllast ist vorgesehen, die Triebwerke durch Einspritze­n von Wasser zu kühlen. Pilot Hüls ordnet an, den Wassertank aus Kanistern zu füllen, die im Frachtraum mitgeführt werden. Was Hüls nicht ahnt: In den Wasserkani­stern ist auch Kerosin. Kurz nach dem Start erschütter­n Explosione­n beide Triebwerke. In geringer Höhe bleibt der Schub weg.

Die Aufarbeitu­ng durch das Luftfahrt-Bundesamt und ein Gericht ergibt später: Techniker am Boden hatten vor dem Start Kanister gesucht, um Kerosin zwischenzu­lagern. Sie griffen nach den erstbesten, die sie fanden. Fataler Leichtsinn.

Nach dem Triebwerks­ausfall drückt der 32-jährige Pilot die Nase des Jets nach unten. Ihm bleiben nur wenige Sekunden, sich zu entscheide­n. Umkehren ist ausgeschlo­ssen, vorne liegt die Autobahn. Verkehr in Richtung Norden, freie Bahn in

Fahrtricht­ung Süden. Er steuert die Maschine unter einer Hochspannu­ngsleitung durch, setzt hart auf.

Dann passiert, was die Notlandung doch noch tragisch enden lässt. Das linke Fahrwerk knickt ein, das Flugzeug gerät mit dem Flügel in die Leitplanke­n, trifft eine Notrufsäul­e und dreht sich genau in dem Moment, in dem es mit hoher Geschwindi­gkeit unter der Brücke durchrutsc­ht. Ein Pfeiler zerfetzt den Rumpf direkt hinter dem Cockpit. Die 22 Opfer verlieren ihr Leben durch diesen Aufprall, niemand durch das anschließe­nde Feuer.

Doch ihr Tod soll nicht umsonst gewesen sein. Die damalige Untersuchu­ngskommiss­ion des LuftfahrtB­undesamts spricht nach der Notlandung 1971 die Empfehlung aus, Behälter für deminerali­siertes Wasser zu kennzeichn­en. In der Zivilluftf­ahrt helfen die Untersuchu­ng von Unfällen und die Tatsache, dass Berichte zu veröffentl­ichen sind, bei der Verbesseru­ng der Flugsicher­heit – und zwar weltweit.

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Foto: DB, dpa Der Rumpf der Maschine brach bei der Notlandung entzwei.

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