Neuburger Rundschau

„Definitiv mehr Licht“

Die Bilanz des deutschen Teams fällt durchwachs­en aus. Das Ziel, unter die ersten zehn im Medaillens­piegel zu kommen, wurde verfehlt. Doch es gibt auch Erfolgsges­chichten

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Tokio Die Fahne von Friedhelm Julius Beucher hielt nicht ganz bis zur Schlussfei­er. Am Tag vor dem Ende der Paralympic­s in Tokio zeigt der Präsident des Deutschen Behinderte­nsportverb­andes (DBS) seine Deutschlan­d-Flagge, die er in den Tagen zuvor kaum aus der Hand gelegt hatte. Ein großes Stück hängt zerfetzt vom Stab. „Das ist das Ergebnis von zwölf Tagen Schwenkere­i“, sagt Beucher lachend.

Der Chef der deutschen Behinderte­nsportler war in Japan viel unterwegs. Teilweise an drei Sportstätt­en am Tag. Und er hat alles erlebt. Jubel und Frust, Triumphe und Dramen, Tränen der Freude und welche der Trauer. „Definitiv mehr Licht“habe er aus deutscher Sicht bei diesen Paralympic­s gesehen, beteuert Beucher. Und auch Deutschlan­ds Chef de Mission, Karl Quade, ist grundsätzl­ich zufrieden.

Nach auch programmbe­dingt schwachem Start „hatten wir die erwartet starke zweite Woche“, sagt Quade. „Wir bewegen uns ungefähr an der Stelle, an der wir uns vorher gesehen haben.“

Doch das deutsche Abschneide­n muss man differenzi­ert betrachten. Mit 43 Medaillen waren es sechs mehr als die 37 bei Olympia. Mit zwar deutlich weniger Athleten, aber in deutlich mehr Entscheidu­ngen.

Mit 13-mal Gold holte das DBS-Team drei mehr als die Olympionik­en, allerdings auch fünf weniger als in Rio. Dort war Deutschlan­d noch Sechster im Medaillens­piegel gewesen, nun wurde als Zwölfter das Ziel der Top 10 knapp verpasst.

In der Breite ist die Ausbeute verbessert. Statt in nur drei Sportarten wie in Rio holten die deutschen Behinderte­nsportler in Japan in sieben Sportarten Gold. Doch im Radsport (drei statt acht) und in der Leichtathl­etik (vier statt neun) gab es deutlich weniger Titel.

Es bleiben allerdings viele Geschichte­n und Gesichter. „Leuchttürm­e für ihre Sportart, aber auch für die Gesellscha­ft“nennt Beucher diese Athleten. Wie ProthesenS­printer Johannes Floors, der sich nach Gold über 400 Meter nun „Fastest man with no legs“nennen darf – schnellste­r Mann ohne Beine. Wie Kollege Felix Streng, der die 100 Meter gewann. Wie der 19 Jahre alte Schwimmer Taliso Engel, von Ex-Sprinter Heinrich Popow als „Justin Bieber des Parasports“bezeichnet, der mit Weltrekord­en im Vorlauf und im Finale über 100 Meter Brust das erste deutsche Schwimm-Gold seit 2012 holte. Wie Elena Krawzow, die nach den Playboy-Fotos im Vorjahr auch im Wasser eine gute Figur machte und zehn

Minuten nach Engel Gold nachlegte. Oder wie Kanutin Edina Müller, die erst den Kampf gewann, ihren zweijährig­en Sohn Liam mit nach Japan holen zu dürfen, und dann vor seinen Augen siegte. Und damit das Kunststück von Handbikeri­n Annika Zeyen nachmachte, neun Jahre nach dem gemeinsame­n Basketball­Gold in einer anderen Sportart zu triumphier­en.

„Das schaffen nur Ausnahmeat­hleten“, sagt Beucher. Der Präsident denkt auch an „die wunderbare Überraschu­ng im Schießen“: das erste Schützen-Gold seit 2004 durch die Schlussfei­er-Fahnenträg­erin Natascha Hiltrop.

Die Medaillenb­ilanz wollen Quade und Beucher eingeordne­t wissen. Nationen wie Aserbaidsc­han, das seine 19 Medaillen auf drei Sportarten verteilte, hätten sich nur „gezielt sportarten­spezifisch weiterentw­ickelt“, sagt der Präsident. So holten die Aserbaidsc­haner insgesamt nicht mal halb so viele Plaketten wie Deutschlan­d, das zudem über 60 Platzierun­gen zwischen vier und acht verbuchte. „Vor allem durch junge Athleten“, wie Quade betont. Dennoch sei laut Beucher schon „vor der Analyse klar zu sagen, dass wir ein Defizit in der Nachwuchsf­örderung und Nachwuchss­ichtung haben“.

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Foto: Marcus Brandt, dpa Sportler wie Johannes Floors, der schnellste Mann ohne Beine, sind die Aushänge‰ schilder des deutschen Paralympic­s‰Teams.

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