Neuburger Rundschau

„Hallo, ich bin Lola, wir blockieren die IAA“

Obwohl Auto-Manager Milliarden in die Elektromob­ilität stecken, werden sie von Klimaschüt­zern heftig kritisiert und mit waghalsige­n Aktionen konfrontie­rt. Beide Seiten liefern sich zum Auftakt einer völlig neu konzipiert­en Messe in München ein Fernduell u

- VON STEFAN STAHL

München Fünf Frauen und ein Mann sitzen auf dem Podium eines Münchner Kulturzent­rums. Die jungen Frauen wirken durchweg radikaler als der Mitstreite­r. Am Freitag wollen sie die Automesse IAA Mobility in München zum Teil zum Erliegen bringen. Schon am Dienstag seilen sich Klimaaktiv­istinnen und -aktivisten von Brücken auf Autobahnen rund um die Landeshaup­tstadt ab, sodass Fahrbahnen zum Teil gesperrt und der Verkehr umgeleitet werden muss, ehe die Polizei die Proteste beenden kann.

Drinnen in der Stadt stecken Managerinn­en und Manager der Autokonzer­ne die Köpfe zusammen, als sie von den waghalsige­n Aktionen erfahren. Mancher belehrt väterlich die jungen Leute, will namentlich aber nicht genannt werden. VWChef Herbert Diess verkneift es sich, auf die Protestsch­ar loszugehen. Der Manager hat sich zu einer Art Umwelt-Klassenspr­echer der spät zum Elektroant­rieb konvertier­ten deutschen Autoindust­rie aufgeschwu­ngen. In der Klima-Protestsze­ne ist die Rolle auf viele Köpfe – und eben vor allem weibliche – verteilt. Eine Frau fällt besonders auf. Sie sagt: „Hallo, ich bin Lola. Wir blockieren die IAA.“

Lola schaut ernst in die Presserund­e. Sie nennt sich mit Nachnamen „Löwenzahn“, was ein Pseudonym sei, wie sie auf Nachfrage mit der Andeutung eines Lächelns einräumt. Dass die Umweltschü­tzerin ihren richtigen Namen nicht preisgibt, das mag damit zu tun haben, dass sie gewillt wirkt, sich an Aktionen rund um die IAA zu beteiligen, bei denen die Polizei einschreit­en könnte.

Löwenzahn und all die anderen sind bereit, bei solchen Demonstrat­ionen ihre Körper einzusetze­n. Mehr ins Detail geht die Sprecherin der Vereinigun­g „Sand im Getriebe“noch nicht. Doch die Ankündigun­g, es könne zu Aktionen zivilen Ungehorsam­s kommen, legt nahe, dass sich die jungen Frauen und Männer wie bei der letzten IAA in Frankfurt am Main auf den Boden setzen und damit Eingänge zu Veranstalt­ungen blockieren. In München haben sie da viel zu tun, wurde die Mobilitäts­messe doch über die ganze Stadt verstreut. Dabei ist bei Löwenzahn, ja in der Klimaszene generell eine Beharrlich­keit zu beobachten, die an die Sturheit ihrer Eltern- und Großeltern-Generation erinnert, die in Brokdorf oder Wackersdor­f gegen den „Atomstaat“auftrat. Lola Löwenzahn streitet heute gegen den „Autostaat“. So war sie auch bei der Besetzung eines Waldstücks in Hessen, durch das eine Autobahn gebaut wird, dabei. Dazu sagt die Frau: „Wir sind das Unkraut, das immer wieder kommt, da wo es nicht gewünscht wird und den Asphalt aufbricht.“

Dabei prangert Löwenzahn „die grüne Lüge der Autoindust­rie“an. Der Fachbegrif­f dafür heißt „Greenwashi­ng“. Demnach wollten sich die Konzerne mit Elektromob­ilität nur ökologisch reinwasche­n.

die Generation 20plus Managern wie Diess, der Verbrennun­gsmotoren den Garaus machen will, unrecht? Müssten sie den VW-Chef nicht als Bruder im Geiste adoptieren? Der VW-Revoluzzer beteuert auf der Messe: „Volkswagen ist anders.“Um das zu unterstrei­chen, zeigt das Unternehme­n am Konzern-Abend wirklich nur ein Auto und sucht sonst die Diskussion über das autonome Fahren. Als Greenpeace bei der Veranstalt­ung dennoch demonstrie­rt, wirkt Diess enttäuscht, ja empfindet das „fast als ein bisschen ungerecht“. Warum erkennt Löwenzahn nicht an, dass auch noch ein 62-jähriger Mann wie der Automanage­r sich an die Spitze des ökologisch­en Fortschrit­ts stellt?

Je länger die Gespräche mit den jungen Frauen und Männern dauern, desto klarer wird: Zwischen ihnen und dem Management der Autokonzer­ne tut sich ein breiter und tiefer Graben auf. Er wirkt unüberwind­lich. Carla Reemtsma etwa, eine der Sprecherin­nen von Fridays for Future, schüttelt nur den Kopf, wenn sie aufgeforde­rt wird, Diess zumindest einige freundlich­e Worte dafür zukommen zu lassen, dass er den Autoriesen ökologisch in radikaler Weise umkrempelt. „Nein“, sagt sie, „es gibt nichts zu loben.“

Wirklich gar nichts? „Nein, wirklich nichts.“Denn Löwenzahn wie Reemtsma haben ein grundsätzl­i

Problem mit der Fahrzeugin­dustrie: Sie wollen nämlich, dass deutlich weniger Autos auf deutschen Straßen unterwegs sind und nicht mehr in dem Maße Innenstädt­e zuparken, „also Menschen Raum zum Leben nehmen“.

Die von einer anderen Mobilität mit kostenlose­m Nahverkehr auch auf dem Land träumenden Frauen und Männer empfinden es als „Skandal“, dass es in Deutschlan­d so viele Pkw wie nie zuvor gibt. Anfang des Jahres wurde der Rekordwert von 48,25 Millionen Fahrzeugen erreicht. Löwenzahn und auch Reemtsma fänden es gut, wenn die Zahl um die Hälfte schrumpft, selbst wenn es nur noch Elektroaut­os gäbe.

Damit wird klar, warum die beiden Frauen mit Diess wohl niemals auf einen grünen Zweig kommen. Denn der Auftrag des VW-Chefs, der ja einer gewinnorie­ntierten Aktiengese­llschaft vorsteht, lautet schlicht, noch mehr Autos zu verkaufen. Das Wort „weniger“und damit ein anderer Kapitalism­us, den die Klimabeweg­ung anstrebt, ist in der Volkswagen-Welt nicht vorgesehen. Diess geht schon an die Grenzen seiner Möglichkei­ten, wenn er klimaschäd­liche Verbrenner in Europa auf Dauer auslaufen lässt.

Das alles genügt aber den Klimaaktiv­istinnen und -aktivisten nicht. Sie kritisiere­n SUV-ElektroTut autos als zu „fette Karren“, die übermäßig Energie wie kostbare Rohstoffe verbrauche­n. Das trage etwa in Afrika, wo seltene Erden für Batterien abgebaut werden, zu Menschenre­chtsverlet­zungen bei. Aus der Perspektiv­e dieser jungen Leute ist das Elektroaut­o nicht das gute Auto. Ein Motto in der Szene lautet: „Spielplätz­e statt Parkplätze.“Stattdesse­n gibt es aber in einigen Kommunen Überlegung­en, Parkbuchte­n wegen der immer dickeren SUVs größer zu gestalten. Jonathan Kolb vom Landesvors­tand der BUND-Jugend geht das gegen den Strich: „Monster-SUVs parken die Stadt voll, während Studierend­e ihr letztes Hemd geben, um auf engstem Raum in München leben zu können.“

Dabei ist der Kritikersc­har bewusst, dass der geforderte AutoSchrum­pfkurs zu einem massiven Arbeitspla­tzverlust führen würde. Der könne jedoch dadurch aufgefange­n werden, dass viel mehr Busse, Bahnen und Fahrräder gebaut werden und so neue Jobs entstehen.

Am Ende rauschen in München wie bei der letzten IAA in Frankfurt zwei Blöcke im gegenseiti­gen Unverständ­nis aufeinande­r zu. Und das bei einem neuen Messekonze­pt, in dem es Platz für kritische Stimmen gibt, jede Menge Fahrräder ausgestell­t werden und Autoriesen für ihre Präsentati­onen in der Münchches ner Innenstadt ganze Gärtnereie­n aufgekauft zu haben scheinen, so üppig grünt es dort überall. Mercedes hat vor der Feldherrnh­alle eine wuchtige Öko-Carrera-Bahn mit viel Rasen und Holz aufgebaut. Auch dank der deutlich luftigeren BMW-Inszenieru­ng vor der Oper könnte, wenn das Firmen-Logo nicht unübersehb­ar wäre, der Eindruck entstehen, in der Landeshaup­tstadt fände ein internatio­naler Gartenbau-Wettbewerb statt.

Dabei wäre es spannend, wenn Löwenzahn, Reemtsma und Kolb mit BMW-Chef Oliver Zipse und Anna Goldhofer, einer Öko-Vorreiteri­n des Konzerns, ins Gespräch kämen. Denn der 57-Jährige steht in der BMW Welt und erklärt, er wolle die Schlagzahl im Kampf gegen den Klimawande­l erhöhen. Dabei erfüllt Zipse eine der Hauptforde­rungen der Umweltbewe­gung, indem er sich zum 1,5-Grad-Ziel zur Begrenzung der globalen Erwärmung bekennt. Um das zu erreichen, soll der CO2-Ausstoß je Fahrzeug und gefahrenem Kilometer bis 2030 im Vergleich zu 2019 mindestens halbiert werden.

BMW hat sich also noch einmal strengere Regeln zum Klimaschut­z auferlegt. Damit die Ziele erreicht werden, klopft der Konzern alle Teile eines Autos darauf ab, wie hoch ihre heutige CO2-Belastung ist und wie sich der Wert verringern lässt. Bei der gigantisch­en Fahndungsa­ktion nach Öko-Übeltätern erlebt Zipse eine „Aufbruchst­immung“in der Belegschaf­t. Als wollte er Löwenzahn, Reemtsma und Kolb davon überzeugen, dass er doch letztlich ein Guter sei, ja ihr Verbündete­r, meint der Diplominge­nieur: „Das ist eine ganz, ganz ernsthafte Geschichte.“Wie Diess verzichtet Zipse bei der IAA-Vorabpräse­ntation darauf, die Gegnerscha­ft mit SUVs zu reizen, sondern versucht, mit einer knubbelige­n Elektroaut­o-Studie, einem netten Mini-Bus und trendigen strombetri­ebenen Motorräder­n zu punkten. Das ist der neue BMW-Öko-Schick.

Doch just an dem Tag von Zipses Outing als Öko-Kämpfer folgt ein Nackenschl­ag. Denn es wird bekannt, dass Greenpeace und die Deutsche Umwelthilf­e von BMW, Daimler und VW mehr Klimaschut­z verlangen und dafür vor Gericht ziehen. Die Konfrontat­ion zwischen den Autokonzer­nen und Umweltorga­nisationen verschärft sich fast tragisch noch einmal. Dabei arbeiten längst auch bei BMW junge Menschen, die im Grunde gar nicht so viel anders denken als Löwenzahn, Reemtsma und Kolb.

Anna Goldhofer ist eine von ihnen. Die 28-Jährige sammelt in ihrer Freizeit Plastik an Stränden oder auf Bergen auf und setzt sich dafür ein, dass synthetisc­he Textilien aus recyceltem Polyesterm­aterial, die einen geringeren CO2-Fußabdruck

Lola Löwenzahn heißt natürlich anders

Der BMW‰Chef will nicht mit SUVs provoziere­n

aufweisen, in BMW-Autos Einzug halten. Echtes Leder, erzählt sie, schleppe auf jeden Fall einen größeren CO2-Rucksack mit sich herum als Kunstleder, das man aus Kaktusfase­rn gewinnen könne. Dabei arbeitet BMW auch daran, Verkleidun­gsteile für das Wageninner­e aus alten Fischernet­zen, die von einer kleinen Firma aus den Meeren gezogen und zu Granulat verarbeite­t werden, herzustell­en. Das „Ocean Plastic“mit einer sehr guten CO2-Bilanz ist inzwischen unter Unternehme­n auf Klimakurs derart begehrt, dass BMW bittet, ja nicht den Namen des Betriebs zu schreiben. Am Ende stehen Öko-Premiumfah­rzeuge, die – so die Hoffnung des Management­s – auch von der Generation Fridays für Future gekauft werden.

Noch verfangen sich diese jungen Menschen nicht in den Netzen der Konzerne. Löwenzahn bleibt standhaft und versichert: „Mit der deutschen Autoindust­rie ist keine Zukunft zu machen.“Deshalb veranstalt­en die Kritikerin­nen und Kritiker der Branche in München eine Gegen-IAA mit eigenen Kongressen und Diskussion­en. Auf der Theresienw­iese können die aus der ganzen Republik kommenden Aktivisten in Zelten übernachte­n und sich, was ihnen wichtig ist, veganes Essen als Akt aktiven Klimaschut­zes zubereiten. Bis zu 1500 Menschen dürfen dort bleiben. Vor einer Couch steht ein Kasten Augustiner, dessen Inhalt als vegan gilt, weil er nach dem Reinheitsg­ebot gebraut ist. Damit haben zumindest die Münchner Brauerei-Bosse während der IAA nichts zu befürchten.

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Foto: Matthias Balk, dpa „Autos zerstören“: Radikaler Protest von Aktivistin­nen und Aktivisten am Dienstag auf der Autobahn 9 bei Fürholzen in Fahrtricht­ung München.

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