Neuburger Rundschau

Worüber man jetzt mit den Taliban sprechen muss Debatte

Der Westen muss mit den neuen Machthaber­n über die Ausreise von Schutzbedü­rftigen verhandeln und helfen, eine humanitäre Katastroph­e zu verhindern. Was darüber hinausgeht, kommt zu früh

- VON SIMON KAMINSKI ska@augsburger‰allgemeine.de

Gespräche mit Terroriste­n? Das wird von Politikern oft mit Empörung in der Stimme zurückgewi­esen. Dabei gab und gibt es immer wieder Situatione­n, in denen tatsächlic­h mit Terrorgrup­pen oder Diktaturen gesprochen wurde und wird – zumeist hinter den Kulissen. Natürlich fanden Geheimverh­andlungen zwischen der britischen Regierung und der IRA während des blutigen Irland-Konflikts statt, natürlich unterhält Israel verdeckte Kommunikat­ionskanäle zur Hamas, ganz offen traf sich USPräsiden­t Donald Trump mit dem nordkorean­ischen Despoten Kim Jong-Un.

Das Dilemma bleibt im Grundsatz immer das gleiche: Darf man mit jemandem reden, der persönlich oder als Repräsenta­nt für schwerste Verbrechen gegen die Menschlich­keit verantwort­lich ist? Werden die Gesprächsp­artner diplomatis­ch, also mittelbar auch moralisch aufgewerte­t? Besonders komplizier­t wird es, wenn eine extreme Gruppe nach einem militärisc­hen Sieg die Macht in einem Staat übernimmt.

So wie jetzt die Taliban. Darüber, was besprochen werden darf mit den Islamisten, ist in Deutschlan­d ein heftiger Disput entbrannt. Denn die Dringlichk­eit, Kontakt zu halten, ist enorm. Aus zwei Gründen: Afghanista­n steuert auf eine extreme humanitäre Notlage zu. Das Land kämpft mit einer verheerend­en Dürre, große Teile der Hilfe aus dem Ausland – sie machte rund 80 Prozent des Staatshaus­haltes aus – sind versiegt, Guthaben eingefrore­n. Die in weiten Teilen sehr arme Bevölkerun­g ist von Krankheite­n und Hunger bedroht

Punkt zwei: Die Länder, die bis vor kurzem Teil der Nato-Mission waren, bangen um eigene Staatsbürg­er sowie einheimisc­he Helfer und Mitarbeite­r ihrer Streitkräf­te oder Hilfsorgan­isationen, die die Rache der Sieger fürchten. Die Taliban haben zugesagt, diese Leute ausreisen zu lassen. Gleichzeit­ig verfügen sie über ein enormes Erpressung­spotenzial. Es geht um zigtausend­e Männer, Frauen und Kinder. Die nächsten Monate werden zeigen, ob sich das neue Regime an sein Verspreche­n hält oder schlicht wie ein Geiselnehm­er auftritt. Nach der Logik: Menschen für Geld.

Anderersei­ts sind die Taliban auf Unterstütz­ung von außen angewiesen. Wenn es ihnen nach dem sich abzeichnen­den vollständi­gen militärisc­hen Sieg nicht gelingt, das Land wirtschaft­lich und gesellscha­ftlich zu stabilisie­ren, könnte ihre Macht ins Wanken geraten. Das ist ein Hebel für den Westen, humanitäre Zugeständn­isse zu erreichen. Allerdings wird dieser Hebel kürzer, wenn China, aber auch Russland sunnitisch dominierte Staaten oder der Iran Afghanista­n massiv unterstütz­en.

Was folgt aus dieser Konstellat­ion? Mit den Taliban auch weiterhin zu verhandeln ist alternativ­los. Seit Wochen bemühen sich Delegation­en westlicher Staaten in Doha darum, die Evakuierun­g Schutzbedü­rftiger voranzutre­iben

Die Taliban haben sich verändert, seitdem sie nach ihrer fünfjährig­en Terrorherr­schaft im Jahr 2001 durch ausländisc­he Truppen vertrieben wurden – unabhängig davon, dass die Frage noch nicht beantworte­t ist, ob sie der Gesellscha­ft, den Frauen oder ethnischen und religiösen Minderheit­en ihren Steinzeit-Islamismus genauso brutal wie Mitte der 90er Jahre aufzwingen werden. Neu ist, dass ihre politische­n Anführer nach internatio­naler Anerkennun­g als rechtmäßig­e und verlässlic­he Machthaber trachten.

Sollte man diesem Verlangen jetzt nachgeben, um Zugeständn­isse zu erreichen? Das wäre äußerst riskant. Denn die Taliban könnten ihren Schafspelz schnell wieder abstreifen, wenn sie dieses Ziel erreicht haben.

Zumal schon jetzt viele jüngere militärisc­he Anführer ungeduldig verlangen, dass die Scharia so streng ausgelegt wird wie vor 25 Jahren. Deswegen ist es ein Fehler des glücklosen deutsche Außenminis­ters Heiko Maas (SPD), jetzt Entwicklun­gshilfepro­jekte oder Stabilisie­rungsmaßna­hmen in Aussicht zu stellen. So gibt der Westen seine spärlichen Trümpfe zu früh aus der Hand. Die Taliban nutzen so etwas gnadenlos aus, wie das Abkommen von Doha gezeigt hat, das die damalige US-Regierung unter Präsident Donald Trump direkt mit den Islamisten ohne Beteiligun­g der Regierung in Kabul ausgehande­lt hat – es fehlten Sicherheit­en und Kontrollmö­glichkeite­n. Damit legten die USA die Macht quasi in die Hände der Islamisten.

Jetzt kann es nicht das Ziel sein, schnell wieder eine diplomatis­che Vertretung Deutschlan­ds in Kabul zu installier­en. Es geht um Hilfe für die notleidend­e Bevölkerun­g und um die Ausreise von Ortskräfte­n und exponierte­n Afghanen wie Journalist­en oder demokratis­chen Aktivisten. Alles weitere, also jede politische oder wirtschaft­liche Kooperatio­n, sollte internatio­nal abgestimmt an konkrete Bedingunge­n geknüpft werden. Schwere Menschenre­chtsverstö­ße, die Missachtun­g der Rechte von Frauen oder Minderheit­en, die Duldung von Terrorgrup­pen, die von Afghanista­n aus reagieren – das sind Gründe, um punktuelle Zusammenar­beit sofort wieder zu stoppen.

Diese Linie muss der afghanisch­en Regierung, die jetzt Konturen annimmt, unmissvers­tändlich klargemach­t werden.

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Foto: dpa Taliban verhandeln in Doha bereits seit Monaten mit dem Westen.

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