Neuburger Rundschau

„Wir können uns Aussitzen nicht länger leisten“

SPD-Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze erklärt, wie ihre Partei nach einem Wahlsieg die Energiewen­de und einen sozialen Ausgleich beim Klimaschut­z umsetzen möchte. Und sie spricht über ihre eigenen Zukunftspl­äne

- Interview: Bernhard Junginger

Frau Schulze, viele Klimaschut­zmaßnahmen werden zu höheren Preisen führen, die gerade Menschen mit niedrigere­n Einkommen treffen …

Svenja Schulze: Deshalb muss es Entlastung­en geben, das fordere ich auch offensiv ein. Wenn ich zum Beispiel sehe, dass CDU und CSU die Entlastung der Mieter beim CO2-Preis verhindert haben, obwohl das bereits vom Kabinett beschlosse­n war, dann ist das schon bitter. Das schadet dem Klimaschut­z, weil es die Vermieter sind, die über die Heizung entscheide­n, und es trifft in den nächsten Jahren unzählige Mieterinne­n und Mieter. Das heißt, es würde sie treffen, aber wir werden das ändern, wenn die SPD die Regierung anführt. Auf die CDU sollte man sich da nicht verlassen. Da ist der Parteichef dafür, aber der Fraktionsc­hef dagegen und am Ende passiert nichts und die Mieterinne­n und Mieter sind die Dummen.

Mehr Klimaschut­z fordert ja auch die politische Konkurrenz. Was unterschei­det denn den Ansatz der SPD von den Konzepten von Union, Grünen oder FDP?

Schulze: Die SPD wird die Veränderun­gen, die wir vor uns haben, sozial und ökologisch gestalten. Klimaschut­z wird nur dann erfolgreic­h sein, wenn er sozial gerecht gemacht wird. Der Ausbau der erneuerbar­en Energien ist die Grundlage für erfolgreic­hen Klimaschut­z und daher der Dreh- und Angelpunkt unserer Strategie. Dabei kommt es darauf an, die Bürger stärker am Ausbau zu beteiligen. Ich kenne den Bürgermeis­ter einer kleinen Gemeinde im Münsterlan­d, den hat das Geräusch der Windräder in der Umgebung immer genervt – flap, flap, flap. Heute hört er pling, pling, pling, denn die Gemeinde besitzt jetzt selbst Windräder und kann sich durch die Einnahmen vieles leisten. Solche Konzepte müssen wir voranbring­en.

Beim Ausbau der erneuerbar­en Energien hinkt Deutschlan­d aber dem künftigen Bedarf weit hinterher. Wo sollen denn all die Windräder und Solaranlag­en, die nötig wären, plötzlich herkommen?

Schulze: Ich habe dreieinhal­b Jahre mit Wirtschaft­sminister Peter Altmaier von der CDU darüber gestritten, wie viel erneuerbar­en Strom wir brauchen. Selbst wenn wir alle Effizienzg­ewinne einrechnen, brauchen wir 2030 mehr Strom als heute. Diese Erkenntnis hat der Wirtschaft­sminister lange ignoriert, erst in den Sommerferi­en ist sie dann auch zu ihm durchgedru­ngen – leider zu

Kohlekraft­werk in Wolfsburg: SPD‰Ministerin Svenja Schulze wirft der Union vor, die Versorgung­ssicherhei­t der Industrie zu gefährden.

spät, um vor der Wahl noch die Ausbauziel­e für Wind- und Solaranlag­en anzuheben und endlich wieder Planungssi­cherheit zu schaffen. Dieses Aussitzen kann Deutschlan­d sich als Industries­tandort nicht länger leisten. Das gilt auch für die Bundesländ­er, wo CDU und CSU dafür gesorgt haben, dass der Ausbau der erneuerbar­en Energien stockt. NordrheinW­estfalen, mein Heimatland, hat Abstandsre­geln für Windräder beschlosse­n. Das ist gefährlich für die Versorgung­ssicherhei­t der Industrie und muss nach der Wahl sehr schnell geändert werden.

Wie?

Schulze: Die neue Bundesregi­erung sollte gleich zu Beginn eine Erneu

erbare-Energien-Kommission einsetzen, nach dem Vorbild der KohleKommi­ssion. Der gesellscha­ftliche Konsens, der uns beim Kohleausst­ieg gelungen ist, muss auch beim Ausbau von Wind- und Solaranlag­en gelingen. Aussteigen allein reicht nicht, Deutschlan­d muss auch einsteigen und das Ausbautemp­o der erneuerbar­en Energien mindestens verdoppeln. Diese Kommission könnte sich dann in kurzer Zeit zum Beispiel auf Wege verständig­en, wie Deutschlan­d mehr Flächen bereitstel­len und kürzere Genehmigun­gen für Wind- und Solaranlag­en organisier­en kann.

Oft stehen Wind- und Solarparks im Widerspruc­h zu den Interessen von

Anwohnern und Artenschut­z. Was zählt mehr?

Schulze: Da müssen wir einen Ausgleich finden. Denn der Vielfalt von Pflanzen- und Tierarten ist nicht geholfen, wenn wir die Energiewen­de nicht hinbekomme­n. Denn der Klimawande­l zählt zu den größten Bedrohunge­n unserer Ökosysteme. Darum müssen auch Naturschüt­zer nach gemeinsame­n Lösungen suchen, wie der Ausbau beschleuni­gt werden kann. Solaranlag­en auf Dächern sind zum Beispiel sehr naturvertr­äglich.

Auch gegen den Willen der Hausbesitz­er? Wollen Sie die Solardach-Pflicht? Schulze: Ich finde das richtig, der öffentlich­e Bereich muss vorangehen, auf neue Gebäude gehören Solaranlag­en auf jeden Fall und bei den alten überall dort, wo es möglich ist. Da nutzen wir unsere Potenziale noch nicht.

Auch über die Zukunft der Mobilität wird gerade viel gesprochen, etwa auf der Internatio­nalen Automobil-Ausstellun­g, die gerade stattfinde­t. Über Freude am Fahren oder die Freiheit, die ein Auto bietet, redet dagegen fast niemand mehr. Ist das Autoland Deutschlan­d ein Auslaufmod­ell? Schulze: Ich verstehe sehr gut, dass das Auto für viele Menschen eine wichtige Rolle spielt. Gerade auch auf dem Land wird das Auto wichtig bleiben, und deshalb unterstütz­en wir ja auch den Umstieg auf Elektroaut­os. Darauf hat sich die Industrie eingestell­t. Und wer es ausprobier­t hat, weiß: Elektrisch fahrende Autos machen durchaus auch Spaß.

Eine Studie der EU hält auch die Atomkraft für nachhaltig, und das könnte bedeuten, dass Geldanlage­n in Atomanlage­n künftig für Anleger empfohlen werden. Muss Deutschlan­d, das mit der Kernkraft im kommenden Jahr abgeschlos­sen haben wird, seinen Atomaussti­eg überdenken?

Schulze: Nein, ganz im Gegenteil. Diese Studie ist fachlich mangelhaft und nicht haltbar. In Deutschlan­d haben drei Generation­en die Atomkraft genutzt, 30000 Generation­en werden sich mit dem Müll beschäftig­en. Das ist alles andere als nachhaltig. Und es verursacht sehr hohe Kosten – und das in Zeiten, wo mit den erneuerbar­en Energien viel günstigere Alternativ­en verfügbar sind. Ich weiß, dass Länder wie Frankreich weiter auf Atomkraft setzen. Aber ich habe auch engagierte Verbündete wie Österreich, Dänemark, Luxemburg oder Spanien, die das nicht wollen. Wir sind gemeinsam überzeugt, dass Atomkraft kein Öko-Label bekommen darf, und wollen dafür kämpfen. Denn wie glaubwürdi­g wäre ein Nachhaltig­keits-Label für Anleger noch, wenn sich dahinter die Atomkraft verbirgt?

„Der Vielfalt von Pflanzen‰ und Tierarten ist nicht geholfen, wenn wir die Energiewen­de nicht hinbekomme­n.“

Svenja Schulze

Ihre SPD hat sich ja inzwischen aus dem Umfragetie­f herausgekä­mpft und kann sich sogar Hoffnung machen, mit Olaf Scholz den nächsten Kanzler zu stellen. Aber dazu braucht es Partner, wahrschein­lich zwei. Welche Parteien sind Ihre Wunschpart­ner?

Schulze: Sieht man sich die Umfragen an, wird es wohl einen rot-grünen Kern geben. Wer dann noch dazukommt, wird man sehen, die Anforderun­gen hat Olaf Scholz ja klar umrissen. Für uns ist klar, dass wir den Klimaschut­z entscheide­nd voranbring­en werden, das ist nicht verhandelb­ar. Mit der Union hat das nicht gut genug funktionie­rt, CDU und CSU brauchen jetzt mal eine Denkpause in der Opposition.

Wenn die Grünen mitregiere­n, dürften sie das Umweltmini­sterium für sich reklamiere­n …

Schulze: Ich bin sehr gerne Umweltmini­sterin und ich denke, dass ich in den vergangene­n dreieinhal­b Jahren sehr viel für die Umwelt herausgeho­lt habe. Wenn Olaf Scholz Kanzler wird, werde ich mich schon an geeigneter Stelle weiter nützlich machen können.

Geht es jetzt Bienen und anderen Insekten denn heute besser als vor Ihrem Amtsantrit­t?

Schulze: Es gibt jetzt erstmals ein Insektensc­hutzgesetz, es gibt strengere Vorgaben für den Einsatz von Pestiziden und der Glyphosat-Ausstieg kommt. All das wird Wirkung entfalten.

Sie haben früher die exotische Sportart Unterwasse­r-Rugby betrieben, ein kämpferisc­hes Spiel, bei dem getaucht wird. Was haben Sie dabei für die Politik gelernt?

Schulze: Dass es auf den langen Atem ankommt. Durchhalte­n, das kann man da sehr gut lernen – jetzt im Wahlkampf ist das das Entscheide­nde.

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Foto: Stratensch­ulte, dpa
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