Neuburger Rundschau

Ein nationales Trauma vor Gericht

Eine 31-jährige Anwältin verteidigt den einzigen überlebend­en Attentäter der Pariser Terrorseri­e vom 13. November 2015. Damals starben 130 Menschen, nicht nur im Bataclan

- VON BIRGIT HOLZER

Paris In der französisc­hen Presse hat sie schon ihren Beinamen weg. „Anwältin des Teufels“wird Olivia Ronen genannt. Sie nimmt es, das ist von den wenigen Journalist­en zu erfahren, die sie zu treffen bereit war, mit einem ruhigen Lächeln hin. Ihr sei bewusst, dass es nicht einfach wird, sagte Ronen in einem Interview. „Aber ich habe diesen Beruf gewählt, um in Prozessen wie diesem zu sein. Also werde ich mir nicht 1000 Jahre lang die Frage nach den Folgen für meine Karriere stellen.“

Wenn am Mittwoch vor einem Schwurgeri­cht in Paris der Prozess um die Terroransc­hläge vom 13. November 2015 beginnt, bei denen vor dem Fußballsta­dion Stade de France, auf Terrassen von Bars und Restaurant­s und in der Musikhalle Bataclan insgesamt 130 Menschen getötet wurden, sind 20 Männer angeklagt. Ronen verteidigt den bekanntest­en unter ihnen: Salah Abdeslam, den einzigen Überlebend­en der zehn Terroriste­n, die an dem Abend in Paris unterwegs waren.

Er legte seinen Sprengstof­fgürtel, der defekt war, ab und floh nach Brüssel, seine Heimatstad­t. Einige Monate später, kurz vor den von derselben Terrorzell­e geplanten Anschlägen auf den Flughafen und eine U-Bahn-Station in Brüssel, wurde er dort festgenomm­en. Seitdem er in Haft saß, schwieg er zu allen Vorwürfen, auch jenem, mehrmals andere Anhänger des „Islamische­n Staates“(IS) auf der Rückreise nach Europa im Auto in Budapest abgeholt zu haben.

Abdeslam beklagte sich lediglich darüber, in seiner Isolations­haft Tag und Nacht gefilmt zu werden. Seine beiden Anwälte trennten sich nach wenigen Monaten von ihm mit der Begründung, der Mandant arbeite nicht mit. Dann aber kontaktier­te er Olivia Ronen, die er in einer Fernseh-Talkshow über französisc­he Syrien-Rückkehrer gesehen hatte.

Ronen ist genauso alt wie Abdeslam, 31 Jahre. Sie habe ihn im Gefängnis besucht, um zu sehen, ob eine Kommunikat­ion möglich sei, sagt sie. „Und ja, sie war es.“Davon abgesehen verrät die Anwältin nichts über ihren Austausch mit „Frankreich­s Staatsfein­d Nummer eins“. Die Opfer und Hinterblie­benen, von denen 1765 als Nebenkläge­r auftreten, haben eine schwache Hoffnung, dass Abdeslam sein Schweigen brechen, sich erklären wird. Kann Ronen ihn dazu bringen?

Ronen hat schon mehrfach ISTerroris­ten

verteidigt, darunter einen ehemaligen Soldaten, der nach Syrien ausgereist war. Für Abdeslams Fall holte sie sich Unterstütz­ung von einem Anwaltskol­legen, dem 32-jährigen Martin Vettes. Kollegen betonen Ronens Entschloss­enheit, ihren Fleiß, ihre Energie. Als Jugendlich­e widmete sich die jüngste von vier Töchtern einer Beamten im Finanzmini­sterium und eines Unternehme­rs erst dem klassische­n Ballett, spielte dann Theater und studierte Literatur, bevor sie auf Jura umschwenkt­e und einen Rhetorik-Wettbewerb junger Anwaltsanw­ärter gewann.

Egal, was sie mache, sie gebe sich hundertpro­zentig hin, sagt sie von sich. Als Anwältin dürfe sie keine Angst haben, nicht zu gefallen. „Je schlimmer die Tatsachen, desto mehr muss die Verteidigu­ng absolut sein, ohne Zugeständn­isse.“Abdeslam droht für seine Mitverantw­ortung an der blutigsten Terrorseri­e, die Frankreich bislang gekannt hat, lebenslang­e Haft. Dass Ronen an diesem Strafmaß etwas ändern kann, erscheint unwahrsche­inlich.

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Foto: Ian Langsdon, dpa Die Anschlagss­erie erschütter­te ganz Frankreich.

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