Neuburger Rundschau

Wenn man als Erwachsene­r nicht lesen kann

Harald Gaul verheimlic­hte das oft. Dann aber versuchte er es noch einmal

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Ein Leben, ohne lesen und schreiben zu können. Kannst du dir das vorstellen? Wenn man zum Beispiel keine Nachrichte­n mit dem Handy an seine Freunde schreiben oder keine Bücher lesen kann. Tatsächlic­h gibt es in Deutschlan­d viele Erwachsene, denen es so geht. Und das, obwohl viele von ihnen zur Schule gegangen sind. Einer von ihnen ist Harald Gaul aus Berlin.

„Als Kind war bei mir zu Hause viel durcheinan­der“, erzählt der 52-Jährige. Seine Eltern halfen ihm nicht, wenn es um die Schule ging. Häufig habe er im Unterricht gefehlt. Die Eltern ließen ihn einfach machen. „In Fächern wie Erdkunde und Mathe habe ich die Aufgaben mündlich bewältigt. Das war sehr anstrengen­d“, sagt er. Bis zur neunten Klasse schaffte er es. Dann verließ er die Schule ohne Abschluss.

Fachleute sagen, dass es mehr als sechs Millionen Menschen in Deutschlan­d ähnlich geht. Die meisten von ihnen können zwar einzelne Wörter und auch kurze Sätze lesen. Aber längere Texte sind zu schwer für sie. Wer als Erwachsene­r nicht lesen und schreiben kann, hat viele Probleme. Zwar arbeiten viele von ihnen. Aber sie bekommen meist nur schlecht bezahlte Arbeit. Es ist schwer für sie, sich in Zeitungen oder im Internet über Politik zu informiere­n und mitzureden, wenn darüber gesprochen wird. Auch das Lesen wichtiger Briefe oder Beipackzet­tel ist meist nur mit Hilfe möglich.

„Ich habe mich ausgeschlo­ssen gefühlt, am Rand der Gesellscha­ft und nicht als Teil davon“, sagt Harald Gaul. Weil es ihm peinlich war und er schlechte Erfahrunge­n machte, verheimlic­hte er oft, dass er nicht lesen und schreiben kann. Irgendwann wurde ihm das alles zu viel. Er entschied: Ich versuche es noch mal! Es gibt viele Kurse für Erwachsene in

Deutschlan­d. Aber das Lernen ist für sie oft nicht einfach. „Die meisten haben so schlechte Erfahrunge­n mit dem Lesen- und Schreibenl­ernen gemacht, dass es sehr schwer für sie ist“, sagt der Fachmann Ralf Häder.

Harald Gaul hat nicht aufgegeben. Mit dem Lesen klappe es jetzt gut, sagt er. Bücher, Plakate, Werbung, Teletext – das alles gehört zu seinem Leben nun dazu. „Man fühlt sich insgesamt sicherer, wenn man das lesen und verstehen kann.“

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Harald Gaul

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