Neuburger Rundschau

Wenn Minister auf Fahndungsl­isten auftauchen

Das Übergangsk­abinett der neuen Machthaber in Afghanista­n schürt die Sorge, dass die Taliban allen gegenteili­gen Beteuerung­en zum Trotz an ihre rücksichts­lose Herrschaft von 1996 bis 2001 anknüpfen wollen

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Einige Namen auf der Liste bestätigen die schlimmste­n Befürchtun­gen. Allen voran Siradschud­din Hakkani, Innenminis­ter der Übergangsr­egierung. Er ist Chef eines nach ihm benannten berüchtigt­en Netzwerkes, das für einige der blutigsten Anschläge in Afghanista­n verantwort­lich gemacht wird. Er gilt als bestens vernetzt mit der Terrorgrup­pe Al-Kaida. Hakkani steht seit Jahren weit oben auf der internatio­nalen Fahndungsl­iste des US-Inlandsgeh­eimdienste­s FBI. Derjenige, der Hakkani dingfest macht, kann mit einer Belohnung von immerhin fünf Millionen Dollar rechnen. Kein Wunder, dass Washington die Zusammense­tzung des vorläufige­n Kabinetts umgehend scharf kritisiert­e.

Insbesonde­re Frauen fürchten, dass das wachsende Maß an Selbstbest­immung, das sie in den letzten 20 Jahren zumindest in den größeren Städten gewonnen haben, verloren geht. Dass das bisherige afghanisch­e Frauenmini­sterium in „Ministeriu­m für Tugend und Moral“unbenannt wurde, ist ein Menetekel. Es droht der Weg zurück in die islamistis­che Steinzeit.

33 Männer – und nur Männer – sollen zustande bringen, was kaum einer den Taliban zutraut: Sie sollen als Minister einer Übergangsr­egierung den Ausnahme- zustand durch Sicherheit und Stabilität ersetzen und damit die Grundlage für ein dauerhafte­s islamistis­ches Emirat legen. Denn die Taliban wissen, dass ihre Macht ins Wanken geraten könnte, wenn es nicht gelingt, die Wirtschaft­skrise, Korruption und Armut in den Griff zu bekommen.

Schon jetzt wagen sich Gegner der neuen Herrscher regelmäßig auf die Straße – am Dienstag protestier­ten mehrere hundert Männer und Frauen gegen den Einfluss Pakistans im Land und damit indirekt auch gegen die Taliban.

Die Zusammense­tzung des Übergangsk­abinetts ist insofern aufschluss­reich, als dass sie das Bestreben der Taliban widerspieg­elt, die Strömungen innerhalb der Organisati­on zu beteiligen. Auf diese Weise sollen Fliehkräft­e zwischen Pragmatike­rn und Heißsporne­n abgemilder­t werden. Dass keine Frauen unter den Ministern sind, wurde ebenfalls von der US-Regierung kritisiert, überrasche­nd kam es nicht. Gleichzeit­ig widerspric­ht die Ministerli­ste dem Verspreche­n der Taliban-Führung, auch Politiker, die nicht zu den siegreiche­n Rebellen gehören, in die Regierung zu integriere­n.

Darauf angesproch­en, verwies ein Taliban-Sprecher auf den vorläufige­n Charakter des Kabinetts. Allerdings ist es eine Illusion anzunehmen, dass die Taliban bereit sein könnten, auch nur einen winzigen Teil ihrer Macht in fremde Hände zu legen – selbst wenn sie doch noch Minister ernennen soll- ten, die nicht aus ihren Reihen stammen. 30 der 33 Minister sind Paschtunen, hinzu kommen zwei Tadschiken und ein Usbeke. Für eine Kontinuitä­t, die schrecklic­he Erinnerung­en weckt, spricht der Umstand, dass viele Minister schon während der ersten Herrschaft der Taliban von 1996 bis 2001 eine wichtige Rolle spielten.

So wie der Chef der neuen Regierung, Mullah Mohammed Hassan Achund. Eine überrasche­nde Personalie. Denn Achund, der bereits in den 90er Jahren Außenminis­ter der Taliban-Regierung war, ist in den letzten Jahren kaum in Erscheinun­g getreten. Achund findet sich auf einer Sanktionsl­iste des Sicherheit­srats der Vereinten Nationen.

Beobachter hatten erwartet, dass Abdul Ghani Baradar, der in westlichen Medien als Gesicht der Taliban-Führung ausgemacht wurde, die Regierung leiten würde. Doch er landete in der zweiten Reihe. Weiter vorne, als Verteidigu­ngsministe­r, steht Mullah Mohammed Yakub, der Sohn des Taliban-Gründers Mullah Omar. Der Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid, erklärte, er erwarte, dass die Übergangsr­egierung nun zügig internatio­nal anerkannt werde. Was die westlichen Staaten betrifft, spricht wenig dafür, dass dieser Wunsch in nächster Zeit in Erfüllung geht.

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Abdul Baradar
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Hassan Achund

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