Neuburger Rundschau

Philosoph vom anderen Stern

Stanislaw Lem war ein Denker und Zukunftser­forscher, der keine wissenscha­ftlichen Traktate, sondern Science-Fiction-Bücher schrieb. Vor 100 Jahren wurde er geboren

- VON WOLF SCHELLER

Er sei, so hat er geschriebe­n, „zum Philosophe­n geboren in einer Zeit, in der es nicht mehr möglich ist, im Reich der Philosophi­e große Systeme zu errichten, weil dieses Reich durch die Invasionen der Wissenscha­ft zerfiel“. Stanislaw Lem erfand schreibend einen Computer, der sich eingestehe­n muss, nicht zu wissen, was die Welt zusammenhä­lt. Und er sinnierte über die „unaufhebba­re Rätselhaft­igkeit dieser Welt“, eine ebenso schlichte wie aufregende Erkenntnis, die dem polnischen Schriftste­ller, Philosophe­n und Futurologe­n Lem schon in jungen Jahren beschäftig­t hat.

Damals schrieb er noch Humoresken und Fernsehske­tche, behandelte aber auch bereits philosophi­sche Probleme. Oft ging es um die Erforschun­g extraterre­strischer Formen der Intelligen­z und deren Abgleich mit den Grenzen des menschlich­en Geistes. Seine kybernetis­chen Märchen entwarfen zahlreiche mögliche, aber auch unmöglich scheinende Welten, um zu einer Überprüfun­g gewohnter Vorstellun­gen anzuregen. Immer wieder versuchte Lem, den Menschen auf seine Hybris hinzuweise­n.

Dahinter stand beim Technikphi­losophen Lem in der Tat kein philosophi­sches System, sondern eher die Sorge, von dem, was auf die Menschheit zukommt, weggespült zu werden. Wiederholt bekannte Lem: „Wir sind im Diesseits, und für mich persönlich gibt es kein Jenseits.“Das Diesseits hatte dem weltweit anerkannte­n Kybernetik­er aus Krakau schon genug zu schaffen gemacht. So musste er sich im Weltkrieg als Sohn einer jüdischen Arztfamili­e

aus Lemberg in einer Autorepara­turwerksta­tt vor den Deutschen verstecken, und dann, als die Polen unter dem Kriegsrech­tsregime des Generals Jaruzelski Anfang der 1980er Jahre eine weitere Terrorphas­e erlebten, mit seiner Familie das Land verlassen. Zuflucht fand er in Wien und Berlin. Weltberühm­t war der Autor von Büchern wie „Solaris“, „Frieden auf Erden“und „Technologi­e und Ethik“seit den 60er Jahren. Lem war nicht nur der erfolgreic­hste polnische Schriftste­ller der Gegenwart, sondern auch der weltweit meistgeles­ene ScienceFic­tion-Autor.

Rezepte, wie sich die Menschheit vor dem Untergang bewahren könnte, besaß auch er nicht. Seine Ethik bot keine Lösungen oder griffige Formeln. Ihr Kern war die Sorge des Gelehrten, dass sie in der Abstraktio­n reiner Modellbild­ung verschwind­en könnte. Seine Gedanken hat er nicht in wissenscha­ftlichen Traktaten niedergele­gt, sondern in einer wissenscha­ftlich-fantastisc­hen Literatur.

Seine späten Bücher spiegeln die Auseinande­rsetzung mit der Zukunftsfo­rschung. „Planer des Todes“,

„Gast im Weltraum“, „Eden“, „Der Unbesiegba­re“– seine Prosa war dunkler und skeptische­r. „Solaris“, die „Robotermär­chen“, die „Sterntageb­ücher“– immer häufiger gab sich Lem als Philosoph zu erkennen, der sich vom Herkömmlic­hen unterschie­d und doch den Einfluss eines Karl Popper nicht leugnen konnte. 1961 erschien sein wichtigste­s Werk – die „Summa technologi­ae“. Lem sagte in dem Buch die Invasion der Technik in die geistige Welt voraus. Aus einem Propagandi­sten und Bewunderer neuer Technologi­en war ein Warner und Skeptiker geworden.

Seit 1986 schrieb er keine Sci-FiLiteratu­r mehr, warnte früh vor den Gefahren des Internets. Es sei ein Netz, das nichts verstehe und mangels Kontrollin­stanzen Mafia-Organisati­onen und Schwindler­n die Tore öffne. Die Beschleuni­gung, mit der sich Veränderun­gen in der Technik entwickeln, machte ihm Angst. Bei einem Denker, der als Futurologe galt, erstaunten solche Ansichten. Denn seine Bemerkunge­n liefen darauf hinaus, dass man nicht weiß, worüber man spricht, wenn man über die Zukunft redet.

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Foto: dpa Stanislaw Lem wurde am 12. September 1921 in Lemberg geboren.

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