„Ingolstadt war damals ein Trainerfriedhof“
Panther-Trainer Doug Shedden spricht vor dem Saisonstart über seine Philosophie, sein neues Team, den peinlichsten und gewalttätigsten Moment seiner Karriere und die Frage, warum er einfach nicht aufhören kann
Ingolstadt Für den ERC Ingolstadt beginnt am heutigen Freitag in Bietigheim die neue DEL-Saison (19.30 Uhr). Zuvor sprach die Neuburger Rundschau über eine Stunde lang mit Trainer Doug Shedden.
Herr Shedden, Sie haben an Ihrem 53. Geburtstag einen Herzinfarkt erlitten, Sie wurden in diesem Jahr 60, Sie haben ein Haus in Florida, drei Töchter, Enkelkinder. Sie könnten sich leicht zurücklehnen und das Leben genießen. Wieso kommen Sie jedes Jahr zurück nach Europa?
Doug Shedden: Weil ich drei Töchter habe, von denen eine noch studiert, und das sehr teuer ist vielleicht? Und ich bin noch nicht bereit, alles aufzugeben. Ich bin noch nie aufgewacht und dachte: ‚Scheiße, ich muss heute in die Halle!’ Solange das nicht passiert, mache ich weiter.
Ist es nicht auch ein wenig Ihr Ego, das Sie antreibt?
Shedden: Ich mag das Wort ‚Ego’ nicht, denn ich hoffe, dass ich kein großes habe. Wir sind alle stolz darauf, was wir im Geschäft erreicht haben. Früher bin ich wahrscheinlich sehr arrogant rübergekommen. Mit dem Alter beruhigt man sich ein wenig. Du merkst, was wichtig ist und was nicht.
Sie beschreiben oft, wie sensibel die nachkommende Generation an Spielern geworden ist. Haben Sie sich angepasst oder sind Sie immer noch derselbe Typ, der seinem Trainerkollegen Greg Puhalski 1999 die Brille kaputt geschlagen hat?
Shedden: (lacht) Ich glaube, ich habe mich sehr angepasst. Du erreichst nichts mehr, wenn du nur schreist, negativ bist und jemandem in den Arsch trittst. Dinge haben sich geändert. Heute ist es besser, das Zwei-Augen-Gespräch mit dem Spieler zu suchen oder ihn hierher einzuladen und ein, zwei Bier zu haben wie wir gerade (das Interview findet auf der Terrasse des Enso-Hotels statt, Anm. d. Red.).
Natürlich müssen Sie jetzt auch noch die Puhalski-Geschichte erzählen. Shedden: (grinst) Es gab eine ziemlich große Rivalität zwischen Flint, wo ich damals trainiert habe, und Port Heron, der Mannschaft von Greg Puhalski. Er hat in der Zeitung über uns gelästert. Ich weiß nicht mehr genau, was es war. Sinngemäß ging es darum, dass wir verweichlicht seien, Schwalbenkönige. Port Heron hat uns dann in Overtime besiegt. Das Komische an ihrer Halle war, dass ihre Kabine genau über unserer lag. Sie mussten also an uns vorbei. Ihr Tough Guy fing an, uns zu provozieren. Ich brüllte zurück.
Puhalski streckte seinen Kopf aus der Kabinentür, da sagte ich zu ihm: ‚Und du erst, du beschissener ****** .’ Er kam runter. Dann ging ich auf ihn los. Die Security hielt mich fest, deshalb hat er mich zuerst getroffen. Irgendwann konnte ich mich lösen und habe seine Brille zertrümmert.
Sie haben in jener Saison den Titel der damaligen UHL und danach noch zweimal die Meisterschaft in der CHL geholt, in zwei drittklassigen nordamerikanischen Ligen. Danach wurden sie nie mehr Meister. Stört Sie das? Shedden: Nein, ich bin bald 30 Jahre Trainer und war in 22 oder 23 Jahren davon im Finale oder Halbfinale. Das ist ziemlich gut. In den ersten zehn Jahren gewann ich fünf Titel. Ich dachte: ‚Oh, das wird ja einfach.’ Aber es kann eben nur ein Team gewinnen.
Sie waren nah dran im Vorjahr, flogen im Halbfinale gegen Meister Berlin raus. Hatten Sie das Team, um Champion zu werden?
Shedden: Wenn ich drüber nachdenken muss: Ja. Wir hätten die zweite Partie zu Hause gewinnen müssen. Da haben wir es vermasselt. Wir hätten die Trophäe in diesem Jahr nach Hause bringen können. Dass
Wolfsburg Mannheim damals rausgehauen hat, war eine Riesenchance. Das hat für ein offenes Rennen gesorgt.
Während Ihrer Zeit in der Schweiz sagten Sie mal, „die vergessene Kunst des Coachings“sei, seine Top-Leute nicht zu oft einzusetzen. Nach dem Aus gegen Berlin, als Leute wie Mat Bodie fast 30 Minuten Eiszeit bekamen, meinten Sie: Wenn man untergehe, dann mit seinen besten Männern. Welche Philosophie stimmt denn nun? Shedden: Als Colton Jobke sich im ersten Viertelfinalspiel gegen München verletzte, bekamen wir nicht viel von Garret Pruden und Simon Schütz. Wir mussten also mit fünf Verteidigern spielen. Was macht man in solch einer Situation? Bringst du Leute, die nicht in der Lage sind, in dieser Situation zu spielen oder schickst du deine Stars aufs Eis?
Erfolgreich sein und junge Spieler entwickeln geht nicht gleichzeitig? Shedden: Man muss die Balance finden zwischen gewinnen und entwickeln. Wenn ich hier nicht gewinne, sagen Larry (Mitchell, Sportdirektor, Red.) und die Gesellschafter: ‚Wir haben ein gutes Team zusammengestellt. Du bist raus!’ Ja, wir wollen sehen, wie unsere jungen Spieler besser werden. Ja, wir wollen sie viel spielen lassen. Ja, am besten bekommt die vierte Reihe zehn Minuten Eiszeit. Aber am Ende geht es auch ums Gewinnen.
Welcher Abgang hat Ihnen am meisten wehgetan?
Shedden: Morgan Ellis war ein großartiger Typ. Er hat seine Mitspieler zur Verantwortung gezogen. Wenn jemand nicht hart genug arbeitete, hat er ihm sofort die Meinung gegeigt. Das liebe ich. Das gibt es nicht mehr oft. Michael Garteig war nach Ericsson aus Schwenningen wahrscheinlich der zweitbeste Torhüter der Liga. Wenn Kevin Reich und Karri Rämö besser als er sein können, vermisse ich ihn nicht. Aktuell ist das noch ein Fragezeichen.
Wenn Ihre beiden Torhüter Ihr volles Potenzial ausschöpfen, haben Sie wohl eines der besten Goalie-Duos der Liga. Wenn nicht, haben Sie ein Problem. Shedden: Seien wir ehrlich: Rämö war bisher nicht so herausragend. Aber bei seinem Lebenslauf bin ich mir sicher, dass er über den Sommer nicht vergessen hat, wie man Pucks fängt. Vielleicht braucht er wegen seines Alters etwas länger, um in Form zu kommen. Sein letztes Testspiel gegen Wien war schon mal ein gutes Zeichen. Ich weiß, Kevin will die Nummer eins sein. Er ist ein guter Junge. Aber das muss er sich erarbeiten. Es ist ein wichtiges Jahr für ihn.
In der Verteidigung kam mit David Warsofsky ein großer Name. Was bringt er dem Team?
Shedden: Ein fantastischer Schlittschuhläufer. Er hat unser System noch nie gespielt und hat deshalb noch Anpassungsprobleme. Noch denkt er mehr, statt zu handeln. Wenn wir das umdrehen, wird er sehr gut sein.
Auch in der Tiefe haben Sie sich defensiv mit Leon Hüttl und Simon Gnyp verstärkt. Wer hat bisher die Nase vorn?
Shedden: Sie haben ihren Job beide wirklich sehr, sehr gut gemacht bisher. Wir wissen, wer unsere TopVier Verteidiger sind (Bodie, Warsofsky, Ben Marshall und Fabio Wagner, Red.). Jobke kriegt einen Freifahrtschein, weil er ein Unterzahlspezialist ist, Schüsse blockt und ein Leader ist. Die zwei Jungs werden mit Emil Quaas um die verbleibenden zwei Plätze kämpfen müssen. Da hat Quaas noch einen Vorteil. Aber Hüttl war eine große Überraschung.
Von Ihrer neuen Paradereihe, bestehend aus Chris Bourque, Wayne Simpson und Louis-Marc Aubry, sagten sie früh, dass könnte eine der besten Formationen der Liga sein. Haben sie das bisher bewiesen?
Shedden: Sie haben in der Vorbereitung noch nicht ihr bestes Eishockey gezeigt. Aber das ist ok. Bourque war im Vorjahr unter den fünf besten Scorern der Liga. Das Jahr zuvor hatte Simpson die meisten Punkte in der gesamten DEL. Wenn man die zwei zusammentut, ist das schon mal ziemlich gut. Dann stellst du einen 1,90-Mann dazwischen, der die vergangene Saison sehr stark beendet hat. Das ist die größte Chance, die Aubry jemals in seiner Eishockeykarriere haben wird. Wenn er die Reihe besser macht, dann kann er sich bald auf ziemlich gute Gehaltsschecks freuen.
Auch Jerome Flaake, Daniel Pietta und Mirko Höfflin scheinen sich gefunden zu haben.
Shedden: Sie sprechen dieselbe Sprache, sie mögen und kennen sich. Man muss sie nur spielen lassen. Sie werden schlechte Spiele haben. Ist mir egal. Ich lasse sie einfach.
Insgesamt, wie unterscheidet sich das Team im Vergleich zur Vorsaison? Shedden: Gehen wir mal alle Wechsel durch. Warsofsky für Ellis: Da sind wir vorne. Flaake für Elsner: Da auch. Hüttl und Gnyp für Schütz und Pruden: besser. Rämö und Reich für Garteig und Daws, auf dem Papier sieht es besser aus, aber mal abwarten. Das ist das einzige Fragezeichen.
Kommen wir zu Ihnen: Was war Ihr peinlichster Moment als Trainer? Shedden: Da gab es einige. Ich wurde mal in Memphis von der Bande verwiesen. Ich bin dann ausgeflippt, habe einen großen, vollen Mülleimer genommen – ich war damals etwas stärker als heute – und habe ihn aufs Eis geworfen. Er ist bis zum mittleren Bullykreis gerutscht und hat Dreck verteilt. Die Fans liebten es. Aber es hat mich einige Tausend Dollar gekostet.
Erinnern Sie sich, wie Sie Ende 2017 hier gelandet sind?
Shedden: Ich saß in Florida, als Tommy Samuelsson gefeuert wurde. Larry hat dann Kontakt mit mir aufgenommen. Ich fing an, die ERCSpiele zu schauen. Sie trafen vorne einfach nicht. Kurz vor Weihnachten bekam Larry dann das grüne Licht von den Gesellschaftern und ich habe hier unterschrieben.
Zu der Zeit war Ingolstadt ein ungemütlicher Ort für Trainer. Genauso wie Ihre Stationen zuvor, Lugano und Zagreb. Sie saßen auf ein paar heißen Stühlen. Jetzt gehen Sie in Ihre fünfte Saison hier.
Shedden: Lugano und Ingolstadt waren zu dieser Zeit bekannt als Trainerfriedhöfe. Ich weiß nicht, was hier davor los war. Aber unter Larry hat sich die Lage scheinbar sehr stabilisiert. Der größte Unterschied, seit ich gekommen bin, ist sicher die Geschäftsstelle. Das ist wie Tag und Nacht. Jetzt sind wir ein richtiges Team. Claus Liedy ist ein fröhlicher Typ. Er hat zwar nicht so viel Eishockey-Fachwissen, das wird er zugeben, aber er liebt seinen Job.
Manche sagen, dass die Dominanz von München und Mannheim etwas gebrochen wurde. Dass Berlin oben mitspielt. Dass Ingolstadt das einzige Team ist, das mit diesem Trio mithalten kann. Und dass Sie daran einen großen Anteil haben.
Shedden: Das überrascht mich, wenn Menschen das sagen. Niemand will eine Liga, die von zwei Teams dominiert wird. Das ist verdammt langweilig. Aber für uns muss alles richtig laufen, um dieses Trio zu jagen. Teams mit viel Geld können sich Aussetzer erlauben, wir nicht.
Wir haben am Anfang davon gesprochen, dass Sie noch nicht aufhören wollen. Sollten Sie das doch mal tun, was für ein Leben sehen Sie dann? Shedden: Ich sehe viel Angeln, viel Golfen und viel Sonne.