Neuburger Rundschau

„Das war eine verpasste Chance“

Der Politikwis­senschaftl­er Thorsten Faas erklärt, welche Bedeutung Formate wie das TV-Triell haben, warum der aktuelle Dreikampf seine Erwartunge­n nicht erfüllt hat und was das nun für Armin Laschet heißt

- Interview: Margit Hufnagel

Herr Faas, die Kandidaten haben sich in einem engen Rennen um die Kanzlersch­aft zum zweiten TV-Triell getroffen. Wie wahrschein­lich ist es, dass durch solche Formate der Lauf der Dinge noch geändert werden kann? Thorsten Faas: Diese Formate haben immenses Potenzial, das wissen wir aus Duellen der Vergangenh­eit. Sie ziehen eine riesige Zuschauers­chaft an, darunter viele Menschen, die ansonsten gar nicht so tief im Wahlkampf drin stecken, die dann mobilisier­t und überzeugt werden können. Ich fürchte allerdings, dass das mit dem aktuellen Triell nicht gelungen ist: Die Debatte, gerade auch die Geschwindi­gkeit, war unglaublic­h komplex und hoch, an vielen Stellen extrem detaillier­t. Das war eine verpasste Chance, fürchte ich.

Die Stimmung wirkte aufgeladen­er als beim letzten Mal, vor allem Armin Laschet griff an. Wie kommt das beim Wähler an?

Faas: Ja, da waren Emotionen im Spiel, aber all das muss glaubwürdi­g bleiben… und auch da scheint die Strategie Laschets nicht ganz aufgegange­n zu sein. Letztlich ist das das Grundprobl­em des Unionswahl­kampfs: Angelegt als ein Wahlkampf aus der führenden Position heraus, gelingt es jetzt einfach nicht glaubwürdi­g, plötzlich wie eine Opposition­spartei zu agieren.

Laschet erhält in der anschließe­nden Umfrage keine Sympathiep­unkte... Wie wichtig wäre das für ihn?

Faas: Für Sympathie kann man sich wenig kaufen… aber dass ihn Wählerinne­n und Wähler nicht für kompetent, nicht für glaubwürdi­g halten, das schmerzt, weil gerade das in diesen Zeiten vieler Unklarheit­en immens wichtig ist.

Olaf Scholz tritt betont nüchtern auf – ist das die richtige Taktik?

Faas: Er – und auch seine Partei – führen gerade recht deutlich. Insofern hat er vor allem ein Interesse daran, keine Angriffsfl­äche zu bieten. Und hinzu kommt ja auch: Es wäre doch komisch, wenn Olaf Scholz plötzlich ganz anders wäre als man ihn über viele Jahre kennengele­rnt hat. Dass dieses Nüchterne - kombiniert mit dem Verweis auf viele Erfahrunge­n - nun noch dazu als Kontrast zum anderen Kandidaten, zur anderen Kandidatin positiv wirkt, war so sicher nicht planbar, funktionie­rt aber eben gerade gut.

Annalena Baerbock versucht mit Fachwissen zu punkten – gelingt das? Oder kommt es auf anderes an?

Faas: Nein, natürlich braucht es das. Aber trotzdem ist es nur eine notwendige Bedingung. Ihre Kampagne war ja von Beginn an von Zweifeln begleitet, ob sie letztlich die Erfahrunge­n mitbringt, die für das Kanzleramt nötig sind. Diese Zweifel sind im Laufe der Zeit größer geworden, aber die kann sie letztlich mit Fachwissen alleine nicht ausgleiche­n. In der ARD-Umfrage nach dem Triell war eine interessan­te Zahl zu sehen: Sie wurde als sehr tatkräftig wahrgenomm­en, aber letztlich als nicht sehr kompetent… das ist ihr Dilemma gerade.

Das Triell ist mit einer Frage eingestieg­en, die öffentlich irgendwie zur entscheide­nden wurde: Mit wem koalieren Sie? Wie wichtig ist das für Wähler für ihre Wahlentsch­eidung?

Faas: Das ist ganz, ganz schwierig… denn natürlich wollen wir als Wählerinne­n und Wähler das wissen, denn natürlich ist es nicht egal, welche Koalition das Land regiert. Das zeigen ja auch Studien: Koalitione­n unterschei­den sich in ihren Zielen und setzen diese auch um. Also: Ja, wichtiges Thema – aber zugleich ist völlig klar, dass die Kandidaten und die Kandidatin dazu aktuell angesichts der unklaren Lage nichts sagen werden. „Ausschließ­en“wäre eine strategisc­he Schwächung für die Gespräche nach dem Wahltag. Das führt zu diesen wahnsinnig zähen Momenten in solchen Triellen.

Eines der wichtigste­n Argumente der Union ist die Warnung vor einem „Linksrutsc­h“. Verfängt so etwas bei den Menschen?

Faas: Es soll zunächst einmal Orientieru­ng schaffen, gerade in den eigenen Reihen: Wer ist eigentlich der Gegner der Union? Diese Selbstvers­icherung scheint auch nötig, wenn man sich die Umfragewer­te der Union anschaut. Aber es bleibt ein zähes Thema. Denn zugleich gibt es ja auch bei der Union offene Fragen mit Blick auf die Zeit nach der Wahl.

Das hat ja etwa die Frage gezeigt, wie Laschet agieren würde, wenn er und die Union nur auf Platz 2 landeten. Würde er Juniorpart­ner der SPD in einer Neuauflage der Groko werden wollen?

Wirecard, Cum Ex, FIU – das sind komplexe Materien. Bleibt beim Wähler nur das Wort „Skandal“im Zusammenha­ng mit Olaf Scholz hängen? Faas: Natürlich sind das keine Gewinnerth­emen für Scholz, aber meines Erachtens gibt es zwei Gründe, warum das sein Image nicht nachhaltig belastet gerade. Erstens sind die Themen wahnsinnig komplex, Scholz pariert die Vorwürfe natürlich gut vorbereite­t, das macht klare Zuweisunge­n schwierig. Und hinzu kommt: Im Gegensatz gerade zu Baerbock ist Scholz ein bekannter Kandidat, zu dem die Menschen ein recht ausdefinie­rtes Bild haben. Auch die Schwierigk­eiten von Scholz sind da schon drin… in diesem Sinne ist Scholz‘ Image träge.

Aus dem Triell wird immer mehr ein Duell ums Kanzleramt – hätten die Grünen im Rückblick auf eine Kanzlerkan­didatur verzichten sollen?

Faas: Ach, das ist ja letztlich eine müßige Debatte, die wir ja zunächst mit Blick auf Scholz geführt haben, jetzt trifft es Baerbock. Aber man merkt schon sehr deutlich, dass die drei Kandidaten den Wahlkampf komplexer machen. Da wechseln ständig die Gegensätze: Laschet gegen rot-grün, Baerbock gegen die GroKo, Scholz gegen seine Herausford­erer… das ist aber viel komplexer als ein Duell.

Wenn wir schon auf den Wahltag blicken: Falls die Union tatsächlic­h bei gut 20 Prozent landen würde, was bedeutet das für ihr Selbstvers­tändnis als Volksparte­i und für die allgemeine politische Gemengelag­e?

Faas: Was wir in diesem Wahljahr auf Ländereben­e schon erlebt haben und jetzt auch auf Bundeseben­e sehen: Parteien verlieren an Integratio­nskraft – diese Funktion wird eher von Personen erfüllt. Kretschman­n, Dreyer, Haseloff. Auf Bundeseben­e war es Merkel, jetzt scheint es Scholz erfüllen zu können.

Thorsten Faas, 46, ist Pro‰ fessor für Politikwis­sen‰ schaft an der Freien Univer‰ sität Berlin. Sein Schwer‰ punkt ist die Wahlforsch­ung.

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Foto: WDR, dpa So nah standen sich die drei Kanzlerkan­didaten beim Triell nicht – weder im Studio noch inhaltlich. Für die Zuschauer war die Zu‰ sammenscha­u von drei Kameras aber auf jeden Fall interessan­t.
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